Strafverfahrensrecht und demografischer Wandel
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Strafverfahrensrecht und demografischer Wandel
Ältere Beschuldigte im Ermittlungsverfahren
Schriften zum Prozessrecht, Vol. 269
(2020)
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Sebastian Kretzschmann studierte ab dem Wintersemester 2009/2010 Rechtswissenschaften mit dem Schwerpunkt »Strafverfahren und praxisrelevante Nebengebiete des Strafrechts« an der Universität zu Köln und legte im Jahr 2014 die staatliche Pflichtfachprüfung vor dem Justizprüfungsamt des Oberlandesgerichts Köln ab. Nach einem anschließenden Master-Studium (LL.M. im Wirtschaftsrecht) erfolgte die Promotion im Jahr 2019 mit einer Dissertation zum Strafprozessrecht. Seit Februar 2019 ist er Rechtsreferendar im Bezirk des Oberlandesgerichts Köln.Abstract
Die Untersuchung nimmt ein zunehmend an Bedeutung gewinnendes Phänomen in den Blick: Indem die gesellschaftliche Struktur der Bundesrepublik Deutschland demografisch bedingt ein stetig steigendes Durchschnittsalter der Bevölkerung erfährt, wird sich auch die Strafjustiz künftig mit durchschnittlich immer älteren Tätern und Opfern konfrontiert sehen. Während die Kriminalität gegen ältere Personen bereits seit geraumer Zeit Gegenstand wiederkehrender medialer Berichterstattung ist (siehe bspw. »Enkeltrick«), steht der ältere Mensch als Täter einer Straftat allenfalls punktuell im Fokus der öffentlichen Betrachtung. Aus der Eigenschaft des Täteralters resultieren jedoch kontinuierlich wachsende Probleme, für die auf Dauer keine bloß einzelfallbezogenen Lösungen gefunden werden können. Die Dissertation beleuchtet diesen Themenkomplex im Bereich des Ermittlungsverfahrens schwerpunktmäßig für Fragen des Vernehmungs- und Untersuchungshaftrechts und gibt zudem einen Ausblick auf strafprozessrechtliches Änderungspotenzial.»Criminal Proceedings and Demographic Change: Elderly Defendants in Preliminary Proceedings«As the social structure of the Federal Republic of Germany is experiencing a demographically induced steady increase in the average age of its population, the criminal justice system will be confronted with elderly perpetrators and victims more frequently in the future. This dissertation examines this complex of issues in the area of German criminal procedural law, focusing on questions regarding the law of interrogation and pre-trial custody. In addition, a future prospect on possible changes in criminal procedural law is given.
Table of Contents
Section Title | Page | Action | Price |
---|---|---|---|
Vorwort | 7 | ||
Inhaltsverzeichnis | 9 | ||
Kapitel 1: Die aktuelle demografische Struktur in Deutschlandund ihr Einfluss auf das Strafprozessrecht | 15 | ||
A. Gesellschaftsbild und Rechtsentwicklungen | 15 | ||
B. Strukturelle Einflüsse des demografischen Wandels | 17 | ||
C. Gang und Ziel der Untersuchung | 20 | ||
D. Bevölkerungsstruktur Deutschlands im Wandel | 21 | ||
I. Aktuelle Altersstruktur | 21 | ||
II. Künftige Altersstruktur | 22 | ||
III. Zwischenbefund | 22 | ||
IV. Beispiele aus der Gerichtspraxis | 23 | ||
1. Fall 1: AG Hamburg | 23 | ||
2. Fall 2: LG Ellwangen, Beschl. v. 27.02.2014 – Az.: 1 Ks 9 Js 94162/12: NS-Verfahren | 23 | ||
V. Problemaufriss | 24 | ||
E. Verfassungsrechtliche Schutzpflichten des Staates | 25 | ||
I. Das Recht auf ein faires Verfahren | 26 | ||
1. Allgemeines | 26 | ||
