Komplexitätsbewältigung in Großverfahren des Wirtschaftsstrafrechts
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Komplexitätsbewältigung in Großverfahren des Wirtschaftsstrafrechts
Schriften zum Prozessrecht, Vol. 258
(2020)
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Johannes Niemz studierte Rechtswissenschaften an der Freien Universität Berlin. Während des Referendariats im Bezirk des Kammergerichts war er unter anderem bei der Staatsanwaltschaft, im Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz sowie bei Großkanzleien in Berlin und Seoul tätig. In den Jahren 2017 bis 2019 promovierte er bei Prof. Dr. Tobias Singelnstein zur Problematik der besonders komplexen Großverfahren des Wirtschaftsstrafrechts und war Mitarbeiter an dessen Lehrstuhl für Kriminologie. Von 2017 bis 2019 war er als Strafverteidiger in Berlin tätig. Seit Januar 2020 arbeitet er als Richter des Landes Berlin.Abstract
Die Untersuchung analysiert die Probleme der Großverfahren des Wirtschaftsstrafrechts und macht die Besonderheiten der staatsanwaltschaftlichen und gerichtlichen prozessualen Bewältigung systematisch sichtbar. Als verbindendes Element der Schwierigkeiten wird die Komplexität der tatsächlichen Sachverhalte der Wirtschaftskriminalität identifiziert. Speziell die hohen Anforderungen der Wahrheitsermittlung überfordern die Rechtspraxis, solange ihr keine geeignete Methodik zum Umgang mit komplexen Sachverhalten zur Verfügung steht. Deshalb werden Erkenntnisse der Komplexitätsforschung erschlossen, statt den Diskurs um weitere Reformvorschläge zu ergänzen. Durch einen Transfer von komplexitätswissenschaftlichen Methoden werden heuristische Arbeitswerkzeuge für die Praxis entwickelt. So eröffnet sich eine neue Perspektive auf den prozessualen Umgang mit komplexen Sachverhalten der Wirtschaftskriminalität und es wird ein Beitrag zur besseren Bewältigung von komplexen Großverfahren geleistet.»Coping with Complexity in Major Cases of White-Collar Criminality«This study examines the problems of major cases of white-collar criminality and discusses how they are being handled in legal practice. A key finding is that the complexity of fact-finding in cases of economic crimes is overburdening the legal practitioners due to the lack of special coping-techniques. To fill that void and as an assistance especially to judges, the study is transferring knowledge from complexity science and is rephrasing it as heuristic tools for law practice.
Table of Contents
Section Title | Page | Action | Price |
---|---|---|---|
Vorwort und Danksagung | 5 | ||
Inhaltsverzeichnis | 7 | ||
§ 1 Einführung | 13 | ||
A. Einleitung | 13 | ||
B. Methodisches Vorgehen | 21 | ||
C. Verlauf der Untersuchung | 23 | ||
§ 2 Der Untersuchungsgegenstand: Großverfahren des Wirtschaftsstrafrechts | 25 | ||
A. Von der Geschichte über kriminalpolitische Ansichten bis hin zur Empirie der Großverfahren des Wirtschaftsstrafrechts | 25 | ||
I. Zur Geschichte der Großverfahren des Wirtschaftsstrafrechts | 25 | ||
II. Zur kriminalpolitischen Thematisierung von Großverfahren des Wirtschaftsstrafrechts | 30 | ||
