Sexuelle Täuschungen – Strafbarkeit und Strafwürdigkeit nach deutschem Sexualstrafrecht
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Sexuelle Täuschungen – Strafbarkeit und Strafwürdigkeit nach deutschem Sexualstrafrecht
Schriften zum Strafrecht, Vol. 380
(2022)
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About The Author
Sebastian Keßler studierte Rechtswissenschaften an der Ludwig-Maximilians-Universität München mit dem Schwerpunkt Strafjustiz, Strafverteidigung und Prävention. Das Referendariat absolvierte er am Oberlandesgericht Zweibrücken. Als Wissenschaftlicher Mitarbeiter und Rechtsanwalt war er im Wirtschaftsstrafrecht und Gesellschaftsrecht/M&A in internationalen Wirtschaftskanzleien in Berlin und München tätig.Abstract
Ist es strafbar, sich Sex durch Hervorrufen eines Irrtums beim Sexualpartner zu »erschleichen«? Die Ausarbeitung setzt an einer materiell-rechtlichen Fragestellung inmitten eines kontrovers und bisweilen emotional diskutierten Feldes an. Es geht um die strafrechtliche Relevanz »sexueller Täuschungen«, also um Fälle, in denen ein am Sexualgeschehen Beteiligter auf das Vorstellungsbild seines Gegenübers einwirkt und hierüber eine - scheinbar - einvernehmliche sexuelle Handlung erreicht.Der Autor macht deutlich, dass angesichts der jüngeren Expansion des Sexualstrafrechts ein Bedürfnis zur Einhegung von Strafnormen wie § 177 StGB besteht. Er verbindet eine dogmatische Untersuchung der Zentralnorm des Sexualstrafrechts mit der Auswertung praxisnaher Fallbeispiele und zeichnet die rechtshistorische Entwicklung »sexueller Täuschungen« nach. Problematisiert wird auch die Tendenz in Politik und Teilen der Wissenschaft, das Strafrecht als Instrument zur Regelung intimer Lebensbereiche in Stellung zu bringen.»Sex by Deception and its Liability under German Criminal Law«: Recent changes in sexual criminal law have led to an expansion of criminal liability in many Western countries. This has also raised the question of whether deception of the sexual partner constitutes a criminal offense - a »rape by deception«. For this purpose, the work primarily examines the relevance of »stealthing« under German criminal law and also takes a look at other practical case studies which usually take place in the sensitive sphere of civil partnerships.
Table of Contents
Section Title | Page | Action | Price |
---|---|---|---|
Vorwort | 7 | ||
Inhaltsverzeichnis | 9 | ||
Erster Teil: Einleitung | 15 | ||
A. Problemaufriss und Untersuchungsgegenstand | 17 | ||
B. Gang der Untersuchung | 18 | ||
Zweiter Teil: Strafrechtsgeschichtliche Entwicklung sexueller Täuschungen | 21 | ||
A. Partikularstrafrecht in den Ländern des Deutschen Bundes ab 1815 | 24 | ||
I. Preußen | 24 | ||
1. Allgemeines Landrecht für die Preußischen Staaten (1794–1851) | 24 | ||
2. Strafgesetzbuch für die Preußischen Staaten (1851–1870) | 26 | ||
II. Königreich Hannover | 28 | ||
III. Königreich Bayern | 30 | ||
B. Deutsches (Kaiser-)Reich ab 1871 | 31 | ||
C. Bundesrepublik | 33 | ||
I. Sexuelle Nötigung und Vergewaltigung in einer Norm | 34 | ||
1. Qualifiziertes Nötigungsmittel (§ 177 Abs. 1 Nr. 1 und 2 StGB a.F.) | 35 | ||
a) Gewalt | 35 | ||
b) Drohung mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben | 38 | ||
aa) Besondere Drohungsintensität? | 38 | ||
bb) Bewertung | 39 | ||