2. Rechtliche Garantien des Fair-Trial-Grundsatzes | 27 | ||
3. Die Anwendung des Fair-Trial-Grundsatzes auf ältere Beschuldigte | 28 | ||
a) Die Entscheidungsmöglichkeiten über die Nichteröffnung des Hauptverfahrens bzw. die nachträgliche Verfahrenseinstellung | 28 | ||
b) Regelungen über die Anwesenheit des Beschuldigten im Hauptverfahren | 29 | ||
4. Zwischenbefund | 30 | ||
F. Bedürfnis zur Berücksichtigung des Alters auf materiell-strafrechtlicher Ebene | 30 | ||
I. Akzessorische Verbindung zwischen materiellem und formellem Strafrecht | 31 | ||
1. Bedeutung auf der Strafbegründungsebene | 31 | ||
a) Einführungsmöglichkeit einer erweiterten strukturanalogen Schuldunfähigkeitsnorm nach § 19 StGB | 31 | ||
b) Zwischenbefund | 32 | ||
c) Strukturanaloge Norm zu § 19 StGB mit lediglich fakultativer Ausrichtung | 33 | ||
d) Abkehr von der Unwiderleglichkeitsvermutung nach Beck | 33 | ||
e) § 20 StGB als mögliche Lösung für ältere Beschuldigte | 34 | ||
f) Zwischenbefund | 34 | ||
2. Bedeutung auf der Strafzumessungsebene | 35 | ||
a) Die „persönlichen Verhältnisse“ des Täters als möglicher Anknüpfungspunkt | 35 | ||
b) Strafrechtstheoretische Betrachtung: Die Strafzwecke | 36 | ||
aa) Absolute Strafzwecktheorien | 37 | ||
bb) Relative Strafzwecktheorien | 37 | ||
(1) Strafzwecktheorie: Positive Generalprävention | 37 | ||
(aa) Allgemeines | 37 | ||
(bb) Anwendbarkeit auf ältere Beschuldigte | 38 | ||
(2) Strafzwecktheorie: Negative Generalprävention | 38 | ||
(aa) Allgemeines | 38 | ||
Kapitel 2: Zur Problematik der Vernehmung älterer Beschuldigter | 43 | ||
A. Grundzüge und allgemeine rechtliche Grundlagen des Rechts der Beschuldigtenvernehmung | 43 | ||
I. Begriff | 43 | ||
II. Zweck und Zeitpunkt der Vernehmung | 44 | ||
III. Relevante Rechtsvorschriften | 44 | ||
B. Problemaufriss | 45 | ||
C. Die Anwendung kriminalistischer List im Lichte des § 136a StPO | 46 | ||
I. Zum Begriff und Ziel der kriminalistischen List | 46 | ||
1. Begriff | 46 | ||
2. Ziel | 46 | ||
II. Kriminalistische List in Abgrenzung zur Täuschung nach § 136a Abs. 1 StPO | 47 | ||
1. Begriff und rechtliche Einordnung der Täuschung | 47 | ||
2. Abgrenzung zwischen kriminalistischer List und Täuschung | 49 | ||
D. Die Zulässigkeit von kriminalistischer List zum Nachteil älterer Beschuldigter | 50 | ||
I. Problemaufriss | 50 | ||
II. Lösungsmöglichkeiten | 51 | ||
1. Rechtliche Lösungsvorschläge auf der normativen Ebene | 51 | ||
a) Allgemein normunabhängiger Lösungsansatz: Grundsätzliches Ermittlungsverbot gegen ältere Beschuldigte | 51 | ||
aa) Vorschlag | 51 | ||
bb) Bewertung | 52 | ||
cc) Zwischenbefund | 54 | ||
b) Spezifisch normabhängige Lösungsansätze | 54 | ||
aa) Einschränkung kriminalistischer List auf der Tatbestandsebene | 54 | ||
(1) Verortung in der Strafprozessordnung | 55 | ||
(2) Verortung außerhalb der Strafprozessordnung | 55 | ||
(3) Verortung in den Dienstvorschriften für polizeiliche Ermittlungstätigkeit | 56 | ||
(aa) Regelungsbereich der Polizeidienstvorschrift Nr. 382 | 56 | ||
(bb) Strukturelle Übertragbarkeit auf Beschuldigte höheren Alters | 57 | ||
(cc) Zwischenbefund | 58 | ||
(dd) Unzulässigkeit bestimmter Fragetechniken | 59 | ||
(ee) Plädoyer für eine Aufnahme in PDV | 60 | ||
(ff) Zwischenbefund | 60 | ||
(4) Verortung in den Richtlinien für das Strafverfahren und das Bußgeldverfahren für staatsanwaltschaftliche Ermittlungstätigkeit(RiStBV) | 61 | ||
