Anfangsverdacht und Vorurteil
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Anfangsverdacht und Vorurteil
Eine strafprozessrechtliche Untersuchung
Schriften zum Prozessrecht, Vol. 272
(2021)
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Daniel Ricker studierte Rechtswissenschaften an der Universität Augsburg mit Schwerpunkt im Wirtschaftsstrafrecht und Internationalen Straf- sowie Strafprozessrecht. Nach Abschluss der Ersten Juristischen Prüfung und einem LL.M.-Studium am Chicago-Kent College of Law (U.S., International & Transnational Law) war er als wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Strafrecht, Strafprozessrecht, Risiko- und Präventionsstrafrecht sowie Juristische Zeitgeschichte von Prof. Dr. Arnd Koch tätig. Die Promotion erfolgte mit einer strafprozessrechtlichen Dissertation. Sein Rechtsreferendariat im Bezirk des Oberlandesgerichts München schloss er 2021 mit der Zweiten Juristischen Prüfung ab. Seit 2021 ist er als Rechtsanwalt im Arbeitsrecht für eine internationale Wirtschaftskanzlei in München tätig.Abstract
Dem strafprozessualen Anfangsverdacht kommt eine Schlüsselfunktion für das Ermittlungsverfahren, die Inkulpation sowie Ermittlungsmaßnahmen zu. Dieser herausragenden Bedeutung werden seine unscharfen Voraussetzungen indes nicht gerecht. So bildet der Verdachtsgrad infolge des Rückgriffs auf den Maßstab diffuser »kriminalistischer Erfahrung« ein Einfallstor für Vorurteile. Die Arbeit zeigt, dass solche aufgrund von verfassungs-, völker- und europarechtlichen Demarkationslinien vor allem dann nicht berücksichtigungsfähig sind, wenn sie an personenbezogene Merkmale anknüpfen, und gelangt auf der Grundlage kriminologischer Studien zu dem Ergebnis, dass die rechtlichen Grenzen einer vorurteilsbedingten Anfangsverdachtsschöpfung teilweise systematisch missachtet werden. Einen weiteren Schwerpunkt der Untersuchung bildet die Auswertung sowie Systematisierung einschlägiger strafprozessrechtlicher Rechtsprechung. Die Arbeit schließt mit einer liberal-rechtsstaatlichen Reformagenda.»Suspicion of Bias: Stereotypes and the Establishment of Initial Suspicion Under German Criminal Procedure Law«This study discusses the biased use of enforcement discretion in the context of »initial suspicion« under German criminal procedure law. It addresses the particular importance as well as the prerequisites of the standard and considers if the threshold allows for a (factual) establishment of suspicion based on stereotypes. Also, the book provides a systematic analysis of pertinent criminological field studies and case law. The last section includes a synopsis and a reform agenda.
Table of Contents
Section Title | Page | Action | Price |
---|---|---|---|
Vorwort | 7 | ||
Inhaltsverzeichnis | 11 | ||
Abkürzungsverzeichnis | 17 | ||
1. Kapitel: Einleitung sowie Gang der Darstellung | 23 | ||
A. Einleitung | 23 | ||
B. Gang der Darstellung | 37 | ||
2. Kapitel: Bedeutung des Anfangsverdachts | 39 | ||
A. Allgemeine Begriffsbestimmung | 39 | ||
B. Bedeutung des Anfangsverdachts als Auslöser und Voraussetzung des Ermittlungsverfahrens | 40 | ||
I. Der Anfangsverdacht als Auslöser des Ermittlungsverfahrens | 41 | ||
II. Der Anfangsverdacht als Voraussetzung des Ermittlungsverfahrens | 43 | ||
