Wertkonflikte und Wertekonvergenz im europäischen Grundrechtsverbund
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Wertkonflikte und Wertekonvergenz im europäischen Grundrechtsverbund
Die Würdekonzeption des Grundgesetzes und der Europäischen Grundrechtecharta im Vergleich
Studien zum vergleichenden Öffentlichen Recht / Studies in Comparative Public Law, Vol. 10
(2021)
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About The Author
Christian Lutsch studierte Rechtswissenschaft in Mainz und Frankfurt am Main (Dr. iur.). Nach Abschluss des Ersten Juristischen Staatsexamens war er an der Professur für Öffentliches Recht und Rechtsphilosophie von Prof. Dr. Uwe Volkmann (Goethe-Universität Frankfurt am Main) als Wissenschaftlicher Mitarbeiter tätig. Seit Ablegung des Zweiten Juristischen Staatsexamens ist er als Rechtsanwalt in Bonn im Bereich des öffentlichen Rechts tätig.Abstract
Nicht nur unter dem Grundgesetz gilt die Menschenwürde als vornehmstes Recht und tragendes Konstitutionsprinzip. Auch Art. 2 EUV und Art. 1 Abs. 1 GrCh weisen sie als obersten Wert der EU und wichtigstes Grundrecht des europäischen Primärrechts aus. Während der Wortlaut der Würdegarantien weitgehend identisch ist und Art. 1 Abs. 1 GG dem Europäischen Konvent bei der Ausarbeitung der Grundrechtecharta sogar als Vorbild diente, wurden weder das grundgesetzliche Würdeverständnis noch die diesbezügliche Dogmatik auf die europäische Ebene »transferiert«. Beide Menschenwürdeartikel verbürgen damit jeweils eigenständige Würdekonzeptionen.Vor dem Hintergrund zunehmender Integration und der damit einhergehenden Überlappung von nationalem und europäischem Recht stellt sich die Frage, ob und inwiefern die beiden Würdekonzepte miteinander übereinstimmen, zumindest kompatibel sind oder aber Differenzen aufweisen - und wie hiermit umzugehen ist. Diese Frage bildet den Gegenstand der vorliegenden Untersuchung. Ausgehend von der gerichtlichen Entscheidungspraxis werden die wesentlichen Strukturmerkmale der beiden Würdegarantien sowie der zugrundeliegenden Würdekonzepte nachgezeichnet und miteinander verglichen. Die Ergebnisse des Vergleichs werden schließlich in den Kontext des institutionellen Gefüges zwischen BVerfG und EuGH eingeordnet.
Table of Contents
Section Title | Page | Action | Price |
---|---|---|---|
Vorwort | 7 | ||
Inhaltsverzeichnis | 11 | ||
Kapitel 1: Einleitung | 17 | ||
A. Die Menschenwürde als Grundrecht im europäischen Mehrebenensystem | 18 | ||
I. Ein Dauerthema: Grundrechtspluralismus als Grundrechtskonkurrenz? | 18 | ||
II. Die Menschenwürde als zu vergleichendes Grundrecht | 20 | ||
III. Vergleich zwischen der unionalen und (nur) der grundgesetzlichen Würdegarantie | 22 | ||
IV. Einschränkungen und Präzisierungen | 23 | ||
B. Methode | 25 | ||
I. Kontextuelle Rechtsvergleichung in Form eines Konzeptvergleichs | 25 | ||
II. Einschränkungen und Präzisierungen | 27 | ||
C. Forschungsstand | 28 | ||