III. Zur Empirie der Großverfahren des Wirtschaftsstrafrechts | 34 | ||
1. Bundesweite Erfassung von Wirtschaftsstraftaten nach einheitlichen Gesichtspunkten | 35 | ||
2. Studie von ter Veen zur Strukturanalyse strafrechtlicher Großverfahren am Landgericht Hamburg | 36 | ||
3. Untersuchung von Nehm/Senge zur Konfliktverteidigung | 38 | ||
4. Studie von Dölling/Feltes u. a. zur Dauer von Strafverfahren vor den Landgerichten | 39 | ||
5. Studie von Arenhövel/Otte zur Situation der Strafkammern der Landgerichte | 42 | ||
6. Studie von Theile/Nippgen zur Arbeitsweise der Wirtschaftsstrafkammern | 44 | ||
7. Staatliche Statistiken | 45 | ||
8. Zusammenfassung | 47 | ||
B. Definition des Untersuchungsgegenstandes | 48 | ||
I. Gesetzliche Anhaltspunkte | 49 | ||
1. Zuständigkeit der Wirtschaftsstrafkammer nach § 74c I Nr. 6 GVG | 50 | ||
2. Abstimmung nach § 213 II StPO und Opening Statement nach § 243 V 3 StPO | 50 | ||
3. Zusammenfassung | 52 | ||
II. Definitionsvorschlag | 52 | ||
1. Zugehörigkeit des Tatvorwurfes zum Wirtschaftsstrafrecht | 53 | ||
2. Merkmal der langen Dauer des Verfahrens | 54 | ||
3. Typische Randmerkmale | 55 | ||
4. Einzunehmende Perspektive | 55 | ||
5. Zusammenfassung | 56 | ||
C. Zwischenergebnis | 56 | ||
§ 3 Die Probleme von Großverfahren des Wirtschaftsstrafrechts und deren Ursachen | 58 | ||
A. Rechtliche Probleme in Großverfahren des Wirtschaftsstrafrechts | 59 | ||
I. Extension des materiellen Wirtschaftsstrafrechts | 59 | ||
II. Merkmale der besonderen Gesetzgebungstechnik im materiellen Wirtschaftsstrafrecht | 61 | ||
1. Einzelne Gesetzgebungstechniken und deren Ziele | 62 | ||
2. Fragliche Leistungsfähigkeit der Gesetzgebungstechniken | 65 | ||
a) Probleme bei der Konstruktion und Anwendung von wirtschaftsstrafrechtlichen Tatbeständen | 65 | ||
b) Rechtliche Komplexität als Folge der tatbestandlichen Konstruktion | 67 | ||
3. Zusammenfassung | 70 | ||
III. Außerstrafrechtliche Probleme und Probleme der strafrechtlichen Perspektive | 71 | ||
1. Außerstrafrechtliche Komplexität wirtschaftlicher Sachverhalte | 71 | ||
2. Reibungspunkte zwischen rechtlicher und wirtschaftlicher Sphäre | 72 | ||
3. Zusammenfassung | 75 | ||
IV. Bewertung | 76 | ||
B. Tatsächliche Probleme der Wirtschaftskriminalität in Großverfahren des Wirtschaftsstrafrechts | 77 | ||
I. Ermittlungs- und Nachweisprobleme durch anonyme Täter-Opfer-Beziehung | 78 | ||
II. Erschwerter Zugriff auf die Wirtschaftskriminalität durch schlechte Sichtbarkeit der Sachverhalte | 80 | ||
III. Komplexitätssteigerung durch Einbindung in Organisationen und deren Strukturen | 83 | ||
1. Organisationen als entgrenzte Schauplätze der Wirtschaftskriminalität | 83 | ||
2. Strukturen und Diffusion von Verantwortung | 84 | ||
3. Komplexität durch vervielfältigte Tatvorwürfe | 86 | ||
4. Zusammenfassung | 87 | ||
IV. Camouflage durch Umgehungs- und Scheinhandlungen | 88 | ||
V. Bewertung | 89 | ||
C. Prozessuale Probleme als Folge der rechtlichen und tatsächlichen Rahmenbedingungen | 90 | ||
I. Probleme des großen Umfangs | 90 | ||