III. Reichweite der Verfolgungverpflichtung sowie -berechtigung | 44 | ||
IV. Vorfeldermittlungen | 45 | ||
V. Fortbestand der Wirkungskraft der auslösenden und begrenzenden Funktion des Anfangsverdachts | 47 | ||
1. Aufwertung des Ermittlungsverfahrens im „postreformierten“ Strafverfahr | 47 | ||
2. Stigmatisierungseffekte aufgrund der Einleitung sowie Durchführung eines Ermittlungsverfahrens | 48 | ||
3. Eingeschränkter Rechtsschutz gegen die Einleitung und Fortführung eines Ermittlungsverfahrens | 50 | ||
C. Bedeutung des Anfangsverdachts als Voraussetzung sowie Auslöser der Inkulpation | 51 | ||
D. Bedeutung des Anfangsverdachts als Mindestvoraussetzung strafprozessualer Ermittlungsmaßnahmen sowie Abwägungstopos | 53 | ||
I. Der Anfangsverdacht als Mindestvoraussetzung strafprozessualer Ermittlungsmaßnahmen | 53 | ||
II. Der Anfangsverdacht als Abwägungstopos | 55 | ||
III. Weitreichender Rechtsschutz gegen die Anordnung und Durchführung strafprozessualer Ermittlungsmaßnahmen | 56 | ||
E. Bedeutung des Anfangsverdachts als Voraussetzung des Auskunftsverweigerungsrechts nach § 55 StPO | 59 | ||
F. Weitere Bedeutung des Anfangsverdachts | 60 | ||
G. Zwischenfazit | 61 | ||
3. Kapitel: Anforderungen an den Anfangsverdacht sowie an dessen Gewinnung | 63 | ||
A. Gesetzlich normierte Voraussetzungen des Anfangsverdachts | 63 | ||
B. Anforderungen der Literatur und Rechtsprechung | 64 | ||
I. Die Anforderungen an die tatsächliche Würdigung | 66 | ||
II. Die Anforderungen an die rechtliche Würdigung | 71 | ||
III. Doktrin vom Beurteilungsspielraum und dessen Grenzen | 73 | ||
IV. Berechtigung zur Durchführung von Vorermittlungen | 77 | ||
V. Formelle Voraussetzungen der Anfangsverdachtsbegründung | 80 | ||
C. Die Berücksichtigungsfähigkeit von Vorurteilen | 83 | ||
I. Die Zulässigkeit einer vorurteilsbedingten Anfangsverdachtsschöpfung | 83 | ||
1. Begriffsbestimmung, Teil 2: Definitionsansätze zum „Vorurteil“ | 83 | ||
2. Rechtswidrigkeit einer Anfangsverdachtsschöpfung auf der Grundlage von Vorurteilen im weiteren Sinne | 85 | ||
3. Partielle Berücksichtigungsfähigkeit von Vorurteilen im engeren Sinne | 86 | ||
a) Die verfassungsrechtliche Grenze der Gleichheit vor dem Gesetz nach Art. 3 GG | 87 | ||
b) Völker- sowie europarechtliche Demarkationslinien | 90 | ||
II. Die Möglichkeit einer vorurteilsbedingten Anfangsverdachtsschöpfung | 95 | ||
D. Zwischenfazit | 96 | ||
4. Kapitel: Begründung des Anfangsverdachts in der Rechtswirklichkeit | 99 | ||
A. Der kriminologische Bezugsrahmen des Labeling-Ansatzes | 99 | ||
B. Die selektive Beschaffenheit der Strafverfolgung im Allgemeinen | 100 | ||
C. Im Besonderen: der Anfangsverdacht und das Ermittlungsverfahren | 102 | ||
I. Generelle Erkenntnisse zur Anfangsverdachtsschöpfung in der Rechtswirklichkeit | 103 | ||
II. Die Selektivität der Kenntniserlangung von verdachtsbegründenden Tatsachen | 103 | ||
III. Allgemeine Ungleichbehandlungen im „Anfangsverdachtsmanagement“ | 105 | ||
IV. Schwerpunktsetzungen bei der Ermittlungstätigkeit | 106 | ||
D. Die Vorurteilslastigkeit der Anfangsverdachtsschöpfung | 107 | ||
I. Stereotype Täterbilder in der kriminalistischen Ausbildungsliteratur sowie in „Verdachtskalendern“ | 107 | ||