D. Gang der Untersuchung | 30 | ||
Kapitel 2: Zur Grundrechtearchitektur Europas | 32 | ||
A. Ausgangslage und frühe Rechtsprechung des EuGH | 32 | ||
B. Konfliktpotenzial der Ausgangskonstellationen mit Blick auf die Menschenwürde | 34 | ||
I. Agency-Situation | 34 | ||
II. ERT-Situation | 38 | ||
C. Die unbewältigten Probleme des Art. 51 GrCh | 41 | ||
I. Die Anwendbarkeit der Charta | 42 | ||
II. Doppelte Grundrechtsbindung und Anwendungsvorrang – Lösungsvorschläge | 45 | ||
1. Einzelfallorientiertes Modell | 45 | ||
2. Unionsgrundrechte als Mindeststandard | 46 | ||
3. Prinzip der Meistbegünstigung / Günstigkeitsprinzip | 48 | ||
4. Genereller Vorrang der mitgliedstaatlichen Grundrechte | 49 | ||
5. Genereller Vorrang der Unionsgrundrechte | 50 | ||
6. Neuer Ansatz des BVerfG: Grundrechte des Grundgesetzes „im Gewand“ der Unionsgrundrechte? | 51 | ||
7. Offene Fragen und die Notwendigkeit des inhaltlichen Abgleichs von Grundrechten | 52 | ||
D. Kooperation oder Konkurrenz – Die institutionelle Seite | 52 | ||
Kapitel 3: Die Menschenwürdegarantie im Rechtsprechungsvergleich zwischen BVerfG und EuGH | 56 | ||
A. Der Begriff der Menschenwürde und seine Entfaltung durch die Rechtsprechung | 56 | ||
B. Zum Aufbau des Rechtsprechungsvergleichs | 57 | ||
C. Die Menschenwürde in der Rechtsprechung des BVerfG: Von der symbolischen Leitformel und einheitsstiftenden Idee zum zentralen Grundrecht der Verfassungsordnung – und zurück? | 58 | ||
I. Parteiverbotsverfahren und Lüth-Entscheidung: Die Menschenwürde als einheitsstiftende Leitformel | 58 | ||
II. Konturen durch Anwendung der Objektformel | 61 | ||
1. Mikrozensus und Abhör-Entscheidung | 61 | ||
2. Lebenslange Freiheitsstrafe | 64 | ||
III. Der Mensch als Subjekt mit unbedingtem Eigenwert | 65 | ||
1. Schwangerschaftsabbruch I und II | 66 | ||
2. Großer Lauschangriff | 68 | ||
3. Asylbewerberleistungsgesetz | 71 | ||
4. Die Bezugnahme auf den Subjektstatus als Problem | 73 | ||
IV. Sinnmittelpunkt des Grundgesetzes | 74 | ||
1. Luftsicherheitsgesetz | 74 | ||
2. NPD Parteiverbotsverfahren II | 78 | ||
V. Vorläufiges Ende der Entwicklung? | 79 | ||
D. Die Menschenwürde in der Rechtsprechung des EuGH: Anfängliche Zurückhaltung und zunehmende Grundrechtskontrolle | 80 | ||
I. Vor der Kodifizierung der Charta: Nur lose Bezugnahme auf die Menschenwürde | 80 | ||
II. Menschenwürde als objektives Instrumentalisierungsverbot | 82 | ||
1. Biopatentrichtlinie I | 82 | ||
2. Omega-Spielhallen / Laserdrome | 85 | ||
3. Biopatentrichtlinie II | 89 | ||
4. Biopatentrichtlinie III | 92 | ||
III. Konturen der grundrechtlichen Gewährleistung | 93 | ||
1. Rückführungsrichtlinie | 94 | ||
2. Anerkennungs- und Asylverfahrensrichtlinie | 96 | ||
E. Zusammenschau: Zum gerichtlichen Zugriff | 98 | ||
I. Quantitative Aspekte | 98 | ||
II. Behandelte Themenbereiche | 99 | ||
III. Gerichtliche Prüf- und Kontrolldichte | 101 | ||
F. Gesellschaftliche und gesellschaftspolitische Bedeutung der Entscheidungen | 104 | ||