2. Ausnutzen einer schutzlosen Lage (§ 177 Abs. 1 Nr. 3 StGB a.F.) | 40 | ||
a) Gesetzgeberischer Hintergrund | 40 | ||
b) Wortlautauslegung im Täuschungskontext | 41 | ||
3. Zusammenfassung der Täuschungsaffinität des § 177 Abs. 1 StGB a.F. | 43 | ||
II. „Nein heißt Nein“ – Schließung von „Strafbarkeitslücken“? | 43 | ||
1. Genese | 45 | ||
a) Gesetzgebungsprozess in Politik und Medien | 45 | ||
b) Bewertung | 56 | ||
aa) Öffentliches Meinungsbild als alleinige Triebfeder | 57 | ||
bb) Begriffsbranding | 59 | ||
cc) Veränderungen in der Rechtswirklichkeit | 61 | ||
dd) Lückenschließungsprojekt oder Sexualitätsproblematisierung? | 62 | ||
2. Erklärte Ziele der Reform | 66 | ||
a) Handling eines „Klimas der Gewalt“ | 66 | ||
b) Aktive körperliche Gegenwehr nötig | 68 | ||
c) Bestrafung auch bei Fehlen eines subjektiven Finalzusammenhangs | 72 | ||
d) Zu hohe Anforderungen an das Ausnutzen einer schutzlosen Lage | 74 | ||
aa) Urteil des BGH vom 28. Januar 2004 – 2 StR 351/03 | 75 | ||
bb) Resonanz in der Literatur | 76 | ||
cc) Würdigung anhand einer grammatikalischen Auslegung | 77 | ||
dd) Zusammenfassung und Verwertbarkeit | 79 | ||
e) Willensmissachtung als Grund der Strafbarkeit? | 81 | ||
aa) Beschluss des OLG Köln vom 5. März 2004 – Ss 493/03 | 81 | ||
bb) Beschluss des BGH vom 8. November 2011 – 4 StR 445/11 | 82 | ||
cc) „Lückenschluss“ durch § 177 Abs. 2 Nr. 3 StGB n.F.? | 82 | ||
(1) Gesetzentwurf der Bundesregierung | 83 | ||
(2) Ansichten von Fischer, Renzikowski und Hörnle | 84 | ||
(3) Grammatikalische Überprüfung am Wortlaut | 86 | ||
3. Täuschungsspezifische Auslegung von Art. 36 der Istanbul-Konvention? | 88 | ||
a) Wortlautmäßige Beschränkung auf Gewaltanwendung? | 88 | ||
b) Reichweite des Art. 36 in Bezug auf Täuschungen | 89 | ||
aa) Abs. 1: Nicht einverständliche sexuell bestimmte Handlungen | 90 | ||
bb) Abs. 2: Freie Zustimmung nötig | 90 | ||
cc) Zustimmung als Merkmal des § 177 StGB – Vorschlag von Hörnle | 92 | ||
c) Bewertung | 93 | ||
4. Zusammenfassung: Schließt das Nein-heißt-Nein-Modell Schutzlücken? | 94 | ||
III. Sexuelle Täuschungen als weiterhin offene „Lücke“? | 103 | ||
1. Begrenztheit der Auslegung mangels verbrieften Regelungswillens? | 104 | ||
2. Wortlaut des § 177 Abs. 1 StGB als alleinige Grenze für Unrechtsbewertung | 107 | ||
D. Zusammenfassung | 109 | ||
Dritter Teil: Materiell-strafrechtliche Untersuchung | 112 | ||
A. Schutzbereich des § 177 StGB | 112 | ||
I. Rechtsgut als Leitbild der Tatbestandsauslegung? | 115 | ||
1. Das Rechtsgut Sexuelle Selbstbestimmung | 115 | ||
2. Ausprägung der sexuellen Selbstbestimmung in § 177 StGB | 119 | ||
II. Täuschungen als Eingriff in die sexuelle Selbstbestimmung? | 120 | ||
1. Erweiterung des sexuellen Selbstbestimmungsrechts seit 2016? | 120 | ||
a) Rückschau: Sexuelle Selbstbestimmung bei § 177 Abs. 1 StGB a.F. | 121 | ||
b) Sexuelle Selbstbestimmung nach der Reform | 123 | ||
c) Zwischenergebnis | 124 | ||
2. Einordnung von Täuschungen | 126 | ||
a) Vergleich mit dem Rechtsgut bei § 123 StGB | 126 | ||
b) Täuschungen und sexuelle Selbstbestimmung im Zivilrecht | 128 | ||
c) Zwischenergebnis | 130 | ||
B. Systematik des § 177 StGB nach Neuaufteilung | 131 | ||
I. Grundtatbestände und Versuch | 131 | ||
II. Qualifikationen | 133 | ||
III. Regelbeispiele und minder schwere Fälle in § 177 StGB | 135 | ||
