Sekundäre Lücken im Recht
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Sekundäre Lücken im Recht
Richterliche Rechtsanpassungen angesichts des Umstands- und Wertewandels
Schriften zur Rechtstheorie, Vol. 297
(2021)
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Manuel Fallmann studierte Rechtswissenschaften, Philosophie und Germanistik an der Universität Konstanz. Während seines Studiums war er als wissenschaftliche Hilfskraft bei Prof. Dr. em. Bernd Rühters über mehrere Jahre tätig. Nach dem Abschluss des ersten juristischen Staatsexamens nahm er 2016 seine Arbeit als wissenschaftlicher Mitarbeiter bei Prof. Dr. Clemens Höpfner auf, bei dem er auch promovierte. Im April 2019 begann er sein Referendariat am Landgericht Stuttgart, das er 2021 abschloss.Abstract
Gesetze bestehen in der Zeit und sind auch den Einflüssen der jeweiligen Zeit ausgesetzt. In vielen Bereichen scheint das Recht einer sich ständig verändernden Wirklichkeit hinterherzuhinken. Der Erlass eines neuen Gesetzes kann aber einige Zeit in Anspruch nehmen. Kann beziehungsweise muss nun die dritte Gewalt die Gesetze verändern, während der Gesetzgeber untätig bleibt? Das Bundesverfassungsgericht erkennt die Möglichkeit einer Anpassung der Rechtsordnung aufgrund gewandelter Umstände in seiner ständigen Rechtsprechung an und betont, dass es die Aufgabe der Rechtsprechung sei, den vom Gesetzgeber festgelegten Gesetzeszweck über die Zeit hinweg ›zuverlässig‹ zur Geltung zu bringen.Diese Arbeit setzt sich zum Ziel, dieses überzeugende Diktum des Bundesverfassungsgerichts zu konkretisieren. Dazu entwickelt sie unter Rückgriff auf die methodische Kategorie der sekundären Lücke ein überzeugendes Konzept, das es dem Rechtsanwender ermöglicht, die Forderung einer Rechtsfortbildung wegen veränderter Umstände anhand rationaler Kriterien zu reflektieren.»Secondary Loopholes in Law«: Laws exist in time and are also subject to the influence of time. Not infrequently, the law lags behind a rapidly changing reality. The Federal Constitutional Court of Germany (»Bundesverfassungsgericht«) demands from the courts that the purpose of the law, as determined by the legislature, be reliably enforced over time. The dissertation concretizes this requirement and, drawing on the methodological category of the secondary loophole, designs a convincing concept for capturing change in the law.
Table of Contents
Section Title | Page | Action | Price |
---|---|---|---|
Vorwort | 5 | ||
Inhaltsverzeichnis | 7 | ||
Abbildungs- und Tabellenverzeichnis | 11 | ||
A. Einleitung | 13 | ||
B. Begriff und Methode der sekundären Lücke – theoretische Grundlegung | 21 | ||
I. Der Streit zwischen objektiver und subjektiver Auslegung und seine Bedeutung für die Feststellung und Ausfüllung sekundärer Lücken | 23 | ||
II. Allgemeiner Begriff der „Gesetzeslücke“ | 34 | ||
1. Historische Entwicklung der Lückendiskussion in Deutschland | 34 | ||
2. Der heutige Begriff der „Lücke“ in der Rechtswissenschaft | 37 | ||
a) Unvollständigkeit der Rechtsordnung | 38 | ||
aa) Die „Rechtsordnung“ als das Unvollständige | 38 | ||
bb) Die vollständige Vergleichsordnung für die unvollständige Rechtsordnung | 39 | ||
b) Planwidrigkeit der Regelungslücke | 42 | ||
3. Ausblick: Sekundäre Lücken als sekundäre planwidrige Unvollständigkeiten oder Überschüsse der Rechtsordnung | 47 | ||
4. Canaris’ Systematisierung der Gesetzeslücken | 48 | ||
a) Die Rechtsverweigerungslücke und ihre Relevanz für die Feststellung und Ausfüllung sekundärer Lücken | 48 | ||
b) Teleologische Lücken | 52 | ||
aa) Analogie und teleologische Reduktion als Mittel der Lückenfeststellung? | 52 | ||
bb) Mögliche und notwendige Analogie | 55 | ||
cc) Relevanz der teleologischen Lücken für die Feststellung und Ausfüllung sekundären Lücken | 56 | ||
c) Prinzipienlücken und ihre Relevanz für die Feststellung und Ausfüllung sekundärer Lücken | 58 | ||
III. Begriff und Kritik der sekundären Lücke | 60 | ||
1. Begriff | 60 | ||
2. Notwendigkeit des Konzepts der sekundären Lücke | 62 | ||
3. Kritische Stimmen gegenüber dem Konzept der sekundären Lücke | 63 | ||
IV. Sekundäre Lücken und sekundäre Überschüsse im Gesetz angesichts der Vorlagepflicht des Richters nach Art. 100 I GG | 70 | ||
