Urteilsabsprachen im österreichischen Strafprozess
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Urteilsabsprachen im österreichischen Strafprozess
Zur Macht des Faktischen
(2021)
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Laura Meller studierte Rechtswissenschaften an der Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg und absolvierte ihr Rechtsreferendariat im Oberlandesgerichtsbezirk Koblenz. Sie ist als Rechtsanwältin tätig.Abstract
Urteilsabsprachen, das heißt Verständigungen zwischen Gericht, Staatsanwaltschaft und Verteidigung über das Verfahrensergebnis, sind dem österreichischen Strafprozessrecht fremd. Vom Obersten Gerichtshof wurden sie im Jahre 2004 verboten. Dennoch scheinen sich Urteilsabsprachen unter strengster Vertraulichkeit als verbreitetes Phänomen im österreichischen Strafverfahren etabliert zu haben. Leitende Frage der Arbeit ist deshalb, wie mit diesem Befund - namentlich im Lichte des deutschen Absprachewesens - zu verfahren ist. Dazu werden zunächst die möglichen Ursachen und Zulässigkeitsprobleme von Urteilsabsprachen untersucht. Sodann wird aufgezeigt, dass Legitimationsmodelle zur Lösung der Absprachenproblematik nicht überzeugen können. Da sich eine ökonomisierte Praxis den »Deal« aber nicht ohne Weiteres verbieten lässt, werden schließlich Gegenmaßnahmen zur Absprachenpraxis beleuchtet.»Plea Bargaining in Austrian Criminal Proceedings - The Power of the Factual«The current Austrian Code of Criminal Procedure does not allow the plea bargain as an instrument of completion. The Austrian supreme court has in 2004 ruled out plea bargaining. Nevertheless, plea bargains nowadays seem to be commonplace in the daily dealings of criminal justice. The central question of this research is therefore to explore how Austria should be proceeding in the face of these circumstances.
Table of Contents
Section Title | Page | Action | Price |
---|---|---|---|
Vorwort | 5 | ||
Inhaltsverzeichnis | 7 | ||
Abkürzungsverzeichnis | 14 | ||
A. Einleitung | 21 | ||
I. Aufgabenstellung | 22 | ||
II. Abgrenzung der „Urteilsabsprache“ | 25 | ||
III. Problematik der Urteilsabsprache | 28 | ||
IV. Gang der Untersuchung | 30 | ||
B. Urteilsabsprachen in der Praxis | 33 | ||
I. Existenz von Urteilsabsprachen | 33 | ||
II. Mutmaßliche Ursachen | 34 | ||
1. Überlastung und Überforderung der Justiz | 34 | ||
a) Überlastung der Justiz | 35 | ||
aa) Pensenberechnung nach der PAR | 35 | ||
bb) Anstieg der Regelungsdichte des materiellen Strafrechts | 37 | ||
cc) Kompensierung durch die Diversion? | 38 | ||
dd) Kompensierung durch das neue Mandatsverfahren? | 40 | ||
ee) Konfliktbereitschaft der Verteidigung in der Hauptverhandlung? | 40 | ||
b) Überforderung der Justiz | 45 | ||
2. Verfahrenspsychologische Aspekte: Eigeninteressen der Verfahrensbeteiligten | 48 | ||
a) Gericht | 49 | ||
b) Staatsanwaltschaft | 50 | ||
c) Verteidigung | 50 | ||
d) Angeklagter | 53 | ||
e) Gleichlauf der Interessen | 55 | ||
3. Opferschutz und Wiedergutmachung | 56 | ||
4. Zwischenergebnis | 59 | ||
III. Ausbreitung der Urteilsabsprachen | 59 | ||
1. Zunahme umfangreicher Großverfahren | 60 | ||
2. Einbettung konsensualer Verfahrenselemente in die StPO | 61 | ||
a) Diversion | 61 | ||
b) „Große“ Kronzeugenregelung | 64 | ||
c) Wiedereinführung des Mandatsverfahrens | 65 | ||
3. Funktionsverlust der Hauptverhandlung | 66 | ||
4. Zwischenergebnis | 70 | ||
IV. Ergebnis des Kapitels | 70 | ||
