Außergesetzliches in der mündlichen Urteilsbegründung des Strafrichters
BOOK
Cite BOOK
Style
Format
Außergesetzliches in der mündlichen Urteilsbegründung des Strafrichters
Schriften zum Prozessrecht, Vol. 273
(2021)
Additional Information
Book Details
Pricing
About The Author
Felix Kasimir Holländer studierte Rechtswissenschaften an der Westfälischen-Wilhelms-Universität Münster mit Aufenthalten in Oslo (Norwegen) und New York City (USA). Parallel absolvierte er die Fachspezifische Fremdsprachenausbildung für Juristen (Common Law). Nach seinem ersten Staatsexamen 2017 war er als Wissenschaftlicher Beschäftigter an der Professur für Öffentliches Recht der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf (Prof. Dr. Lothar Michael) tätig. Seine Promotion erfolgte 2020. Seit 2019 ist er Referendar am Hanseatischen Oberlandesgericht in Hamburg.Abstract
»Außergesetzliches« bezeichnet drei verschiedene strafrichterliche Ausgestaltungen der mündlichen Urteilsbegründung: Erstens moralische Ausführungen, insbesondere moralischer Tadel am Angeklagten, zweitens die Verwendung einer plastischen Sprache und drittens Ausführungen, die dem Urteilstenor zuwiderlaufen. Die Arbeit geht der Zulässigkeit außergesetzlicher Ausgestaltungen nach und fragt nach Rechtsnatur und Funktionen der teils als »Freiraum« des Richters begriffenen mündlichen Urteilsbegründung. Sie nimmt dabei drei Perspektiven ein: Zunächst wird die Entwicklung methodischer Richterleitbilder nachvollzogen. Sodann wird eine straf(prozess)rechtliche Perspektive eingenommen. Im Vordergrund der sich anschließenden verfassungsrechtlichen Perspektive steht die Vereinbarkeit mit dem Allgemeinen Persönlichkeitsrecht. Zudem reflektiert die Arbeit das Verhältnis der Perspektiven und entwickelt Lösungsansätze auf dem Gebiet des Prozessrechts.
Table of Contents
Section Title | Page | Action | Price |
---|---|---|---|
Vorwort | 7 | ||
Inhaltsverzeichnis | 9 | ||
Einleitung | 15 | ||
A. Die mündliche Urteilsbegründung als menschliches Antlitz der Justiz oder als Einfallstor für die Moral in die Rechtsprechung? | 15 | ||
B. Außergesetzliches – Konkretisierung des Untersuchungsgegenstandes | 18 | ||
I. Moralischer Tadel als Hauptfall | 19 | ||
II. Plastische Sprache | 21 | ||
III. Rechtlicher Tadel im Widerspruch zum freisprechenden Urteilstenor | 22 | ||
C. Beispiele zur Illustration des Untersuchungsgegenstandes | 22 | ||
I. Potentiell moralischer Tadel | 23 | ||
II. Plastische Sprache | 24 | ||
III. Widerspruch zum Urteilstenor | 25 | ||
D. Bestandsaufnahme – Einführung in die Regelungen zur mündlichen Urteilsbegründung | 25 | ||
I. Standort im Strafprozess | 25 | ||
II. Inhalt, Funktion | 27 | ||
III. Prozessuale Behandlung | 30 | ||
E. Gang der Untersuchung | 31 | ||
Erster Teil: Richterleitbilder | 34 | ||
A. Auf der Suche nach dem Wesen richterlicher Tätigkeit – (Historische) Richterleitbilder der Methodenlehre als Fundgrube | 34 | ||
I. Konzentration auf die Gesetzesbindung des Richters aus methodischer Sicht | 34 | ||
II. Richterleitbilder – Normativität und Bildhaftigkeit | 37 | ||
B. Richterleitbilder im Wandel | 38 | ||
I. Rückblick auf „den Richter“ vor dem 18. Jahrhundert | 39 | ||
