Völkermord im Parlament
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Völkermord im Parlament
Der schlichte Parlamentsbeschluss des Deutschen Bundestages zur Anerkennung des Völkermords an den Armeniern als Problem zwischen Verfassung und Politik
Beiträge zum Parlamentsrecht, Vol. 78
(2020)
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About The Author
Tatjana Holter, 2008 bis 2014 Studium der Rechtswissenschaft in Berlin und London. 2012 bis 2014 studentische Mitarbeiterin am Lehrstuhl für Bürgerliches Recht, Gewerblichen Rechtsschutz und Urheberrecht, Internationales Privatrecht und Rechtsvergleichung, Prof. Dr. Eva Inés Obergfell. Erstes Juristisches Staatsexamen 2014. 2014 bis 2015 wissenschaftliche Mitarbeiterin WilmerHale, Praxisgruppe Kartellrecht. 2015 bis 2018 wissenschaftliche Mitarbeiterin am Lehrstuhl für Bürgerliches Recht, Wirtschaftsrecht und Ökonomik, Prof. Dr. Gerhard Wagner. Promotion 2018. 2018 bis 2020 Referendariat am Kammergericht in Berlin. 2020 Associate Hogan Lovells, Praxisgruppe Wirtschaftsstrafrecht. Seit 2021 Rechtsanwältin bei Venedey, Dr. Gysi, Höfler, Strafrecht.Abstract
»On Genocide in Parliament. The Recognition of the Armenian Genocide by the German Bundestag as a Problem of Politics and the Constitution«In 2016, the German Bundestag passed a resolution recognizing the Armenian Genocide. This thesis examines the legal and political dimensions of parliamentary resolutions. Despite being only rudimentarily fleshed out in constitutional law, resolutions are found to be self-contained political instruments. While permitted in the constitutional framework, they have no legally binding effect. Their political impact, especially in history-oriented politics can be seen in the Armenian resolution.Der Deutsche Bundestag hat den sogenannten Völkermord an den Armeniern im Jahr 2016 in Form eines schlichten Parlamentsbeschlusses anerkannt. Die Arbeit nimmt diesen Beschluss zum Anlass einer Untersuchung dieser parlamentarischen Handlungsform. Zunächst wird deutlich, dass eine Anerkennung historischer Ereignisse durch Parlamente nicht zwangsläufig mit einer Subsumtion unter moderne rechtliche Maßstäbe einhergeht. Eine Analyse der Parlamentsstatistik legt die quantitative Bedeutung schlichter Parlamentsbeschlüsse offen. Dogmatisch lassen sich schlichte Parlamentsbeschlüsse als eigenständiges parlamentarisches Handlungsinstrument konturieren, das verfassungsrechtlich grundsätzlich zulässig, rechtlich jedoch unverbindlich ist. Im politischen Kontext entfalten sie hingegen durchaus Autorität. Die Arbeit beleuchtet deshalb auch die Anerkennungsgeschichte und Konsequenzen des Beschlusses, um ihn schließlich in den Kontext vergangenheitsbezogener Politik im Deutschen Bundestag zu rücken.