C. Meinungsstand zu Urteilsabsprachen | 72 | ||
I. Aktuelle Rechtsprechung des OGH | 72 | ||
II. Ansichten im Schrifttum | 75 | ||
1. Entwicklung der rechtswissenschaftlichen Erörterung | 75 | ||
2. Gegenwärtiger Stand der Diskussion | 78 | ||
a) Ablehnung | 79 | ||
b) Befürwortung | 79 | ||
III. Ergebnis des Kapitels | 82 | ||
D. Zulässigkeitsfragen von Urteilsabsprachen nach geltendem Recht | 83 | ||
I. Kernprobleme | 84 | ||
1. Vereinbarkeit mit dem Prinzip der materiellen Wahrheit | 84 | ||
a) Erfüllung der richterlichen Aufklärungspflicht? | 85 | ||
b) Modifizierte Aufklärungspflicht bei Absprachegeständnis? | 87 | ||
aa) Geständnis im System der Beweismittel | 88 | ||
(1) Begriff | 88 | ||
(2) Historischer Überblick über die Funktion des Geständnisses in der strafprozessualen Beweisführung | 89 | ||
(3) Geständnis im heutigen Strafprozess | 92 | ||
(4) Zwischenergebnis | 93 | ||
bb) Eigenständiger Beweiswert eines Absprachegeständnisses? | 93 | ||
(1) Qualität eines Geständnisses im konventionellen Strafprozess | 93 | ||
(a) Beweiswert eines „substantiierten“ Geständnisses | 95 | ||
(b) Beweiswert eines „schlanken“ Geständnisses | 95 | ||
(2) Qualität eines Absprachegeständnisses | 97 | ||
(3) Zwischenergebnis | 100 | ||
cc) Verzichtbarkeit eines eigenständigen Beweiswerts? | 100 | ||
(1) Unterschiede zwischen Ermittlungsverfahren und Hauptverhandlung | 101 | ||
(a) Unterschiedliche Funktionen | 101 | ||
(b) Unterschiedliche Qualität bei der Beweisaufnahme | 101 | ||
(aa) Einseitig geführte Ermittlungen im Vorverfahren | 102 | ||
(bb) Möglichkeit abweichender Zeugenaussagen | 106 | ||
(cc) Eingeschränkte Rechte der Verteidigung im Ermittlungsverfahren | 107 | ||
(2) Überzeugungsbildung des Gerichts | 108 | ||
(3) Verfolgung eigener Interessen durch das Gericht | 109 | ||
(4) Zwischenergebnis | 109 | ||
dd) Zwischenfazit | 110 | ||
c) Alternative Wahrheitstheorie? | 111 | ||
aa) Kritik an der herrschenden Korrespondenztheorie | 111 | ||
bb) Konsensustheorie als unterbreiteter Gegenvorschlag | 112 | ||
(1) Wahrhaftigkeit der Verhandlungsteilnehmer | 114 | ||
(2) Verhandlungschancengleichheit | 115 | ||
(3) Zwischenergebnis | 116 | ||
d) Ergebnis | 118 | ||
2. Vereinbarkeit mit dem nemo-tenetur-Grundsatz | 119 | ||
a) Freiwilligkeit eines Absprachegeständnisses | 119 | ||
aa) Drucksituation im konventionellen Strafverfahren | 120 | ||
bb) Drucksituation bei Urteilsabsprache | 121 | ||
cc) Zwischenergebnis | 125 | ||
b) Verbotene Vernehmungsmethoden | 126 | ||
aa) Drohung | 126 | ||
bb) Urteilsabsprachen als neue Art der Folter? | 128 | ||
cc) Versprechen eines gesetzlich nicht vorgesehenen Vorteils | 131 | ||
dd) Vorspiegelung | 134 | ||
c) Ergebnis | 135 | ||
3. Das falsche Geständnis | 135 | ||
4. Gesamtergebnis | 138 | ||
II. Probleme mit weiteren allgemeinen Verfahrensgrundsätzen | 139 | ||
1. Gebot des gesetzlichen Richters | 139 | ||
2. Gleichbehandlungsgrundsatz | 140 | ||
3. Rechtliches Gehör des Angeklagten | 142 | ||
4. Recht auf Verteidigung | 143 | ||
5. Scheitern der Abspracheverhandlungen | 144 | ||
6. Legalitätsprinzip | 145 | ||
7. Grundsätze der Öffentlichkeit, Unmittelbarkeit und Mündlichkeit | 146 | ||
8. Freie richterliche Beweiswürdigung | 148 | ||
9. Unschuldsvermutung und Neutralität des Gerichts | 149 | ||
10. Ergebnis | 153 | ||
III. Probleme mit dem materiellen Recht | 154 | ||
1. Absprachegeständnis als Strafmilderungsgrund? | 154 | ||
a) Nach § 34 Abs. 1 Nr. 17 öStGB | 155 | ||