G. Rechtsprechungslinien und Würdekonzepte? | 105 | ||
H. Wechselwirkungen und gerichtlicher Dialog im Kontext der Menschenwürde | 106 | ||
I. Zuletzt: Konvergenzen und Divergenzen zwischen den gerichtlichen Menschenwürdekonzepten | 111 | ||
Kapitel 4: Die Menschenwürdegarantie aus Art. 1 GG und Art. 1 GrCh im problemorientierten Vergleich | 114 | ||
A. Vorbemerkungen | 114 | ||
I. Probleme bei der inhaltlichen Bestimmung der Menschenwürdegarantie und ihres Wesensgehalts | 115 | ||
II. Zur Auslegung der chartarechtlichen Würdegarantie | 117 | ||
1. Rechtsquellen der EU-Grundrechte | 118 | ||
2. Rechtserkenntnisquellen der EU-Grundrechte nach Art. 52 GrCh („Auslegungshilfen“) | 119 | ||
a) EMRK-Rechte | 119 | ||
b) Mitgliedstaatliche Verfassungsüberlieferungen | 121 | ||
c) Charta-Erläuterungen | 122 | ||
d) Präambel | 123 | ||
3. Allgemeine Methoden zur Auslegung der EU-Grundrechte | 123 | ||
4. Menschenwürdegarantien in den Verfassungen der Mitgliedstaaten der Europäischen Union | 124 | ||
B. Der gemeinsame Kern des europäischen und des grundgesetzlichen Würdeverständnisses | 127 | ||
I. Eine Ideengeschichte für beide Garantien? | 128 | ||
II. Dominanz eines der Deutungsangebote? | 133 | ||
III. Unrechtserfahrungen des 20. Jahrhunderts als unmittelbarer Ausgangspunkt der beiden Garantien | 137 | ||
IV. Gemeinsamkeiten in der textlichen Konzeption: Wortlaut, Rechtsnatur, systematische Stellung der Garantien | 139 | ||
V. Subjekt-/Objektformel als maßgebliches Kriterium für die Feststellung einer Menschenwürdeverletzung? | 140 | ||
VI. Konsentierte inhaltliche Grundaussagen beider Garantien: Autonomie und Integrität, elementare Gleichheit sowie Sozialbezogenheit des Menschen | 143 | ||
VII. Dennoch: Feine (bereits) systematische Unterschiede | 146 | ||
VIII. Das Problem der evidenzbasierten Bestimmung von Würdeverletzungen | 148 | ||
C. Normative Dimensionen der Menschenwürdegarantien | 150 | ||
I. Menschenwürde „nur“ Grundsatz oder auch Grundrecht? | 150 | ||
II. Drittwirkung der Menschenwürdegarantie | 152 | ||
III. Menschenwürde als Auffanggrundrecht? | 156 | ||
IV. Offenheit der Menschenwürdegarantie für neue Gefahren und Gefährdungen | 156 | ||
V. Offenheit auch für „Verfassungswandel“? | 157 | ||
D. Personaler Schutzbereich | 161 | ||
I. Ausnahmslos natürliche Personen als Träger der Menschenwürde | 161 | ||
II. Pränataler Menschenwürdeschutz | 162 | ||
1. Zur verwendeten Terminologie | 163 | ||
2. Menschenwürdeschutz in der Phase zwischen Nidation und Geburt | 163 | ||
3. Menschenwürdeschutz auch vor der Nidation? | 171 | ||
III. Postmortaler Menschenwürdeschutz | 177 | ||
IV. Würdeschutz der menschlichen Gattung („Menschheitswürde“)? | 180 | ||
V. Ergebnis zum personalen Schutzbereich | 185 | ||
E. Möglichkeit der Einschränkung | 186 | ||
I. Keine Rechtfertigung von Eingriffen, keine Einschränkbarkeit | 186 | ||
II. Ausnahmsweise Abwägung im Fall der Würdekollision? | 189 | ||