Table of Contents
Section Title | Page | Action | Price |
---|---|---|---|
Vorwort | 5 | ||
Inhaltsverzeichnis | 9 | ||
1. Teil: Einleitung | 15 | ||
A. Aghet | 15 | ||
I. Der Völkermord an den Armeniern als deutsches Thema | 17 | ||
II. Anerkennung als Ende des Verbrechens | 18 | ||
B. Der Völkermord an den Armeniern als Forschungsgegenstand der Rechtswissenschaft | 21 | ||
C. Gang der Untersuchung | 23 | ||
2. Teil: Die Causa Aghet | 25 | ||
A. Völkermordgeschichte | 25 | ||
I. Geopolitische und historische Grundlagen | 25 | ||
1. Christliche Identität des armenischen Volkes | 25 | ||
2. Das armenische Volk in der heutigen Zeit | 26 | ||
3. Armenisch-türkische Beziehungen | 28 | ||
II. Grundlagen der historischen Auseinandersetzung mit dem Völkermord an den Armeniern und seiner Rezeption in Deutschland | 29 | ||
1. Stand der historischen Forschung | 29 | ||
2. Völkermord-Debatte | 30 | ||
3. Rechtslage in Deutschland | 32 | ||
4. Keine Subsumtion unter heute geltendes Recht | 36 | ||
5. Aufarbeitung in Deutschland | 37 | ||
III. Ablauf des Völkermordes | 37 | ||
1. Vorgeschichte zum Völkermord an den Armeniern | 38 | ||
a) Ein zerworfenes Volk | 38 | ||
b) Die Armenier im Osmanischen Reich des 19. und 20. Jahrhunderts | 40 | ||
c) Unmittelbarer Vorlauf zum Beginn des Völkermords an den Armeniern im engeren Sinne | 41 | ||
aa) Erste Massaker 1894/95 | 41 | ||
bb) Machtergreifung durch die Jungtürken | 42 | ||
2. Der Völkermord an den Armeniern im engeren Sinne | 44 | ||
3. Aghet – Der erste Völkermord des 20. Jahrhunderts in Europa | 48 | ||
IV. Deutsche Bezüge zum Völkermord an den Armeniern | 48 | ||
1. Hitlers Funktionalisierung des Aghet | 49 | ||
2. Deutsches Kaiserreich und Osmanisches Reich gegen die Triple Entente | 50 | ||
3. Deutsche Wirtschaft und der Aghet | 51 | ||
4. Flucht der Hauptverantwortlichen nach Deutschland | 51 | ||
V. Entwicklungen nach dem Ende des Ersten Weltkriegs – Die Bedeutung des Völkermords an den Armeniern für Recht und Rechtswissenschaft | 52 | ||
1. Vertrag von Sèvres | 52 | ||
2. Vertrag von Lausanne | 53 | ||
3. Kriegstribunale | 53 | ||
VI. Der Aghet und die Konvention über die Verhütung und Bestrafung von Völkermorden der Vereinten Nationen | 54 | ||
1. Talaats Tod und Prozess gegen Tehlirian | 54 | ||
2. Ein neues Völkerstrafrecht für ein altes Verbrechen – Raphael Lemkins Genozidkonvention | 55 | ||
a) Aghet – Triebfeder für Lemkins Werk | 55 | ||
b) Dem Verbrechen einen Namen geben | 56 | ||
c) Partus des Straftatbestandes Völkermord | 57 | ||
d) Keine Subsumtion unter die Konvention | 59 | ||
VII. Fazit | 60 | ||
B. Anerkennungsgeschichte | 61 | ||
I. Historische Vorarbeit zur rechtspolitischen Auseinandersetzung mit dem Aghet – Zeitzeugenberichte und ihre Aufbereitung | 61 | ||
1. Berichterstattung über den Aghet | 62 | ||
2. Johannes Lepsius und der Völkermord an den Armeniern | 63 | ||
II. Außerparlamentarische Vorarbeit zur Anerkennung des Völkermords an den Armeniern | 66 | ||
III. Rechtlicher und rechtspolitischer Umgang mit dem Aghet von 1915 bis 2015 in deutschen Parlamenten | 68 | ||
1. Erste Anerkennungsbestrebungen 2002 | 69 | ||
2. 90 Jahre Genozid – Anträge aus dem Jahr 2005 | 70 | ||
a) Antrag der Fraktion CDU/CSU vom 22. Februar 2005 | 70 | ||
