Die Schuldfähigkeit substanz- und glücksspielabhängiger Täter bei Beschaffungsdelikten
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Die Schuldfähigkeit substanz- und glücksspielabhängiger Täter bei Beschaffungsdelikten
Eine Integration der Ergebnisse neurowissenschaftlicher Suchtforschung in die Schuldfähigkeitsbeurteilung nach kompatibilistischem Verständnis
Schriften zum Strafrecht, Vol. 364
(2021)
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Paul Wissel studierte Rechtswissenschaften an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf. Nach Abschluss des ersten Staatsexamens im Mai 2016 war er von Juli 2016 bis September 2020 am Lehrstuhl für Strafrecht und Strafprozessrecht bei Prof. Dr. Helmut Frister sowie am Institut für Rechtsfragen der Medizin als wissenschaftlicher Mitarbeiter tätig. Im Oktober 2019 nahm er seinen Vorbereitungsdienst im Bezirk des Oberlandesgerichts Düsseldorf auf, unter anderem mit Stationen beim Landgericht Düsseldorf, bei der Staatsanwaltschaft Düsseldorf und bei den Kanzleien Wessing und Partner sowie Kapellmann und Partner.Abstract
Trotz beachtlicher Fortschritte in der Suchtforschung hält der Bundesgerichtshof in seiner Rechtsprechung seit Jahrzehnten unverändert an der These fest, dass Abhängigkeitsstörungen die Schuldfähigkeit des Täters bei Beschaffungsdelikten grundsätzlich nicht beeinträchtigen können. Dazu statuiert er ein Konzept von Ausnahmen, deren Anwendung erhebliche Probleme aufwirft. Diesem Ansatz stellt Paul Wissel ein neues, die aktuellen Erkenntnisse neurobiologischer Suchtforschung integrierendes System gegenüber. Unter Zugrundelegung eines Begriffs von Schuldfähigkeit, der mit der Unbeweisbarkeit von Willensfreiheit im indeterministischen Sinne kompatibel ist, werden die Kriterien für die verschiedenen Schritte der Beurteilung einer Substanz- bzw. Glücksspielabhängigkeit herausgearbeitet. Dabei zeigt sich, dass Abhängigkeitsstörungen hinsichtlich nicht besonders schwerwiegender Beschaffungstaten regelmäßig zu einer erheblichen Verminderung der Schuldfähigkeit führen.»The Culpability of Substance- and Gambling Addicted Persons in Procurement Offences. An Integration of the Results of Neuroscientific Addiction Research into the Assessment of Guilt According to Compatibilistic Understanding«In contrast to the jurisdiction of the Federal Court of Justice, Paul Wissel develops a new approach to the assessment of the culpability of substance- and gambling addicted persons in procurement offences. Starting from a concept of culpability that is compatible with the unprovability of freedom of will in an indeterministic sense, he addresses current findings in neurobiological addiction research and elaborates the criteria for the assessment of addiction.
Table of Contents
Section Title | Page | Action | Price |
---|---|---|---|
Vorwort | 5 | ||
Inhaltsverzeichnis | 7 | ||
A. Einleitung | 11 | ||
I. Neurowissenschaften, Willensfreiheit und Schuld | 12 | ||
II. Begriffsbestimmung Abhängigkeit | 16 | ||
III. Abhängigkeitsstörungen und Kriminalität | 17 | ||
IV. Gang der Untersuchung | 21 | ||
B. Wissenschaftliche Standards zu Abhängigkeitsstörungen | 23 | ||
I. Suchtverständnis – eine Frage der Perspektive | 23 | ||
II. Neurobiologie von Abhängigkeit | 26 | ||
1. Das Brain-Disease-Modell von Abhängigkeit | 26 | ||
a) Die pathologische Veränderung des dopaminergen Motivationssystems als Ursache von Abhängigkeit | 27 | ||
b) Schlussfolgerungen für das Suchtverständnis | 33 | ||
2. Reichweite eines neurobiologischen Erklärungsmodells | 36 | ||
a) Gültigkeit im Bereich der Substanzabhängigkeit | 36 | ||
b) Gültigkeit für Glücksspielabhängigkeit | 38 | ||
III. Klassifizierung von Abhängigkeit | 42 | ||
1. Klassifizierung in der ICD-10 | 42 | ||
a) Substanzabhängigkeit | 42 | ||
