Die Grundlage der Einwilligung im Strafrecht
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Die Grundlage der Einwilligung im Strafrecht
Schriften zum Strafrecht, Vol. 353
(2020)
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I-Ning Liao studierte Rechtswissenschaft mit dem Nebenfach Chinesische Literatur an der National Taiwan University (Bachelor of Laws, 2004-2008; Master of Laws, 2008–2012, Titel der Masterarbeit: »Die Problematik bei der Anwendung des § 225 TStGB [Sexueller Missbrauch widerstandsunfähiger Personen]: Zur Begründung des Selbstbestimmungsrechts von Geistigbehinderten«). Anschließend absolvierte sie ein durch den Deutschen Akademischen Austauschdienst gefördertes Promotionsstudium an der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg, das sie im November 2019 mit der Verleihung des Doktortitels abschloss.Abstract
Einwilligung ist keine Befugnis zur Disposition über ein bestimmtes Rechtsgut, sondern ein Ausdruck der Selbstbestimmung des Verletzten, die auf dem Autonomieprinzip basiert. Selbstbestimmung ist andererseits auch die allgemeine Voraussetzung von Strafe. Ein Einwilligungsinstitut, das allgemeine Gültigkeit im Strafrecht hat, ist daher nur mit einer auf Autonomie beruhenden freiheitlichen Rechtsordnung vereinbar.Das Rechtsinstitut der Einwilligung geht aber nicht von einem abstrakten Selbstbestimmungsbegriff aus, sondern bezieht sich als ein normatives Konstrukt auf konkrete Selbstbestimmung. Das hieraus abgeleitete Einwilligungskonzept wird durch einen individualistischen Ansatz begründet und findet in der Idee der materiellen Freiheit der einzelnen Person begrifflich seine inneren Grenzen. § 216 StGB, der auf die Verhinderung der übereilten Entscheidung abzielt, ist in diesem Sinne als eine weiche paternalistische Maßnahme zur Gewährleistung der konkreten Selbstbestimmung zu verstehen.»The Basis of Consent in Criminal Law«The main purpose of this dissertation is to bridge the conventional theoretical gaps in explaining the institute of consent and to clarify the basis of the concept of consent and its limits. At the same time, the present work explains 1) the basis on which the criminal justice system must recognize the institute of consent and 2) which criminal theory shall be adopted, so that it can be compatible with the aforementioned basis. The legitimacy of § 216 StGB is discussed as an example.
Table of Contents
Section Title | Page | Action | Price |
---|---|---|---|
Vorwort | 5 | ||
Inhaltsverzeichnis | 7 | ||
Einleitung | 11 | ||
§ 1 Die Entwicklung der rechtlichen Gründe der Einwilligung | 15 | ||
A. Die Erforderlichkeit der Rekonstruierung der Einwilligungsbegründung: ein Systemdenken | 15 | ||
B. Die herkömmlichen Rechtsgründe der Einwilligung: ein Überblick | 18 | ||
C. Die Grundlage der Einwilligung in den zwei verschiedenen Ansätzen | 21 | ||
I. Zwei idealtypische Positionen: Individualismus und Kollektivismus | 21 | ||
II. Frühere Lehren | 24 | ||
1. Die kollektivistischen Ansätze | 24 | ||
2. Frühe Mindermeinung: Ein Versuch auf der Grundlage des individualistischen Ansatzes | 28 | ||
3. Fazit | 30 | ||
III. Die Abwägungslehre: Spiegelung auch der kollektivistischen Züge | 31 | ||
1. Einwilligung als eigenständiges Abwägungselement | 31 | ||
2. Unlösbarer Wertkonflikt | 33 | ||
IV. Die verfassungsrechtliche Ableitung der Hochschätzung der individuellen Handlungsfreiheit | 35 | ||
1. Einwilligung als ein verfassungsrechtlich begründetes eigenständiges „Rechtsgut“ | 35 | ||
2. Der scheinbare individualistische Ansatz | 37 | ||
V. Das Integrationsmodell der Einwilligung und der sogenannte liberale Rechtsgutsbegriff | 40 | ||
1. Die einzelnen Argumentationen | 41 | ||
2. Selbstbestimmung als das einzige Rechtsgut? | 47 | ||
D. Fazit | 48 | ||
§ 2 Die Selbstbestimmung im Gedankengang des Rechtsgüterschutzes | 49 | ||
A. Die Entstehung der Rechtsgutslehre im deutschen Strafrechtskontext | 50 | ||
B. Die kollektivistische Tendenz des Rechtsgüterschutzgedankens | 52 | ||
I. Die Isolierung des Rechtsguts von seinem „Träger“ | 52 | ||
II. Verlust des sozialen Kontextes im konkreten Rechtsverhältnis | 53 | ||
III. Die Zersplitterung des Strafrechtssystems | 55 | ||
IV. Funktion des Objekts statt Rechtsverhältnis zwischen Subjekten | 57 | ||
V. Fazit | 59 | ||
C. Liberalisierung des Rechtsgutsdenkens? | 60 | ||
I. Die Interessentheorie bei Liszt | 61 | ||
II. Ist ein systemkritischer Rechtsgutsbegriff möglich? | 62 | ||
III. Ergänzung mit der Gesellschaftsvertragstheorie? | 66 | ||