1. Vergewaltigung (§ 177 Abs. 6 Satz 2 Nr. 1 StGB) | 137 | ||
2. Gemeinschaftliche Tatbegehung (§ 177 Abs. 6 Satz 2 Nr. 2 StGB) | 139 | ||
3. Minder schwere Fälle (§ 177 Abs. 9 StGB) | 139 | ||
C. Urteil des AG Tiergarten vom 11.12.2018 – (278 Ls) 284 Js 118/18 (14/18) | 142 | ||
I. Sachverhalt | 142 | ||
II. Lösung des AG Tiergarten | 144 | ||
1. Gegen den erkennbaren Willen | 144 | ||
2. Mehrere sexuelle Handlungen als Bezugspunkte? | 145 | ||
3. Kein tatbestandsausschließendes Einverständnis, keine Einvernehmlichkeit | 145 | ||
4. Pönometrie | 146 | ||
III. Offene Fragen | 148 | ||
1. Urteil zu sexueller Täuschung? | 148 | ||
2. Einzelaspekt des Geschlechtsverkehrs als sexuelle Handlung? | 150 | ||
3. Einverständnis und Wille | 151 | ||
4. Zwischenergebnis | 153 | ||
D. Objektiver Tatbestand des § 177 Abs. 1 StGB und Täuschungsaffinität | 154 | ||
I. Vornahme einer sexuellen Handlung als Täuschung? | 155 | ||
1. Qualität der sexuellen Handlung | 155 | ||
a) Äußeres Erscheinungsbild | 156 | ||
b) Übergehen des Willens als integraler Bestandteil der Tathandlung? | 159 | ||
c) Zwischenergebnis | 159 | ||
2. Erheblichkeit | 160 | ||
a) Erheblichkeit bei Täuschungen | 162 | ||
b) Konsequenz für Qualität des Täuschungsobjekts | 163 | ||
3. Zeitliche Extensivität und Isolierbarkeit der sexuellen Handlung | 164 | ||
a) Grammatische Auslegung der Pluralformulierung | 165 | ||
aa) Vergleich zu §§ 152 und 184 StGB | 166 | ||
bb) Uneinheitliche Begriffsverwendung in der Rechtsprechung | 167 | ||
cc) Zwischenergebnis | 168 | ||
b) Ansichten in der Literatur | 169 | ||
aa) Punktuelle Herangehensweisen | 169 | ||
bb) Ganzheitliche Ansätze | 172 | ||
cc) Bewertung | 173 | ||
c) Zusammenfassung | 177 | ||
4. Wahrnehmung durch Opfer nötig? | 178 | ||
5. Erscheinungsform von Taten in Täuschungskontexten | 180 | ||
a) Erste Komponente: Sexuelle Handlung | 180 | ||
b) Zweite Komponente: Unbemerktes Handeln | 180 | ||
6. Zusammenfassung | 181 | ||
II. Gegen den erkennbaren Willen | 182 | ||
1. Erkennbarer Wille als Begriffseinheit? | 186 | ||
2. Gegen den Willen | 188 | ||
a) Begriff des Willens im Kernstrafrecht | 188 | ||
aa) § 108a Abs. 1 StGB (Wählertäuschung) | 189 | ||
bb) § 248b Abs. 1 StGB (Unbefugter Gebrauch eines Fahrzeugs) | 190 | ||
cc) § 291 Abs. 1 StGB (Wucher) | 195 | ||
dd) § 218 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 StGB (Schwangerschaftsabbruch) | 197 | ||
ee) Zwischenergebnis | 199 | ||
b) Anforderungen an den Gegenwillen bei § 177 Abs. 1 StGB | 201 | ||
aa) Formeller Gegenwille | 203 | ||
bb) Natürlicher oder faktischer Gegenwille | 205 | ||
cc) Mutmaßlicher Gegenwille | 212 | ||
(1) Abgrenzung zur mutmaßlichen Einwilligung | 212 | ||
(2) Mutmaßliches Interesse und überraschendes Vorgehen | 215 | ||
(3) Zwischenergebnis | 216 | ||
dd) Hypothetischer Gegenwille | 219 | ||
ee) Genuiner Gegenwille | 222 | ||
(1) Abgrenzung zum antizipierten Gegenwillen | 223 | ||
(2) Qualitative Komponente | 225 | ||
(a) Besondere Entschiedenheit nötig? | 225 | ||
(b) Gegenwille bei „aktivem Handeln von Geschädigten“ | 227 | ||
(c) Empfindliches Übel als Schwelle der Strafbarkeit | 230 | ||
(d) Stellungnahme | 232 | ||
(3) Zeitliche Komponente – Verstoß gegen Koinzidenzprinzip? | 234 | ||
(4) Vergleich zum antizipierten Verteidigungswillen bei der Notwehr | 238 | ||
ff) Gefahren einer individualistischen Konsensnorm | 240 | ||