b) Antrag der Fraktionen SPD, CDU/CSU, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und FDP vom 15. Juni 2005 | 72 | ||
3. 95 Jahre Genozid – Begriffsdebatte und neue Eskalationsstufe | 73 | ||
a) Kleine Anfrage der Fraktion DIE LINKE vom 10. Februar 2010 | 73 | ||
b) Antwort der Bundesregierung vom 25. Februar 2010 | 75 | ||
c) Kleine Anfrage der Fraktion DIE LINKE vom 19. Mai 2010 (Nachfrage zu Bundestagsdrucksache 17/824) | 76 | ||
d) Antwort der Bundesregierung vom 4. Juni 2010 | 78 | ||
4. 99 Jahre Genozid – Ein Jahrhundert im Nacken | 79 | ||
a) Kleine Anfrage der Fraktion DIE LINKE vom 9. Dezember 2014 | 79 | ||
b) Antwort der Bundesregierung vom 13. Januar 2015 | 81 | ||
c) Kleine Anfrage der Fraktion DIE LINKE vom 5. Februar 2015 | 82 | ||
d) Antwort der Bundesregierung vom 23. Februar 2015 | 83 | ||
5. 100 Jahre Genozid – Keine Anerkennung trotz offener Worte | 84 | ||
a) Antrag der Fraktion DIE LINKE vom 18. März 2015 | 84 | ||
b) Antrag der Fraktionen CDU/CSU und SPD vom 21. April 2015 | 85 | ||
c) Antrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN vom 22. April 2015 | 86 | ||
d) 101. Sitzung des Deutschen Bundestages am 24. April 2015 | 87 | ||
e) Antrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN vom 25. Februar 2016 | 87 | ||
IV. Anerkennung des Völkermords am armenischen Volk durch Parlamentsbeschluss | 90 | ||
1. Anerkennungsbeschluss vom 2. Juni 2016 | 90 | ||
2. Stellungnahme der Bundesregierung vom 2. September 2016 | 91 | ||
3. Folgen des Dementi – Kritik aus Deutschland, Lob aus der Türkei | 94 | ||
4. Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 7. Dezember 2016 (Az. 2 BvR 1383/16) | 96 | ||
5. Armenische Reaktion auf die Anerkennung des Aghet als Völkermord | 96 | ||
V. Außenpolitische Erwägungen gegen eine Anerkennung | 96 | ||
1. Befürchtete Folgen der Anerkennung | 97 | ||
2. Tatsächliche Folgen der Anerkennung | 98 | ||
3. Fazit | 101 | ||
VI. Der Aghet vor dem OVG Berlin/Brandenburg | 101 | ||
VII. Fazit | 103 | ||
VIII. Internationaler Umgang mit dem Aghet | 104 | ||
1. Internationale Anerkennung des Völkermords an den Armeniern | 104 | ||
a) Anerkennung in Gesetzesform | 104 | ||
b) Anerkennung durch Parlamentsbeschluss | 105 | ||
c) Europäische Union | 106 | ||
d) Vatikan | 107 | ||
2. Fazit | 107 | ||
3. Teil: Parlamentarische Anerkennung in Form des schlichten Parlamentsbeschlusses | 108 | ||
A. Der schlichte Parlamentsbeschluss als parlamentarische Handlungsform | 109 | ||
I. Schlichte Parlamentsbeschlüsse aus juristischer Sicht | 110 | ||
II. Begriffsbestimmung | 110 | ||
1. Lösungsmodelle für eine Kategorisierung schlichter Parlamentsbeschlüsse | 111 | ||
2. Begriffspaare – Ungeeignete Form für die Systematisierung | 113 | ||
3. Enges Begriffsverständnis trotz weiter Begriffsbedeutung | 114 | ||
4. Kreationsakte | 115 | ||
III. Rezeption schlichter Parlamentsbeschlüsse in der Staatsrechtswissenschaft | 117 | ||
IV. Schlichte Parlamentsbeschlüsse – Hoheitsakte sui generis | 121 | ||
V. Parlamentspraxis | 122 | ||
VI. Fazit | 127 | ||
B. Kompetenz des Deutschen Bundestages zum Erlass schlichter Parlamentsbeschlüsse | 127 | ||
I. Schlichte Parlamentsbeschlüsse in der Verfassung | 128 | ||
1. Art. 42 GG als abstrakte Kompetenzzuweisung | 129 | ||