1. Umfangreiches Ermittlungs- und Beweismaterial | 91 | ||
2. Umfangreiche Tatvorwürfe | 92 | ||
3. Zusammenfassung | 94 | ||
II. Probleme der langen Dauer | 95 | ||
1. Ursachen der langen Dauer | 96 | ||
2. Auswirkungen der langen Dauer | 97 | ||
a) Individuelle Auswirkungen: Entfremdung und Verlust von Lebendigkeit | 97 | ||
b) Prozessrechtliche Auswirkungen | 99 | ||
3. Zusammenfassung | 101 | ||
III. Probleme der Organisation und individuelle Probleme | 102 | ||
1. Organisatorische Probleme | 102 | ||
2. Individuelle Probleme | 104 | ||
3. Zusammenfassung | 105 | ||
IV. Verteidigung als Ursache und Problem der Großverfahren des Wirtschaftsstrafrechts? | 106 | ||
1. Erhöhte Beschwerdemacht und Frontenbildung | 106 | ||
2. Besonderes Verteidigungsverhalten in Großverfahren des Wirtschaftsstrafrechts | 108 | ||
3. Zusammenfassung | 111 | ||
V. Bewertung | 111 | ||
D. Zwischenergebnis – Komplexität als Wesensmerkmal von Großverfahren des Wirtschaftsstrafrechts | 112 | ||
§ 4 Die Komplexitätsbewältigung in Großverfahren des Wirtschaftsstrafrechts | 115 | ||
A. Komplexitätsbewältigung im Ermittlungsverfahren | 115 | ||
I. Komplexitätsbewältigung durch Einstellungen | 117 | ||
1. Einstellung nach §§ 153 I, 153a I StPO | 118 | ||
2. Einstellung nach §§ 154 I, 154a I StPO | 120 | ||
3. Zusammenfassung | 121 | ||
II. Komplexitätsbewältigung im Rahmen der Ermittlungstätigkeit und der Darstellung des Ermittlungsergebnisses | 125 | ||
1. Die staatsanwaltschaftliche Ermittlungsstrategie unter der Perspektive eines Großverfahrens | 126 | ||
a) Strategische Freiräume und faktische Hindernisse | 126 | ||
b) Möglichkeiten eines strategischen Vorgehens in Großverfahren des Wirtschaftsstrafrechts | 127 | ||
2. Strukturierung des Ermittlungsergebnisses | 130 | ||
3. Zusammenfassung | 131 | ||
III. Flankierende Maßnahmen | 131 | ||
IV. Bewertung | 133 | ||
B. Komplexitätsbewältigung im Hauptverfahren | 134 | ||
I. Komplexitätsbewältigung durch Organisation | 135 | ||
1. Terminierung und Verhandlungsplan | 135 | ||
2. Vorgespräche | 138 | ||
3. Systematisierung des Tatvorwurfs und Beweisprognose | 140 | ||
4. Organisation in der Wirtschaftsstrafkammer | 141 | ||
5. Verhandlungsleitung | 142 | ||
6. Zusammenfassung | 144 | ||
II. Komplexitätsbewältigung durch Beschränkung | 144 | ||
1. Beschränkungen des Tatvorwurfs | 144 | ||
2. Beschränkungen der Wahrheitsermittlung in der Beweisaufnahme | 146 | ||
a) Urkundenbeweis | 148 | ||
b) Zeugenbeweis | 152 | ||
c) Schätzungen und Zweifelsgrundsatz als Korrektive einer komplexen Beweiserhebung und Beweiswürdigung? | 153 | ||
d) Strafprozessuale Verständigung | 155 | ||
e) Beweisantragsrecht | 159 | ||
3. Zusammenfassung | 162 | ||
III. Komplexitätsbewältigung durch Kommunikation | 163 | ||
1. Kommunikation im Hauptverfahren | 164 | ||
2. Ansätze einer guten Kommunikationspraxis | 165 | ||
3. Bedingungen und Grenzen der Kommunikation | 167 | ||
4. Zusammenfassung | 167 | ||
IV. Bewertung | 168 | ||
C. Zwischenergebnis | 168 | ||
I. Komplexitätsbewältigung im Ermittlungs- und Hauptverfahren | 169 | ||