gg) Normspezifische Abgrenzung von Einverständnis und Einwilligung | 244 | ||
(1) Die „Zweiteilungslehre“ bei Geerds und die Kritik von Holznagel | 244 | ||
(2) Tatbestandsausschließendes Einverständnis zu § 177 Abs. 1 StGB? | 246 | ||
(3) Einwilligung in § 177 Abs. 1 StGB? | 248 | ||
(4) Bewertung | 250 | ||
c) Durch Täuschung erreichte Einvernehmlichkeit als „Wille“? | 250 | ||
aa) Täuschung über Tatsachen und Irrtum bei § 263 Abs. 1 StGB | 251 | ||
bb) Das Erschleichen bei § 265a Abs. 1 StGB | 256 | ||
cc) Vergleich von Erschleichen und Täuschung | 259 | ||
dd) Täuschung und Erschleichung in Sexualsachverhalten | 259 | ||
(1) Gegenwille ist grundsätzlich täuschungsaffines Merkmal | 260 | ||
(2) Dealbreaker | 262 | ||
(3) Rechtsgutsbezug als Unterscheidungskriterium? | 266 | ||
d) Zusammenfassung | 267 | ||
3. Die Erkennbarkeit des Willens | 272 | ||
a) Objektives Tatbestandsmerkmal | 273 | ||
b) Eigentlich: Subjektivierter objektiver Beobachter | 275 | ||
c) (Vor-)Wissen des maßgeblichen Beobachters | 277 | ||
d) Bewertung: Erkennbarkeit in Täuschungssachverhalten | 281 | ||
E. Subjektiver Tatbestand des § 177 Abs. 1 StGB und Täuschung | 283 | ||
F. Korrektive aus dem materiellen Strafrecht | 285 | ||
I. Strafrahmen des § 177 Abs. 6 Satz 2 Nr. 1 StGB (Vergewaltigung) | 286 | ||
II. Erheblichkeitsschwelle des § 184h Nr. 1 StGB analog | 289 | ||
III. Einführung eines Antragserfordernisses | 291 | ||
G. Zusammenfassung | 293 | ||
Vierter Teil: Reflexion und Falluntersuchung | 300 | ||
A. Nein heißt Nein als signal crime | 300 | ||
B. Strafrechtswissenschaftliche Rezeption | 303 | ||
I. Strafrechtsaffinität innerhalb der Strafrechtswissenschaft | 303 | ||
1. Strafrechtswissenschaft zwischen Konstruktivität und Destruktivität | 306 | ||
a) Kubiciels Vorwurf einer „ertraglosen Strafrechtsskepsis“ | 306 | ||
b) Distanz zur Strafrechtspolitik als Notwendigkeit | 310 | ||
c) Bewertung | 313 | ||
2. Punitivität | 317 | ||
3. Bewertung | 323 | ||
II. Normative Legitimation zur „Regulierung des Intimen“? | 325 | ||
1. § 177 Abs. 1 StGB als „Spiegel der Sozialmoral“? | 326 | ||
2. „Nein“ und der Rückgriff auf die Menschenwürde | 330 | ||
C. Zusammenfassung und Prämisse für die Falluntersuchung | 332 | ||
D. Falluntersuchung | 334 | ||
I. Kategorisierung | 334 | ||
II. Stealthing | 337 | ||
1. Definition und Erscheinungsformen | 337 | ||
2. Strafrechtliche Differenzierung | 338 | ||
3. Überlegungen zur Strafwürdigkeit | 344 | ||
4. Bedeutung im Fall der Kondompflicht des § 32 Abs. 1 ProstSchG | 347 | ||
III. Pendent „Antibabypille“? | 349 | ||
IV. Wechsel des Sexualpartners während des Geschlechtsakts | 351 | ||
V. Sonstige physische Einwirkungen | 353 | ||
VI. Persönliche Umstände des Täters | 353 | ||
VII. Geschlechtlich-sexuelle Identität | 357 | ||
VIII. Geschlechtskrankheiten | 359 | ||
IX. Motivirrtümer am Beispiel des „Prostituiertenbetrugs“ | 362 | ||
1. Täuschung von Prostituierten als Sexualdelikt? | 363 | ||
2. Exkurs: Strafbarkeit einer solchen Täuschung nach § 263 Abs. 1 StGB | 364 | ||
3. Unvereinbarkeit von Betrug und sexuellem Übergriff | 368 | ||
X. Gynäkologische Behandlungen | 368 | ||
XI. Heimliches Filmen | 370 | ||
XII. Abschließende Bewertung der Fallbeispieluntersuchung | 372 | ||
Fünfter Teil: Schlussbemerkung | 374 | ||
Literaturverzeichnis | 376 | ||
Stichwortverzeichnis | 404 |