1. Germanisch-fränkische Zeit: Wider die These der Rechtsoffenbarung | 39 | ||
2. Hoch- und Spätmittelalter: Profilbildung des Richters und Grundsteinlegung richterlicher Unabhängigkeit durch das gelehrte Recht | 41 | ||
a) Profilbildung im gelehrten (kirchlichen) Recht | 41 | ||
b) Spuren richterlicher Unabhängigkeit im gelehrten weltlichen Recht | 42 | ||
II. Der Richter als Subsumtionsautomat | 43 | ||
1. Die frühe Neuzeit als Ausgangslage: vielfältiges Interesse an der Gesetzesbindung | 43 | ||
2. Unechte und echte Vorbilder aus der französisch-italienischen Aufklärungsbewegung | 46 | ||
a) Montesquieu | 46 | ||
b) Beccaria | 49 | ||
3. Etablierung der Strafgesetzesbindung durch Feuerbach | 50 | ||
4. Gesetzesbindung und -auslegung im Fortlauf des 19. Jahrhunderts | 52 | ||
5. Zwischenergebnis | 54 | ||
III. Der Richter als Diener des Gesetzgebers im denkenden Gehorsam | 55 | ||
1. Wegbereiter | 55 | ||
2. Interessenjurisprudenz | 56 | ||
IV. Der Richterkönig | 58 | ||
1. Freirechtsbewegung | 58 | ||
2. Reale Folgen: Die Kulmination der Entwicklung vor und während des Nationalsozialismus | 61 | ||
a) Richterliche Praxis vor 1933 | 61 | ||
b) Richterliche Praxis von 1933 bis 1945 | 62 | ||
3. Zwischenergebnis | 65 | ||
V. Der Richter als Sozialarzt | 65 | ||
VI. Herrschendes Konzept und fortdauerndes Ringen um das Richterleitbild mit offenem Ausgang | 68 | ||
1. Wertungsjurisprudenz | 68 | ||
2. Spannungsfeld und Abwesenheit eines einheitlichen Leitbildes | 69 | ||
VII. Gesamtbetrachtung: Wandelbarkeit als Wesensmerkmal | 71 | ||
C. Richterleitbilder und Urteilsbegründung | 72 | ||
I. Zur Aussagekraft der Richterleitbilder für den Untersuchungsgegenstand: Inhaltliche Parallelität zwischen Entscheidungsfindung und Entscheidungsbegründung | 73 | ||
1. Weniger Freiheit bei der Entscheidungsbegründung? | 73 | ||
2. Mehr Freiheit bei der Entscheidungsbegründung? | 74 | ||
3. Gleiche Bindung | 75 | ||
a) Skepsis hinsichtlich Andersbehandlung | 75 | ||
b) Drohende Verzerrung der Entscheidung ohne Disziplinierung der Begründung | 76 | ||
c) Akzeptanzgewinn – Akzeptanzverlust | 78 | ||
d) Parallelität auch unter besonderer Berücksichtigung der plastischen Sprache | 78 | ||
e) Zwischenergebnis | 80 | ||
II. Richterleitbildspezifische Ausgestaltungen der mündlichen Urteilsbegründung | 80 | ||
1. Der Richter als Subsumtionsautomat | 80 | ||
2. Der Richterkönig | 81 | ||
a) Freirechtsbewegung | 81 | ||
b) Nationalsozialismus | 81 | ||
3. Der Sozialarzt | 84 | ||
4. Der Richter als Diener des Gesetzgebers im denkenden Gehorsam und Konzepte der Wertungsjurisprudenz | 84 | ||
D. Zwischenfazit | 85 | ||
Zweiter Teil: Straf(prozess)rechtliche Perspektive | 87 | ||
A. Interpretation des § 268 Abs. 2 S. 2 Var. 2 StPO | 87 | ||
I. Semantische Auslegung | 87 | ||
II. Systematische Auslegung | 88 | ||
III. Historische Auslegung | 90 | ||
1. Das positivistische Richterleitbild der Strafprozessordnung | 90 | ||
2. Gesetzgebungsprozess: Primär verfahrensökonomische Motive für die mündliche Urteilsbegründung | 92 | ||
3. Zwischenergebnis | 95 | ||
IV. Teleologische Auslegung | 95 | ||