III. Menschenwürde als „Schranken-Schranke“ | 190 | ||
IV. Ergebnis | 190 | ||
F. Ausgewählte inhaltliche Ausprägungen der Würdegarantien im Detailvergleich | 191 | ||
I. Noch einmal: Konsentierte Grundaussagen und tatbestandliche Ausdifferenzierung in der Charta | 191 | ||
II. Verbot der Folter und unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung | 193 | ||
III. Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums | 195 | ||
IV. Menschenwürde und Schutz des Privatlebens, insb. Datenschutz | 197 | ||
V. Menschenwürde und Lebensrecht | 206 | ||
1. Schwangerschaftsabbruch | 207 | ||
a) Unter dem Grundgesetz | 208 | ||
b) Unter der Grundrechtecharta | 209 | ||
c) Ein Recht auf Abtreibung? | 212 | ||
d) Im Ergebnis: Normative Unsicherheiten | 215 | ||
2. Sterbehilfe / Sterben in Würde | 215 | ||
a) Zur Terminologie | 216 | ||
b) Indirekte Sterbehilfe | 217 | ||
c) Passive Sterbehilfe | 217 | ||
d) Direkte Sterbehilfe | 220 | ||
e) Fazit zur Sterbehilfe | 221 | ||
VI. Biomedizin und Menschenwürde | 222 | ||
1. Klonen | 225 | ||
a) Reproduktives Klonen | 225 | ||
b) Klonen zu therapeutischen Zwecken mittels Zellkerntransfer | 227 | ||
2. Forschung an Embryonen / totipotenten Zellen | 230 | ||
3. Stammzellforschung | 232 | ||
4. PID | 234 | ||
5. Keimbahnmanipulation / Genome Editing | 237 | ||
6. Leihmutterschaft | 242 | ||
7. Fazit zu Menschenwürde und Biotechnologie | 243 | ||
a) Zusammenfassung der Ergebnisse | 243 | ||
b) Bewertung der Ergebnisse | 244 | ||
G. Fazit | 246 | ||
I. Gemeinsamkeiten und Unterschiede der Würdegarantien „an der Oberfläche“ | 247 | ||
II. Vor allem aber: Inhaltsleere des Würdebegriffs der Charta | 248 | ||
III. Tieferliegend: Die Würdegarantie des Grundgesetzes als interpretierte, die Würdegarantie der Charta als nicht interpretierte These | 250 | ||
IV. Probleme des Diskursmodells aus Art. 1 Abs. 1 GrCh | 251 | ||
V. Mangelnder Konsens in den Mitgliedstaaten der Union | 251 | ||
VI. Normgenerierung und das Problem Evidenz | 252 | ||
VII. Die Würdegarantien zwischen normativem Anspruch und Wirklichkeit | 253 | ||
VIII. Menschenwürde und kulturelle Bedingtheit des Rechts | 254 | ||
Kapitel 5: Schlussbetrachtungen | 255 | ||
A. Bedeutung der Ergebnisse für die Modelle aus Kapitel 2. Zur Grundrechtskonkurrenz im Mehrebenensystem | 255 | ||
I. Einzelfallorientiertes Modell | 256 | ||
II. Unionsgrundrechte als Mindeststandard | 256 | ||
III. Prinzip der Meistbegünstigung / Günstigkeitsprinzip | 256 | ||
IV. Vorrang der mitgliedstaatlichen Grundrechte | 256 | ||
V. Vorrang der Unionsgrundrechte | 257 | ||
VI. Zwischenergebnis | 257 | ||
B. Dialogverantwortung der Gerichte | 258 | ||
C. Identitätskontrolle des BVerfG als legitimes und notwendiges Schutzkonzept | 259 | ||
D. Die Würde des Menschen als Grundwert der politischen Ordnung der Bundesrepublik und der Europäischen Union | 262 | ||
Literaturverzeichnis | 265 | ||
Sachwortverzeichnis | 281 |