II. Auffälligkeiten von Tatverdächtigenstrukturen in der Polizeilichen Kriminalstatistik | 108 | ||
III. Schlaglichter vorurteilsgeleiteten polizeilichen und staatsanwaltschaftlichen Handelns der jüngeren Vergangenheit | 109 | ||
IV. Der kriminologische sowie polizeiwissenschaftliche Forschungsstand | 111 | ||
1. Die Pionierarbeit zur sozialen Wirklichkeit polizeilicher Strafverfolgung von Feest/Blankenburg | 111 | ||
2. Neue Horizonte: die Untersuchung zum polizeilichen Umgang mit Sinti und Roma von Feuerhelm | 115 | ||
3. Erneute Diskurserweiterung: die Studie zur nationalitätsspezifischen Kriminalisierung durch Organe der Strafrechtspflege von Mansel | 119 | ||
4. Der Status quo: die Erhebungen der Europäischen Union zu Minderheiten und Diskriminierung (EU-MIDIS) | 123 | ||
5. Ergänzende Untersuchungsbefunde | 125 | ||
E. Zwischenfazit | 127 | ||
5. Kapitel: Rechtsprechung zur vorurteilsbedingten Anfangsverdachtsbegründung | 131 | ||
A. Entscheidungen in Fällen einer durch Dritte vermittelten Kenntniserlangung | 132 | ||
I. Der ausländerstrafrechtliche INES-Beschluss des Bundesverfassungsgerichts | 132 | ||
II. „Ungewöhnliches Geschäftsgebaren“: die Geldwäscheentscheidungen der Landgerichte Saarbrücken und München I | 133 | ||
III. Die Beschwerdeentscheidung des Landgerichts Offenburg in einem Fall anonymer Anzeigeerstattung | 134 | ||
IV. Praxisrelevante Mitteilungspflichten: der insolvenzstrafrechtliche Beschluss des Landgerichts Stuttgart | 135 | ||
V. Bewertung | 135 | ||
B. Entscheidungen in Fällen einer Verdachtsschöpfung aufgrund anderer Straftaten oder Ermittlungsverfahren | 137 | ||
I. Der steuerstrafrechtliche Wiederholungstäterbeschluss des Landgerichts Köln | 137 | ||
II. Die Dresdner Bank-Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zur systematischen Begehung von Straftaten | 138 | ||
III. En passant: der Bundesgerichtshof zu strafrechtlichen Ermittlungsverfahren in der Vergangenheit | 139 | ||
IV. „Statistische Wahrscheinlichkeiten“: das Amtsgericht Saalfeld und Konsumenten synthetischer Drogen | 140 | ||
V. Die Beschwerdeentscheidung des Landgerichts Wuppertal zu einem Gruppenverdacht gegenüber Asylbewerbern | 141 | ||
VI. Der betäubungsmittelstrafrechtliche Vorstrafenbeschluss des Bundesverfassungsgerichts | 142 | ||
VII. Rauschgiftkonsumenten, Teil 2: das Landgericht Trier zum Generalverdacht | 143 | ||
VIII. Bewertung | 143 | ||
C. Entscheidungen in Fällen einer Verdachtsschöpfung aufgrund „erlaubten Verhaltens“ | 146 | ||
I. Der Zufallsfundbeschluss des Berliner Verfassungsgerichtshofs | 147 | ||
II. Edathy ante portas: die Pädophilieentscheidung des Bundesverfassungsgerichts | 148 | ||
III. Kein Generalverdacht im Sexualstrafrecht: die Pädophilieentscheidung des Landgerichts Regensburg | 149 | ||
IV. Bewertung | 151 | ||
D. Entscheidungen in Fällen einer Verdachtsschöpfung aufgrund der Vornahme sog. „Tafelgeschäfte“ | 153 | ||
I. Das Landgericht Itzehoe: unzureichender Betriebsverdacht vs. hinreichende Anonymisierung | 153 | ||
II. Die Beschwerdeentscheidung des Landgerichts Bielefeld zur Einlösung von Zinsscheinen im Ausland | 154 | ||
III. Der gegenläufige Ansatz des Landgerichts Detmold: Auslandsbezug + Zinsabschlagsteuer = Anfangsverdacht | 154 | ||