2. Keine Ermächtigung aus der Verbandskompetenz | 129 | ||
3. Keine generelle Ermächtigung aus der Geschäftsordnung des Bundestages | 130 | ||
4. Fazit | 131 | ||
II. Rechtsgrundlage aus ungeschriebenem Verfassungsrecht | 131 | ||
1. Zuständigkeit aus institutioneller Ausformung des Parlaments – Schlichte Parlamentsbeschlüsse im Lichte der Aufgaben des Deutschen Bundestages | 133 | ||
2. Kompetenz aus Verfassungsgewohnheitsrecht | 139 | ||
III. Grenzen der Zulässigkeit schlichter Parlamentsbeschlüsse | 140 | ||
1. Schlichte Parlamentsbeschlüsse im Bereich der Judikative | 140 | ||
2. Schlichte Parlamentsbeschlüsse im Bereich der Regierung | 141 | ||
a) Schlichte Parlamentsbeschlüsse im innenpolitischen Bereich | 141 | ||
b) Schlichte Parlamentsbeschlüsse im außenpolitischen Bereich | 144 | ||
c) Im Lichte des Gewaltenteilungsgrundsatzes – Schlichte Parlamentsbeschlüsse als Teil der Staatsleitung | 145 | ||
IV. Fazit | 150 | ||
C. Verbindlichkeit schlichter Parlamentsbeschlüsse | 151 | ||
I. Einigkeit bezüglich politischer Wirkung | 151 | ||
II. Eindeutig rechtsverbindliche Parlamentsbeschlüsse | 152 | ||
III. Eindeutig nicht rechtsverbindliche schlichte Parlamentsbeschlüsse | 153 | ||
1. Parlamentsbeschlüsse im Bereich der Judikative | 153 | ||
2. Keine Bindungswirkung gegenüber dem Einzelnen | 153 | ||
IV. Verbindlichkeit schlichter Parlamentsbeschlüsse | 154 | ||
1. Schlichte Parlamentsbeschlüsse wirken nur politisch-faktisch | 155 | ||
2. Parlamentsbeschlüsse als rechtsverbindliche Weisungen an die Bundesregierung | 155 | ||
3. Bindungswirkung aus Zielrichtung des Parlaments | 156 | ||
4. Bindungswirkung aus Vorhandensein eines Adressaten | 158 | ||
5. Bindungswirkung aus zeitlicher Nähe sowie keine Bindungswirkung im Bereich zustimmungsbedürftiger Gesetze – Das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 20. Januar 1961 | 159 | ||
6. Bindungswirkung aus dem Grundsatz der Organtreue | 160 | ||
7. Bindungswirkung aus parlamentarischer Kontrolle | 161 | ||
8. Keine Bindungswirkung ohne konkrete Grundlage | 162 | ||
a) Anforderung an die verfassungsrechtliche Grundlage – Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 12. Juli 1994 | 164 | ||
b) Einfluss der Europäisierung auf die verfassungsrechtlichen Rechte des Parlaments – Neuer Art. 23 Abs. 3 GG | 166 | ||
V. Fazit | 166 | ||
D. Tatsächliche Wirkungen schlichter Parlamentsbeschlüsse | 167 | ||
I. Potential des schlichten Parlamentsbeschlusses | 167 | ||
II. Hierarchieverständnis | 169 | ||
III. Politischer Inhalt – rechtliche Konsequenzen: Wahlfreiheit des Parlaments | 171 | ||
IV. Politische Wirkung schlichter Parlamentsbeschlüsse im Fokus | 173 | ||
4. Teil: Parlamentarischer Umgang der Bundesrepublik Deutschland mit Geschichte | 176 | ||
A. Historische Argumentationsmuster im Deutschen Bundestag | 177 | ||
B. Vergangenheit zwischen Geschichte, Recht und Politik | 182 | ||
I. Vergangenheitspolitik im Spannungsfeld der Disziplinen | 183 | ||
II. Aufarbeitung durch Gerichte | 186 | ||
III. Aufarbeitung jenseits des Gerichtssaals | 190 | ||
IV. Ergebnis | 192 | ||
C. Causa Aghet und Faktor Zeit | 197 | ||
D. Ausblick | 201 | ||
Zusammenfassung | 205 | ||
Literaturverzeichnis | 209 | ||
Stichwortverzeichnis | 226 |