aa) Reumütiges Geständnis | 155 | ||
bb) Wesentlicher Beitrag zur Wahrheitsfindung | 158 | ||
b) Aus Gründen des Opferschutzes | 160 | ||
c) Im Hinblick auf einen besseren Resozialisierungseffekt | 161 | ||
2. Grundsatz der Schuldangemessenheit | 162 | ||
3. Ergebnis | 164 | ||
IV. Ergebnis des Kapitels | 165 | ||
E. Postulierte Vorbildfunktion der BGH-Rechtsprechung | 168 | ||
I. Grundsatzentscheidungen des BGH | 169 | ||
1. Grundsatzentscheidung des 4. Strafsenats | 170 | ||
2. Grundsatzentscheidung des Großen Senats für Strafsachen | 172 | ||
II. Vorbildfunktion dieser BGH-Rechtsprechung? | 173 | ||
1. Vorlage für österreichische Rechtsprechungsleitlinien | 174 | ||
2. Kritische Würdigung der BGH-Rechtsprechung | 175 | ||
a) Grundsatzentscheidung des 4. Strafsenats | 175 | ||
aa) Inhaltliche Mängel | 176 | ||
bb) Mangelnde Praxiskenntnis des BGH | 180 | ||
b) Grundsatzentscheidung des Großen Senats für Strafsachen | 180 | ||
c) Richterliche Rechtsfortbildung durch den BGH | 181 | ||
d) Auswirkungen auf die deutsche Strafrechtspraxis | 182 | ||
3. Kritische Würdigung der österreichischen Rechtsprechungsleitlinien | 184 | ||
a) Inhaltliche Mängel | 184 | ||
b) Richterliche Rechtsfortbildung durch den OGH | 185 | ||
aa) Erforderliche Legitimationsgrundlage | 185 | ||
bb) Grenzen richterlicher Rechtsfortbildung | 194 | ||
c) Mutmaßliche Auswirkungen auf die österreichische Strafrechtspraxis | 194 | ||
III. Ergebnis des Kapitels | 194 | ||
F. Gesetzliche Regelung der Urteilsabsprachenpraxis | 196 | ||
I. Legalisierung von Urteilsabsprachen | 196 | ||
1. Integration von Urteilsabsprachen in das Normalverfahren | 198 | ||
a) Vorbildfunktion des deutschen Verständigungsgesetzes | 198 | ||
aa) Normgefüge des deutschen Verständigungsgesetzes | 199 | ||
bb) Kritische Würdigung der Regelung | 200 | ||
cc) Einschreiten des BVerfG | 204 | ||
(1) Vom BVerfG in Auftrag gegebenes Gutachten | 205 | ||
(2) Urteil des BVerfG vom 19.03.2013 | 206 | ||
(a) Verfassungsmäßigkeit des Verständigungsgesetzes | 207 | ||
(b) Kein verfassungswidriges strukturelles Regelungsdefizit | 210 | ||
(3) Kritische Würdigung des Urteils | 210 | ||
dd) Zwischenergebnis | 214 | ||
b) Einführung eines Konsensprinzips | 215 | ||
aa) Normgefüge des Gesetzesvorschlags | 216 | ||
bb) Kritische Würdigung des § 243a-E dStPO | 216 | ||
(1) Konsensprinzip als neue Prozessmaxime | 216 | ||
(a) Argumente für ein Konsensprinzip | 217 | ||
(b) Kritische Würdigung | 218 | ||
(2) Sicherung einer freiwilligen Kooperation des Angeklagten | 219 | ||
cc) Zwischenergebnis | 221 | ||
c) Ergebnis | 221 | ||
2. Einführung von Sonderverfahren | 222 | ||
a) Verzicht auf Durchführung neiner konventionellen Hauptverhandlung | 222 | ||
b) Konnex aus „verfahrensbeendenden Absprachen“ nund „abgekürztem Verfahren“ | 223 | ||
aa) Formulierungspunkte | 224 | ||
bb) Kritische Würdigung | 225 | ||
c) Das abgekürzte Verfahren im schweizerischen Strafprozess (Art. 358 ff. sStPO) | 229 | ||
aa) Grundzüge | 230 | ||
bb) Kritische Würdigung | 231 | ||
d) Unterwerfungsverfahren | 234 | ||
aa) Grundzüge | 234 | ||
bb) Kritische Würdigung | 235 | ||
e) Summarisches Verfahren | 236 | ||
aa) Grundzüge | 236 | ||
bb) Kritische Würdigung | 237 | ||
f) Schuldinterlokut im summarischen Verfahren | 237 | ||
aa) Grundzüge | 238 | ||
bb) Kritische Würdigung | 238 | ||
g) Strafbescheidsverfahren | 240 | ||
aa) Grundzüge | 241 | ||
bb) Kritische Würdigung | 242 | ||