1. Vorläufige Unterrichtungsfunktion und Befriedigung des Informationsinteresses der Öffentlichkeit | 96 | ||
2. (Weitere) Prinzipien des Strafverfahrens | 96 | ||
3. Ziele des Strafverfahrens | 97 | ||
a) Originäre Ziele des Strafverfahrens | 98 | ||
aa) Rechtsfrieden | 98 | ||
(1) Rechtsfrieden durch Beruhigung der Rechtsgemeinschaft | 98 | ||
(2) Rechtsfrieden durch Aussöhnung | 99 | ||
bb) Opferschutz | 100 | ||
cc) Konsensprinzip | 101 | ||
b) Strafzwecke als Verfahrensziele | 102 | ||
aa) Einbeziehung der Strafzwecke | 102 | ||
bb) Positive Generalprävention | 104 | ||
(1) Die Öffentlichkeit als Adressatin | 104 | ||
(2) Parallelfall Ehrenstrafen | 104 | ||
(3) Differenzierung zwischen zulässigem rechtlichen Tadel mit moralischer Dimension und unzulässigem genuin moralischen Tadel | 107 | ||
cc) Expressive Straftheorien | 109 | ||
(1) Der Tadel als Teil der primär den Angeklagten adressierenden Strafe | 109 | ||
(2) Mündliche Urteilsbegründung als Medium der Strafe | 112 | ||
dd) Zusammenführung: Die mündliche Urteilsbegründung im Konzept der positiven Generalprävention und der expressiven Straftheorien | 114 | ||
(1) Verhältnis der mündlichen Urteilsbegründung zur Strafe und moralischer Tadel | 114 | ||
(2) Unschuldsvermutung | 115 | ||
(3) Konkretisierung und Stärkung bestehender Leitlinien | 116 | ||
(4) Einbeziehung des Opfers | 117 | ||
ee) Spezialprävention | 118 | ||
4. Gesamtbetrachtung der teleologischen Auslegung | 121 | ||
V. Zwischenfazit | 122 | ||
B. Entscheidungsinhalte in Abhängigkeit vom Verfahrensausgang | 123 | ||
I. Gesinnungsmerkmale | 123 | ||
II. Beweiswürdigung | 125 | ||
III. Strafzumessung | 126 | ||
IV. Kriminalprognose | 129 | ||
V. Zwischenfazit | 130 | ||
Dritter Teil: Verfassungsrechtliche Perspektive | 133 | ||
A. Moralischer Tadel | 134 | ||
I. Allgemeines Persönlichkeitsrecht aus Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG | 134 | ||
1. Schutzbereich | 134 | ||
a) Recht der persönlichen Ehre | 135 | ||
aa) Rechtlicher Tadel | 137 | ||
bb) Genuin moralischer Tadel | 137 | ||
b) Recht der Selbstdarstellung | 138 | ||
2. Eingriff | 139 | ||
a) Mündliche Urteilsbegründung als Akt öffentlicher Gewalt | 139 | ||
b) Einordnung anhand der Eingriffsbegriffe | 140 | ||
c) Kein Ausschluss der Zurechnung durch den (entthronten) Richterkönig | 143 | ||
3. Verhältnis der Perspektiven: Ausgleich zwischen verfassungsrechtlicher Zurückhaltung vor dem einfachen Recht und verfassungsrechtlicher Effektivierung des einfachen Rechts | 144 | ||
a) Keine Integration der Richterleitbilder per leitbildorientierter Verfassungsanwendung | 144 | ||
b) Verfassungsrechtliche Zurückhaltung als Gebot der größeren Sachnähe anderer Quellen und der Entwicklungsoffenheit anderer Quellen | 146 | ||
c) Zwischen Über- und Unterkonstitutionalisierung | 147 | ||
d) Effektivierung einfachgesetzlicher Wertungen durch Wechselwirkungen | 150 | ||
e) Verfassungsgespiegelte Systembildung und Zwischenfazit | 152 | ||
4. Gesetzliche Grundlage | 153 | ||
a) Art. 97 Abs. 1 GG: besonders strenge Gesetzesbindung | 153 | ||
b) Charakterisierung im Lichte sonstiger richterlicher Tätigkeit und Verwaltungstätigkeit | 155 | ||