(5) Alternativ: Genereller Verzicht auf kriminalistische List | 61 | ||
(6) Zwischenbefund | 62 | ||
2. (Ergänzende) Ansätze auf der Rechtsfolgenseite | 62 | ||
a) Absolutes Beweisverwertungsverbot nach § 136a Abs. 3 S. 2 StPO | 62 | ||
aa) Direkte Anwendung der Norm | 63 | ||
bb) Analoge Anwendung der Norm | 63 | ||
cc) Zwischenbefund | 65 | ||
b) Beweisverwertungsverbot nach der Abwägungslehre | 65 | ||
aa) Allgemeine Grundlagen zur Abwägungslehre | 65 | ||
bb) Abwägungsparameter für die Betroffenen | 66 | ||
cc) Abwägungsparameter für den Staat | 66 | ||
dd) Kritik an der Abwägungslehre | 66 | ||
ee) Anwendbarkeit der Abwägungslehre auf ältere Beschuldigte | 67 | ||
c) Zwischenbefund | 67 | ||
E. Lösungsvorschlag :Erstreckung der notwendigen Verteidigungnach § 140 StPO auf das Ermittlungsverfahren | 68 | ||
I. Allgemeine rechtliche Grundsätze der notwendigen Verteidigung | 68 | ||
II. Struktureller Aufbau des § 140 StPO | 68 | ||
III. Notwendige Verteidigung für Beschuldigte höheren Lebensalters | 70 | ||
1. Materiell-rechtliche Möglichkeiten | 70 | ||
2. Formell-rechtliche Situation | 70 | ||
3. Zwischenbefund | 72 | ||
4. Antragskompetenz | 72 | ||
5. Aufwertung der bloßen Beiordnungsmöglichkeit zu einer Beiordnungspflicht im Ermittlungsverfahren | 72 | ||
a) Generelle Beiordnungspflicht unabhängig vom Lebensalter | 73 | ||
b) Generelle Beiordnungspflicht in Abhängigkeit vom Lebensalter | 73 | ||
c) Einzelfallbezogene Beiordnungspflicht bei konstitutioneller Schwäche | 74 | ||
d) Bewertung | 74 | ||
6. Verfahrensrechtlicher Ansatz | 75 | ||
7. Zwischenbefund | 76 | ||
8. Sonderproblem: Eigenes Antragsrecht des Beschuldigten | 76 | ||
IV. Europarechtliche Änderungstendenzen im Bereich der notwendigen Verteidigung | 78 | ||
F. Ergebnis zu Kapitel 2 | 78 | ||
Kapitel 3: Problematiken im Zusammenhang mit der Anordnung von Untersuchungshaft gegen ältere Beschuldigte | 80 | ||
A. Einleitung | 80 | ||
I. Statistik und allgemeine Grundlagen | 80 | ||
II. Historische Entwicklung | 82 | ||
III. Wirkungen der Untersuchungshaft undBezug zum Untersuchungsgegenstand | 83 | ||
B. Anordnungsvoraussetzungen der Untersuchungshaftnach §§ 112 ff. StPO | 84 | ||
I. Dringender Tatverdacht | 84 | ||
II. Zwischenbefund | 85 | ||
III. Haftgrund | 85 | ||
1. Haftgrund nach § 112 Abs. 2 Nr. 1 StPO: Flucht | 86 | ||
2. Haftgrund nach § 112 Abs. 2 Nr. 2 StPO: Fluchtgefahr | 86 | ||
a) Allgemeine (Kontra-)Indizien | 87 | ||
b) Übertragung auf die Alterskriminalität | 87 | ||
c) Zwischenbefund | 88 | ||
d) Bewertungskriterium: Gesundheitliche Verfassung und Lebensalter | 88 | ||
e) Ergänzendes Bewertungskriterium: Armutsrisiko | 89 | ||
f) Ergänzendes Bewertungskriterium: Rechtsfolgenerwartung | 89 | ||
g) Zwischenbefund | 91 | ||
3. Haftgrund nach § 112 Abs. 2 Nr. 3 StPO: Verdunkelungsgefahr | 91 | ||
4. Haftgrund nach § 112 Abs. 3 StPO: Tatschwere | 91 | ||
a) Allgemeine Grundlagen | 91 | ||
b) Übertragbarkeit ins Altersstrafrecht | 92 | ||
5. Haftgrund nach § 112a StPO: Wiederholungsgefahr | 93 | ||
a) Allgemeine Grundlagen | 93 | ||
b) Übertragbarkeit auf die Alterskriminalität | 94 | ||
IV. Zwischenbefund | 94 | ||
V. Verhältnismäßigkeit | 95 | ||
1. Allgemeine Grundlagen | 95 | ||
2. Übertragbarkeit auf die Alterskriminalität | 95 | ||
VI. Zwischenbefund | 98 | ||