h) Das wiedereingeführte Mandatsverfahren (§ 491 öStPO) | 242 | ||
aa) Grundzüge | 243 | ||
bb) Kritische Würdigung | 245 | ||
i) Konsensuales summarisches Verfahren | 249 | ||
aa) Grundzüge | 250 | ||
bb) Kritische Würdigung | 251 | ||
j) Alternativ-Entwurf Abgekürzte Strafverfahren im Rechtsstaat (AE‑ASR) | 252 | ||
aa) Grundzüge | 253 | ||
(1) Verfahren mit abgekürzter Hauptverhandlung | 253 | ||
(2) Verfahren ohne Hauptverhandlung vor dem Strafrichter | 255 | ||
bb) Kritische Würdigung | 257 | ||
(1) Verfahren mit abgekürzter Hauptverhandlung | 258 | ||
(2) Verfahren ohne Hauptverhandlung vor dem Strafrichter | 260 | ||
k) Zwischenergebnis | 262 | ||
3. Einführung eines rein adversatorischen Prozesstyps | 263 | ||
4. Ergebnis | 264 | ||
II. Verbot von Urteilsabsprachen | 266 | ||
III. Ergebnis des Kapitels | 267 | ||
G. Gegenmaßnahmen zur Urteilsabsprachenpraxis | 269 | ||
I. Vorschläge | 271 | ||
1. Entlastung der Strafjustiz | 272 | ||
a) Beschränkung des materiellen Strafrechts | 272 | ||
b) Beschränkung der Opferrechte | 274 | ||
c) Videodokumentation der Hauptverhandlung | 276 | ||
d) Änderung des Bewertungssystems richterlicher Arbeit | 277 | ||
e) Erwirken von Geldmitteln zugunsten der Strafjustiz | 277 | ||
2. Korrektur der Absprachen ermöglichenden Rahmenbedingungen | 279 | ||
a) Disqualifizierung eines rein taktisch motivierten Geständnisses | 280 | ||
b) Exkurs: Strikte Ablehnung des Geständnisses als Strafmilderungsgrund | 280 | ||
c) Transparentere Strafbemessungspraxis | 282 | ||
d) Sanktionsschere als verbotene Vernehmungsmethode | 287 | ||
e) Kontrolle durch Wiederaufnahme des Verfahrens | 288 | ||
3. Personenbezogene Maßnahmen | 290 | ||
a) Weitere Professionalisierung der Aus- und Fortbildung der Strafrichter | 290 | ||
b) Änderung der Zugangsvoraussetzungen für den Richterberuf | 292 | ||
c) Verbesserung der Verteidigungsrechte | 294 | ||
aa) In der Hauptverhandlung | 295 | ||
bb) Im Ermittlungsverfahren | 300 | ||
(1) Aufhebung der erheblichen Einschränkungen beim frühen Kontakt zwischen Beschuldigtem und Verteidigung | 302 | ||
(2) Gewährung eines uneingeschränkten Akteneinsichtsrechts und eines eigenen Beweisantragsrechts | 306 | ||
(3) Erweiterte Benachrichtigungs‑, Anwesenheits- und Mitwirkungsrechte | 309 | ||
(4) Videodokumentation von Vernehmungen | 311 | ||
(5) Mitbestimmungsrecht bei der Auswahl des Sachverständigen und Teilnahmerecht an dessen Vornahme eines Augenscheins | 314 | ||
(6) Stärkerer Ausbau der notwendigen Verteidigung | 317 | ||
(7) Einspruchsmöglichkeiten bei der Verletzung subjektiver Rechte | 318 | ||
(8) Verwendungsverbote | 319 | ||
cc) Zwischenergebnis | 320 | ||
d) Strafbarkeit der beteiligten Berufsjuristen | 321 | ||
aa) Mögliche Strafbarkeit der Justizjuristen | 322 | ||
(1) Missbrauch der Amtsgewalt, § 302 öStGB | 322 | ||
(a) Objektiver Tatbestand | 323 | ||
(b) Subjektiver Tatbestand | 325 | ||
(2) Bestechung, § 304 öStGB | 327 | ||
(3) Nötigung, § 105 öStGB | 329 | ||
bb) Mögliche Strafbarkeit der Verteidigung | 330 | ||
(1) Begünstigung, § 299 öStGB | 333 | ||
(2) Verletzung eines Geschäfts- oder Betriebsgeheimnisses, § 122 Abs. 1 öStGB | 335 | ||
(3) Nötigung, § 105 öStGB | 336 | ||
cc) Zwischenergebnis | 337 | ||
e) Zivilrechtliche Anwaltshaftung | 337 | ||
II. Ergebnis des Kapitels | 344 | ||
H. Zusammenfassung der Ergebnisse in Thesen | 346 | ||
Literaturverzeichnis | 354 | ||
Internetquellenverzeichnis | 411 | ||
Sachwortverzeichnis | 414 |