V. Ein ähnlicher Fall? Exkurs zur Störung der Geschäftsgrundlage nach § 313 I BGB im Vergleich zur „Störung der Gesetzesgrundlage“ | 75 | ||
VI. Grundmodell zur Methode der Feststellung und Ausfüllung sekundärer Lücken | 79 | ||
1. Erste Variante: Wegfall eines anfänglich sinnvollen Regelungsgedankens auf Grund eines Wandels der Normsituation | 80 | ||
2. Zweite Variante: Plötzliche Regelungsbedürftigkeit eines bisher ungeregelten Sachverhalts | 85 | ||
VII. Grundbegriffe und -techniken zur Umsetzung der Methode der Feststellung und Ausfüllung sekundärer Lücken | 89 | ||
1. Gesetzgeberwille | 91 | ||
2. Gesetzesmaterialien als Erkenntnisquelle des Willens des Gesetzgebers? | 97 | ||
3. Hypothetischer Gesetzgeberwille | 105 | ||
a) Das irreale Moment in hypothetischen Aussagen – Die Semantik kontrafaktischer Konditionalaussagen | 107 | ||
b) Gewandelte Bedingungen – gewandelte Gesetzesanwendung? Zur logischen Struktur und epistemologischen Möglichkeit der Erkenntnis des hypothetischen Gesetzgeberwillens | 113 | ||
c) Resümee und Folgen für Art. 100 I GG | 127 | ||
VIII. Hypothetische Überlegungen als Spezifikum der sekundären Lücken? | 131 | ||
IX. Gefahren des hypothetischen Gesetzgeberwillens im Falle der europarechtskonformen Rechtsanwendung im Zivilrecht | 135 | ||
1. Bewertung der Heininger-Entscheidung | 140 | ||
2. Bewertung der Quelle-Entscheidung | 140 | ||
3. Bewertung der Weber / Putz-Entscheidung | 143 | ||
4. Ergebnis zur Gefährlichkeit des hypothetischen Gesetzgeberwillens | 144 | ||
X. Das Vorsichtsgebot und die speziellen verfassungsrechtlichen Grundlagen nachträglicher richterlicher Rechtsanpassungen | 145 | ||
XI. Rechtsfolge der Feststellung der sekundären Überschüssigkeit | 148 | ||
C. Systematik sekundärer Lücken | 151 | ||
I. Eigener Einteilungsvorschlag | 151 | ||
II. Andere Einteilungsvorschläge | 154 | ||
1. Wandel des Sprachgebrauchs als Grund sekundärer Lücken? (Larenz) | 154 | ||
2. Rechtswidrigwerden von Normen (Baumeister) | 158 | ||
a) Baumeisters Vorschlag | 158 | ||
b) Kritische Würdigung | 160 | ||
D. Feststellung und Ausfüllung sekundärer Lücken anhand beispielhafter Fälle | 166 | ||
I. Sekundäre Lücken durch innerrechtliche Veränderungen | 166 | ||
1. Sekundäre Lücken durch Gesetz | 166 | ||
a) Zweckverlust der beamtenrechtlichen Haftungsprivilegierungen? | 170 | ||
aa) Das Verweisungsprivileg nach § 839 I 2 BGB | 171 | ||
bb) Die Subsidiarität der Schadensersatzklage nach § 839 III BGB | 177 | ||
b) Erweiterung der Inhabilitätsgründe durch die Schaffung neuer Strafgesetze? | 178 | ||
c) Europarecht als Entstehungsgrund sekundärer Lücken am Beispiel von § 239 BGB | 181 | ||
2. Sekundäre Lücken durch Richterrecht am Beispiel des allgemeinen Persönlichkeitsrechts | 183 | ||
3. Ergebnisse | 188 | ||
II. Sekundäre Lücken durch außerrechtliche Veränderungen | 190 | ||
1. Sekundäre Lücken durch Veränderungen im Bereich der objektiven Umstände | 190 | ||
a) Technische Veränderungen | 192 | ||
aa) Gefahr für das Urheberrecht durch Magnettonbandgeräte | 193 | ||
bb) Veränderte Zählmaschinen – veränderte Automatensteuer | 200 | ||
cc) Digitale Inhalte gegen Daten – ein neuer Vertragstypus? | 203 | ||
(1) Unentgeltlichkeit? | 206 | ||
(2) Kauf-, Miet- oder atypischer Vertrag? | 208 | ||
(3) Rechtsfolgen des Rücktritts und Möglichkeit der Kündigung | 213 | ||
dd) Fazit zur Möglichkeit der Rechtsfortbildung im noch ungeregelten Bereich | 215 | ||
b) Wirtschaftlicher Wandel | 218 | ||
aa) Veränderte Zinsen, verändertes Gesetz? – Canaris’ Lösung für die Anpassung des § 247 BGB a. F. | 219 | ||
bb) Hausarbeitstag – nur noch entbehrlicher Luxus? | 222 | ||
c) Sozialer Wandel als Grund für sekundäre Planwidrigkeiten? Am Beispiel des Kranzgeldanspruchs | 228 | ||
d) Sonderfall: Veränderter Kenntnisstand | 233 | ||
e) Ergebnisse | 234 | ||
2. Sekundäre „Lücken“ durch Veränderungen im Bereich der Wertevorstellungen | 235 | ||
a) Soraya | 242 | ||
b) Die Ehe für alle – das Rechtsinstitut der Ehe im Wandel der moralischen und rechtlichen Verständnisse | 248 | ||
aa) Die Argumentation des Bundesverfassungsgerichts | 253 | ||
bb) Die Argumentation des einfachen Gesetzgebers | 262 | ||
c) Resümee | 267 | ||
E. Ergebnisse, Fazit und Ausblick | 270 | ||
Literaturverzeichnis | 278 | ||
Sachverzeichnis | 301 |