1. Das liberalistische Denken ausgehend von der Lockeschen Gesellschaftsvertragstheorie | 67 | ||
2. Die Verwirklichung der materiellen Freiheit kann nicht der höchste Maßstab des Rechtsgüterschutzes sein | 71 | ||
3. Der ontologische Fehler der Rechtsgutslehre und der unlösbare Konflikt zwischen den auf Empirismus beruhenden individuellen Freiheiten | 73 | ||
IV. Fazit | 75 | ||
D. Zwischenergebnis: Einwilligung ist keine Befugnis zur Disposition über ein bestimmtes Rechtsgut | 75 | ||
§ 3 Die Einwilligung in der Strafrechtsordnung basierend auf dem Autonomieprinzip | 78 | ||
A. Dogmatische Funktion und Struktur des Selbstbestimmungsgedankens | 78 | ||
B. Einwilligung als abstrakte Selbstbestimmung | 82 | ||
I. Der Rechtsbegriff Kants als Vorbild eines abstrakten Begriffs rechtlicher Selbstbestimmung | 82 | ||
II. Dogmatische Ansätze zur Begründung der Einwilligung aus der abstrakten Selbstbestimmung | 86 | ||
III. Die Problematik der Abstraktheit der Selbstbestimmung | 90 | ||
1. Abstraktheit und Formalität des allgemeinen Rechtsprinzips | 90 | ||
2. Inkonsistenz der Argumentation beim Ansatz der abstrakten Selbstbestimmung | 92 | ||
IV. Fazit | 96 | ||
C. Einwilligung als konkrete Selbstbestimmung | 96 | ||
I. Hegels Gedankengang als Vorbild des Ansatzes der konkreten Selbstbestimmung | 96 | ||
1. Hegels Kritik an Kants Rechtsbegriff | 96 | ||
2. Die begrifflich-konkrete Bestimmtheit des Rechts bei Hegel | 98 | ||
II. Die normative Bestimmung der Autonomie und ihre Verwirklichungsbedingungen | 99 | ||
III. Konkrete Inhalte der Selbstbestimmung und die Abstufung der Anforderungen an die Einwilligungswirksamkeit | 103 | ||
1. Normative Abstufung nach verschiedenen betroffenen Rechtskreisen | 103 | ||
2. Die herkömmliche Unterscheidung der Einwilligungsarten als Beweis für die Abstufung | 105 | ||
3. Wille des Verletzten, Handlung des Eingreifenden und konkrete Situation als eine Einheit | 108 | ||
IV. Fazit | 110 | ||
§ 4 Begründung der Einwilligungsgrenze | 112 | ||
A. Externe und interne Begründungen der Einwilligungsgrenze | 112 | ||
B. Externe Grenzbegründungen | 114 | ||
I. Kollektivinteresse an Leben und körperlicher Unversehrtheit des Einzelnen | 114 | ||
1. Entwicklung der Argumente | 114 | ||
2. Kritik | 117 | ||
II. Das Tabuargument | 120 | ||
1. Tötung als Tabu: Historischer Hintergrund | 120 | ||
2. Das moderne Verständnis des Tötungstabus | 122 | ||
3. Legitimationsdefizit des Tabuarguments | 123 | ||
III. Die Gefahr des Missbrauchs und das Dammbruchargument | 127 | ||
1. Der Hintergrund des Arguments | 127 | ||
2. Die Gründe des Dammbrucharguments | 129 | ||
3. Legitimationsdefizit des Dammbrucharguments | 130 | ||
IV. Absolute Schutzwürdigkeit des Rechtsguts Leben? | 131 | ||
1. Heiligkeit menschlichen Lebens? | 132 | ||
2. Verfassungsrechtlicher Schutz des Lebens? | 133 | ||
3. Die Einzigartigkeit menschlichen Lebens? | 135 | ||
4. Vermeidung der Instrumentalisierung des Lebens? | 138 | ||
5. Fazit | 139 | ||
C. Interne Grenzbegründung | 139 | ||
I. Köhlers Ansatz: Selbstverfügungsverbot aufgrund der Selbstzweckformel als Rechtspflicht gegen sich selbst | 140 | ||
1. Pflicht gegen sich selbst aus Gründen der Vernunft | 140 | ||
2. Keine zwingende Verbindung zwischen Selbstzweckhaftigkeit und physischer Existenz des Menschen | 144 | ||
3. Der Weg zur Wirklichkeit des Freiheitsgebrauchs | 146 | ||
II. Begründung aus der gesellschaftlich realen Freiheit: Antwort auf die Frage nach dem Paternalismus | 147 | ||
1. Zweifel am Schutz vor sich selbst und Formen des Paternalismus | 147 | ||
2. Der negative Freiheitsbegriff und der Antipaternalismus | 149 | ||
3. Der reale Freiheitsbegriff und die rechtliche Zulässigkeit des Paternalismus | 151 | ||
4. Wohlfahrt und Freiheit | 154 | ||
5. Der Schutz des Einzelnen vor Übereilung | 157 | ||
a) Begründung aus dem positiven Freiheitsbegriff | 157 | ||
b) Grundlage des Arguments: Konkretes Risiko der mangelnden Vollzugsreife für die freie Selbstbestimmung und die Notwendigkeit der Intervention im Sinne eines weichen Paternalismus | 158 | ||
c) Gegenstand der paternalistischen Maßnahmen: Selbstentschiedene Lebensbeendigung durch einen Dritten – veränderte Zuständigkeitsverteilung | 161 | ||
d) Die Freiwilligkeitsbeurteilung mit Hilfe der Rationalität des Verhaltens und die teleologische Reduktion des § 216 StGB | 164 | ||
e) Fazit | 166 | ||
D. Forschungsergebnis: Die Einheit der Einwilligungsgrundlage und der Begründung ihrer Grenzen | 166 | ||
Zusammenfassung | 168 | ||
Literaturverzeichnis | 173 | ||
Stichwortverzeichnis | 188 |