C. Möglichkeiten der Außervollzugsetzung von Haftbefehlen nach § 116 StPO | 99 | ||
I. Allgemeine Grundlagen | 99 | ||
II. § 116 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 und 2 StPO: Meldeauflage und Aufenthaltsbeschränkung | 101 | ||
III. § 116 Abs. 1 S. 2 Nr. 3 StPO: Pflicht, die Wohnung nur unter Aufsicht zu verlassen | 101 | ||
IV. § 116 Abs. 1 S. 2 Nr. 4 StPO: Leistung einer angemessenen Sicherheit | 102 | ||
V. Problem: Sicherheitsleistung in Fällen von Alterskriminalität | 104 | ||
VI. Zwischenbefund | 106 | ||
D. Befund | 107 | ||
I. Vorüberlegung: Genereller Verzicht auf Untersuchungshaft bei älteren Beschuldigten | 107 | ||
1. Die Honecker-Entscheidung des BerlVerfGH vom 12.01.1993 | 107 | ||
a) Absoluter Haftaufhebungsgrund bei Verstoß gegen die Menschenwürde nach Art. 1 Abs. 1 GG | 109 | ||
b) Verfahrenshindernis wegen Alters und daraus resultierender begrenzter Lebenserwartung | 112 | ||
c) Bewertung | 112 | ||
II. Zwischenbefund | 114 | ||
III. Partieller Verzicht auf Untersuchungshaft | 114 | ||
1. Allgemeine Grundlagen zu § 72 JGG | 115 | ||
2. Grundsätze der Verhältnismäßigkeit und Subsidiarität der Untersuchungshaft im Jugendstrafrecht | 115 | ||
3. Grundsatz der beschleunigten Verfahrensdurchführung | 117 | ||
4. Zwischenbefund | 120 | ||
5. Legislatorische Einschränkungen der Untersuchungshaftim Jugendstrafrecht | 120 | ||
6. Übertragbarkeit der Grundsätze auf die Alterskriminalität | 122 | ||
a) Grundsatz der Subsidiarität | 122 | ||
b) Einführung einer strukturanalogen Altersgrenze | 124 | ||
c) Grundsatz der beschleunigten Verfahrensdurchführung | 125 | ||
7. Zwischenbefund | 126 | ||
IV. Elektronische Aufenthaltsüberwachungals Gesamtmaßnahme | 127 | ||
1. Allgemeine Grundlagen | 127 | ||
2. Besonderer Fall der elektronischen Aufenthaltsüberwachung: der elektronische Hausarrest | 128 | ||
a) Allgemeine Grundlagen | 129 | ||
b) Übertragbarkeit auf die Alterskriminalität | 129 | ||
c) Zwischenbefund | 132 | ||
Kapitel 4: Ergänzende prozessuale Erleichterungen | 134 | ||
A. Verfahrensrechtliches Potenzial de lege lata | 134 | ||
I. Das beschleunigte Verfahren nach §§ 417 ff. StPO | 135 | ||
1. Allgemeine Grundlagen | 135 | ||
2. Übertragbarkeit auf die Alterskriminalität | 136 | ||
3. Zwischenbefund | 137 | ||
II. Das Strafbefehlsverfahren nach §§ 407 ff. StPO | 137 | ||
1. Allgemeine Grundlagen | 137 | ||
2. Übertragbarkeit auf die Alterskriminalität | 139 | ||
3. Zwischenbefund | 140 | ||
B. Verfahrensrechtliches Potenzial de lege ferenda | 141 | ||
I. Vorschlag: Einführung eines „modifizierten Seniorenstrafverfahrens“ | 141 | ||
1. Allgemeine Grundlagen zum „vereinfachten Jugendverfahren“ | 141 | ||
2. Übertragbarkeit wesentlicher Grundgedanken auf die Alterskriminalität | 142 | ||
3. Obligatorischer Übergang ins Strafbefehlsverfahren in Fällen der Alterskriminalität | 143 | ||
4. Novellierung von Diversions- oder diversionsähnlichen Tatbeständen | 145 | ||
a) Allgemeine Grundlagen | 145 | ||
b) Strukturanaloge Übertragbarkeit auf die Alterskriminalität | 146 | ||
5. Errichtung besonderer Spruchkörper mit Alterskompetenz | 147 | ||
a) Allgemeine Grundlagen | 147 | ||
b) Übertragbarkeit auf die Alterskriminalität | 149 | ||
6. Befund zu Kapitel 4 | 151 | ||
Kapitel 5: Schlussbetrachtung | 152 | ||
A. Zusammenfassung der zentralen Befunde | 152 | ||
B. Ausblick | 155 | ||
Literaturverzeichnis | 156 | ||
Sachverzeichnis | 166 |