II. Kritik der de lege lata möglichen Komplexitätsbewältigung in Großverfahren des Wirtschaftsstrafrechts | 170 | ||
III. Reformideen als Konsequenzen der Kritik | 171 | ||
IV. Suche nach einem Ansatzpunkt für Verbesserungen | 177 | ||
§ 5 Der Wahrheitsbegriff des Strafverfahrens als Ansatzpunkt | 178 | ||
A. Wahrheitsbegriff der Praxis | 178 | ||
B. Plädoyer für den korrespondenztheoretischen Wahrheitsbegriff unter Heranziehung alltagstheoretischer Erkenntnisse | 181 | ||
C. Alltagstheorien als Hilfe in komplexen Entscheidungssituationen | 184 | ||
D. Zwischenergebnis | 187 | ||
§ 6 Die Komplexitätsforschung und ihre Erkenntnisse zur Komplexitätsbewältigung | 189 | ||
A. Gesellschaftliche Komplexitätsbeobachtungen | 190 | ||
I. Gesellschaft, Recht und Komplexität | 190 | ||
II. Probleme der Komplexitätsgesellschaft | 192 | ||
III. Bewertung | 193 | ||
B. Grundzüge der Komplexitätsforschung | 194 | ||
I. Einführung in die Komplexitätsforschung | 195 | ||
1. Grundhaltung der Komplexitätsforschung | 195 | ||
a) Das mechanistische Weltbild | 195 | ||
b) Das Leitbild der Komplexitätsforschung als Paradigmenwechsel | 197 | ||
2. Historische Entwicklung der Komplexitätsforschung | 200 | ||
3. Zusammenfassung: Komplexitätsforschung in der Gegenwart | 201 | ||
II. Schlüsselelemente der Komplexitätsforschung | 203 | ||
1. Chaostheorie | 203 | ||
a) Schmetterlingseffekt | 204 | ||
b) Tropfender Wasserhahn | 205 | ||
c) Zusammenfassung | 206 | ||
2. Emergenzforschung | 207 | ||
3. Fuzzy Logic | 209 | ||
4. Zusammenfassung | 211 | ||
III. Systeme als Schauplatz von Komplexität | 212 | ||
1. Systemverhalten – Nichtlinearität, Determinismus und Dynamik | 213 | ||
2. Systemstruktur – Vernetzung, Hierarchie, Intransparenz und Unschärfe | 216 | ||
3. Zusammenfassung | 218 | ||
IV. Bewertung | 218 | ||
C. Anwendbarkeit der Erkenntnisse der Komplexitätsforschung auf Sachverhalte der Wirtschaftskriminalität | 219 | ||
I. Sachverhalte der Wirtschaftskriminalität als komplexe Systeme | 219 | ||
II. Interdisziplinärer Theorientransfer | 221 | ||
1. Theorientransfer von der Komplexitätsforschung zur Rechtswissenschaft | 221 | ||
2. Transfermethoden | 224 | ||
III. Bewertung | 225 | ||
D. Erkenntnisse zur Erfassung und Bewältigung von Komplexität | 225 | ||
I. Methodische Erkenntnisse | 226 | ||
1. Eingeschränkter Reduktionismus | 226 | ||
2. Abstraktion | 229 | ||
3. Modellbildung | 231 | ||
4. Fuzzy Denkweise | 234 | ||
5. Technische Hilfsmittel | 236 | ||
II. Alltagstheorien zur Unterstützung der Wahrheitsermittlung in Großverfahren des Wirtschaftsstrafrechts | 238 | ||
1. Kausalität und Verantwortung in komplexen Sachverhalten | 239 | ||
2. Erkennen von Strukturen in komplexen Sachverhalten | 240 | ||
3. Komplexe wirtschaftliche Handlungssituationen | 240 | ||
4. Darstellung vervielfältigter Tatvorwürfe | 240 | ||
5. Umgang mit Imperfektion aufgrund von schlechter Sichtbarkeit und Camouflage | 241 | ||
§ 7 Zusammenfassung | 242 | ||
A. Ergebnisse der Untersuchung | 242 | ||
B. Einordnung und Ausblick | 250 | ||
Literaturverzeichnis | 253 | ||
Sachverzeichnis | 275 |