IV. „Gezielte Anonymisierung“: das Bundesverfassungsgericht auf den Spuren des Landgerichts Itzehoe | 155 | ||
V. Bewertung | 156 | ||
E. Entscheidungen in Fällen einer Verdachtsschöpfung aufgrund von Vermögenstransaktionen nach Luxemburg bzw. in die Schweiz | 157 | ||
I. Der Luxemburgbeschluss des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main als Ausgangspunkt | 157 | ||
II. „Typische Verschleierungshandlung“: der zurückhaltende Ansatz des Landgerichts Bielefeld | 158 | ||
III. Im Kontrast: die weitreichende Beschwerdeentscheidung des Landgerichts Detmold | 159 | ||
IV. Bewertung | 159 | ||
F. Entscheidungen in Fällen einer Verdachtsschöpfung aufgrund der Verweigerung freiwilliger DNA-Proben | 160 | ||
I. Fehlende Rechtswegerschöpfung infolge freiwilliger Zustimmung: der frühe Zulässigkeitsansatz des Bundesverfassungsgerichts | 160 | ||
II. Der Nichtannahmebeschluss des Bundesverfassungsgerichts im Münchener Porschefahrer-Fall | 161 | ||
III. Der Bundesgerichtshof zur verdachtsverstärkenden Wirkung einer Verweigerung im Einzelfall | 162 | ||
IV. Bewertung | 163 | ||
G. Varia: Entscheidungen in Fällen einer Verdachtsschöpfung aufgrund sonstiger Vorurteile | 164 | ||
I. Das Bundesverfassungsgericht zum Anfangsverdacht der Geldwäsche gegenüber „Milieuanwälten“ | 164 | ||
II. Bewertung | 165 | ||
III. Neue Perspektiven: das Oberlandesgericht Hamburg zum Anfangsverdacht der Steuerhinterziehung im Rahmen von § 55 StPO | 165 | ||
IV. Bewertung | 166 | ||
H. Öffentlich-rechtlicher Exkurs: zu dem Anfangsverdacht ähnlichen Eingriffsschwellen und Vorurteilsjudikaten | 167 | ||
I. Die polizei- bzw. sicherheitsrechtliche Gefahr | 167 | ||
1. Prognostische Anforderungen an den Gefahrenbegriff im Allgemeinen und die abstrakte sowie konkrete Gefahr im Besonderen | 167 | ||
2. Die vollumfängliche verwaltungsgerichtliche Überprüfbarkeit der Polizeigefahr | 168 | ||
II. Der nachrichtendienstrechtliche Verdacht einer Straftat nach dem Artikel 10-Gesetz | 169 | ||
1. Baader-Meinhof I: die Anerkennung einer uneingeschränkten Justiziabilität der Eingriffsschwelle durch das Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen | 169 | ||
2. Baader-Meinhof II: die Bestätigung der umfassenden justiziellen Prüfungsdichte durch das Bundesverwaltungsgericht | 171 | ||
III. Die verwaltungsgerichtliche racial profiling-Rechtsprechung nach dem Beschluss des Oberverwaltungsgerichts Rheinland-Pfalz aus dem Oktober 2012 | 173 | ||
1. Fortschreibung der restriktiven Linie und prozessuale Präzisierung: das Berufungsurteil des Oberverwaltungsgerichts Rheinland-Pfalz | 174 | ||
2. Im Anschluss: die Annäherung an ein absolutes Anknüpfungsverbot durch das Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen | 174 | ||
3. Weitere einschlägige erst- und zweitinstanzliche Entscheidungen zugunsten von Maßnahmeadressaten | 175 | ||
4. Entgegen dem Trend: die klageab- bzw. berufungszurückweisenden Urteile des Verwaltungsgerichts München respektive Oberverwaltungsgerichts des Saarlandes | 176 | ||
I. Zwischenfazit | 177 | ||
6. Kapitel: Zusammenfassung sowie Reformvorschläge | 181 | ||
A. Zusammenfassung | 181 | ||
B. Reformvorschläge | 184 | ||
Literaturverzeichnis | 192 | ||
Sachwortregister | 213 |