c) Art. 97 Abs. 1 GG als Garantie autonomer Leitbildentwicklung? | 157 | ||
5. Erwägungen auf Ebene der Verhältnismäßigkeit | 159 | ||
a) Rechtlicher Tadel mit moralischer Dimension | 159 | ||
aa) Gebot schuldangemessenen Strafens als Grenze | 159 | ||
bb) Autorität durch Symbole | 160 | ||
cc) Öffentlichkeitswirksamkeit | 161 | ||
dd) Plastizität der Sprache als wichtiges Regulativ | 162 | ||
b) Genuin moralischer Tadel | 163 | ||
aa) Übertragbarkeit der Ergebnisse | 163 | ||
bb) Spezifische belastende Faktoren | 163 | ||
cc) Prinzipielle Unverhältnismäßigkeit | 164 | ||
6. Zwischenergebnis | 165 | ||
II. Grundsatz nulla poena sine lege aus Art. 103 Abs. 2 GG | 166 | ||
1. Annäherungen an das Verhältnis zur Strafe und Unergiebigkeit herkömmlicher Begriffsbestimmungen | 166 | ||
2. Missbilligung im Normrehabilitierungsprozess als spezifische Gefährdung staatlicher Strafmaßnahmen | 168 | ||
3. Von Art. 103 Abs. 2 GG erfasste Fälle und spezifische Schutzrichtung | 169 | ||
4. Strafähnlichkeit des genuin moralischen Tadels im Falle des Freispruchs | 171 | ||
a) Vorliegen der spezifischen Gefährdung und Ähnlichkeit mit den erfassten Fällen | 171 | ||
b) Erfüllter Schutzzweck der Norm | 172 | ||
c) Gebotene Zuspitzung: Regelmäßige Bejahung in Fällen des Freispruchs | 173 | ||
III. Zwischenergebnis | 174 | ||
B. Rechtlicher Tadel im Widerspruch zum freisprechenden Urteilstenor | 174 | ||
I. Differenzierung zwischen zulässiger Verdachtsbeschreibung und unzulässiger Schuldfeststellung als Folge des Verbots des Freispruchs zweiter Klasse | 175 | ||
II. Übertragbarkeit und Übertragung auf die mündliche Urteilsbegründung | 177 | ||
C. Zwischenfazit | 179 | ||
Vierter Teil: Resümee und Lösungswege | 181 | ||
A. Zentrales Deutungsmuster: Mündliche Urteilsbegründung als Medium der Strafe | 181 | ||
B. Notwendigkeit der Reaktion bei Grenzüberschreitungen | 183 | ||
C. Überblick über die Rechtsschutzmöglichkeiten in der gegenwärtigen Gerichtspraxis | 184 | ||
I. Rechtsmittelverfahren | 184 | ||
II. Folgenbeseitigungs- und Unterlassungsanspruch vor den Verwaltungsgerichten | 185 | ||
III. Dienstaufsichtsbeschwerde | 186 | ||
D. Kritik und Lösungsansätze | 187 | ||
I. Rechtsschutzdefizit, Rechtsschutzerfordernis | 187 | ||
1. Belastungspotential der mündlichen Urteilsbegründung | 187 | ||
2. Garantie auf effektiven Rechtsschutz aus Art. 19 Abs. 4 GG | 187 | ||
3. Verfassungsbeschwerde | 189 | ||
II. Probleme beim Rechtsschutz außerhalb des Instanzenzuges | 191 | ||
III. Folgenbeseitigungs- und Unterlassungsanspruch vor den Verwaltungsgerichten für formale Ehrenrührigkeiten | 193 | ||
IV. Rechtsschutz bei genuin moralischem Tadel und bei rechtlichem Tadel im Widerspruch zum freisprechenden Tenor | 195 | ||
1. Genuin moralischer Tadel im Falle der Verurteilung: Ausnahmsweise Beachtung der mündlichen Urteilsgründe im Revisionsverfahren | 196 | ||
2. Genuin moralischer Tadel und rechtlicher Tadel im Falle des Freispruchs: Urteilsbereinigungsverfahren als Ausweg | 197 | ||
V. Technische Realisierbarkeit | 200 | ||
E. Schlussbetrachtung und Zusammenfassung der Lösungswege | 201 | ||
Literaturverzeichnis | 203 | ||
Sachwortverzeichnis | 228 |