b) Glücksspielabhängigkeit | 44 | ||
2. Klassifizierung im DSM-5 | 45 | ||
a) Substanzabhängigkeit | 45 | ||
b) Glücksspielabhängigkeit | 47 | ||
IV. Praktische Feststellbarkeit einer forensisch relevanten Abhängigkeitsstörung | 48 | ||
1. Zuziehung eines psychiatrischen Sachverständigen | 49 | ||
2. Bedeutung der Klassifikationssysteme für die psychiatrische Begutachtung | 54 | ||
a) Verwendung als „gemeinsame Sprache“ | 55 | ||
b) Verwendung als Kriterienkatalog | 58 | ||
3. Untersuchungsmethoden | 60 | ||
V. Zwischenergebnis | 65 | ||
C. Die Rechtsprechung des BGH zur Schuldfähigkeit abhängiger Täter | 67 | ||
I. Die ständige Rechtsprechung zur Schuldfähigkeit substanzabhängiger Täter | 67 | ||
1. Schwerste Persönlichkeitsveränderungen | 68 | ||
2. Akute Rauschzustände | 69 | ||
3. Starke Entzugserscheinungen | 71 | ||
4. Angst vor Entzugserscheinungen | 71 | ||
5. Zusammenfassung und Resonanz in der Literatur | 74 | ||
II. Die ständige Rechtsprechung des BGH zur Schuldfähigkeit glücksspielabhängiger Täter | 76 | ||
D. Alternative Beurteilung der Schuldfähigkeit abhängiger Täter | 79 | ||
I. Ausgangspunkt der Schuldfähigkeitsbeurteilung | 79 | ||
1. Das herkömmliche Verständnis von Schuldfähigkeit | 80 | ||
a) Die Eingangsmerkmale des § 20 StGB | 80 | ||
b) Einsichts- und Steuerungsfähigkeit | 84 | ||
aa) Fähigkeit als ein unabhängig von der Willensfreiheit bestimmbarer Begriff | 86 | ||
bb) Die indeterministische Prämisse des herkömmlichen Verständnisses | 87 | ||
2. Schuldfähigkeit als normative Ansprechbarkeit | 89 | ||
3. Schuldfähigkeit als Fähigkeit zu einem hinreichend rationalen Entscheidungsprozess | 93 | ||
II. Die Fähigkeit zu einem rationalen Entscheidungsprozess als psychologisches Substrat der Schuldfähigkeit | 99 | ||
1. Die psychologische Struktur rationaler Entscheidungsprozesse | 101 | ||
2. Beeinträchtigung der Fähigkeit zu einem rationalen Entscheidungsprozess durch Abhängigkeitsstörungen | 104 | ||
a) Die typischen Auswirkungen von Abhängigkeitsstörungen | 104 | ||
b) Der notwendige Zusammenhang zwischen Störung und Tat | 109 | ||
aa) Direkte Beschaffungsdelikte | 110 | ||
bb) Indirekte Beschaffungsdelikte | 111 | ||
cc) Sonstige Kriminalität | 113 | ||
c) Einordnung sonstiger psychopathologischer Folgen (chronischen) Suchtmittelgebrauchs | 115 | ||
d) Praktische Feststellung im Einzelfall | 120 | ||
3. Zwischenergebnis | 122 | ||
III. Das für die Schuldfähigkeit hinreichende Ausmaß an Rationalität | 122 | ||
1. Die Schwere der Tat als abstraktes Kriterium für die Zuerkennung von Schuldfähigkeit | 125 | ||
2. Zurechnungsschwellen bei der Schuldfähigkeit substanz- und glücksspielabhängiger Täter | 130 | ||
a) Regelmäßig erheblich verminderte Schuldfähigkeit (§ 21 StGB) | 130 | ||
b) Ausnahme besonders schwerwiegender Beschaffungstaten | 132 | ||
c) Exkurs: Strafbarkeit des Eigenkonsums | 133 | ||
3. Einzelfragen der Schuldfähigkeitsbeurteilung | 138 | ||
a) Die Teilbarkeit der Schuldfähigkeitsbeurteilung | 138 | ||
b) Der Grundsatz „in dubio pro reo“ | 139 | ||
c) Die Aufgabenverteilung zwischen Richter und Sachverständigem | 141 | ||
IV. Berücksichtigung von Vorverschulden bei Abhängigkeitsstörungen | 142 | ||
1. Die actio libera in causa bei Abhängigkeitsstörungen | 143 | ||
2. Verschärfung des abstrakten Zurechnungsmaßstabs wegen Vorverschuldens? | 149 | ||
3. Vorverschulden im Rahmen der fakultativen Strafrahmenmilderung nach § 21 StGB | 151 | ||
E. Maßregeln der Besserung und Sicherung bei Abhängigkeitsstörungen | 156 | ||
I. Unterbringung in einer Entziehungsanstalt gemäß § 64 StGB | 156 | ||
II. Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus gemäß § 63 StGB | 162 | ||
F. Zusammenfassung und Fazit | 165 | ||
Literaturverzeichnis | 170 | ||
Stichwortverzeichnis | 186 |