Der Zugang des Angeklagten zur Verständigung im Strafprozess
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Der Zugang des Angeklagten zur Verständigung im Strafprozess
Tatbestand und Rechtsfolge des § 257c Abs. 1 S. 1 StPO und seine Vereinbarkeit mit dem allgemeinen Gleichheitssatz
Schriften zum Strafrecht, Vol. 387
(2022)
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About The Author
Manuel Strelitz studierte von 2008 bis 2013 Rechtswissenschaften mit Begleitstudien im Europäischen Recht an der Julius-Maximilians-Universität Würzburg. Während seiner Studienzeit war er Stipendiat des Max Weber-Programms. Nach dem Rechtsreferendariat im Bezirk des Oberlandesgerichts Bamberg arbeitete er von 2016 bis 2021 als Rechtsanwalt für eine international ausgerichtete Wirtschaftskanzlei in München sowie eine auf Unternehmensinsolvenzverwaltung spezialisierte Kanzlei in Nürnberg. Seit Juli 2021 ist er Staatsanwalt im bayerischen Staatsdienst mit einem Schwerpunkt in der Verfolgung von Wirtschaftsstraftaten.Abstract
Das Instrument der Verständigung im Strafprozess ist ein »Kind der Praxis«. Als der Gesetzgeber es im Jahr 2009 in die Strafprozessordnung überführte, trat er mit dem Anspruch an, hierdurch Rechtssicherheit und Transparenz für alle Verfahrensbeteiligten zu schaffen. In Anbetracht dieser hochgesteckten Ziele untersucht der Autor die gesetzlichen Vorgaben für die Weichenstellung zwischen dem herkömmlichen und dem konsensualen Verfahrensmodus im Strafprozess. Das bislang kaum konturierte Tatbestandsmerkmal des für eine Verständigung »geeigneten Falles« wird einer positiven Begriffsbestimmung zugeführt. Determinanten und Grenzen des richterlichen Ermessens bei der Verfahrenswahl werden beleuchtet. Hierbei geht der Autor insbesondere der Frage nach, unter welchen Voraussetzungen der Angeklagte ein gerichtliches Verständigungsangebot beanspruchen kann. Abschließend legt er dar, dass von den geltenden Verständigungsregeln eine verfassungswidrige Ungleichbehandlung der Angeklagten ausgeht.»The Defendant's Access to a Plea Bargain in Criminal Proceedings. Factual Requirements and Legal Consequences of Section 257c (1) Sentence 1 of the German Code of Criminal Procedure and its Compatibility with the General Principle of Equality«: By introducing Section 257c of the German Code of Criminal Procedure, the legislature promised to create legal certainty and transparency. Nevertheless, it left the decision to enter into a plea bargain in "suitable cases" to judicial discretion. The author examines the applicable requirements, shows in which cases the defendant must be offered a plea bargain, and explains why the current legal situation results in unconstitutional unequal treatment of defendants.
Table of Contents
Section Title | Page | Action | Price |
---|---|---|---|
Vorwort | 5 | ||
Inhaltsübersicht | 7 | ||
Inhaltsverzeichnis | 9 | ||
Abkürzungsverzeichnis | 15 | ||
Teil 1: Einführung | 19 | ||
A. Problemdarstellung | 19 | ||
I. Licht und Schatten des Verständigungsdiskurses | 19 | ||
II. Die Konsequenzen einer versagten Verständigung für den Angeklagten | 23 | ||
1. Die Profiteure der Verständigung | 23 | ||
2. Dem Angeklagten typischerweise entgehende Vorteile | 27 | ||
a) Abkürzung der Hauptverhandlung | 28 | ||
b) Kalkulierbarer Verfahrensverlauf und -ausgang | 29 | ||
c) Mildere Bestrafung | 30 | ||
B. Gründe für eine ablehnende Haltung von Teilen der Justiz gegenüber dem Instrument der Verständigung oder seiner Anwendung im Einzelfall | 32 | ||
I. Empirische Erkenntnisse | 34 | ||
1. Grundlegende Einteilung | 34 | ||
2. Fallbezogene Betrachtungsweise | 35 | ||
II. Weiterführende Thesen | 37 | ||
1. Rechtliche Einwände | 37 | ||
2. Moralische Einwände | 38 | ||
3. Praktische Einwände | 39 | ||
4. Vermeidung wegen der Fehleranfälligkeit prozessualer Absprachen | 41 | ||
5. Ignoranz der neuen Rechtslage | 41 | ||
6. Vermeidung aus Fürsorge? | 42 | ||
III. Ergebnis | 42 | ||
C. Gegenstand und Gang der Arbeit | 43 | ||
Teil 2: Die Entscheidung des Gerichts über die Unterbreitung eines Verständigungsangebots | 46 | ||
A. Grundlagen der Verständigung | 46 | ||
I. Die Verständigung | 46 | ||
1. Der Begriff der Verständigung | 46 | ||
2. Die Rechtsnatur der Verständigung | 47 | ||
3. Die Bedeutung des Geständnisses | 50 | ||
a) Das Geständnis als Regelanforderung | 50 | ||
b) Die erforderliche Qualität des Geständnisses | 53 | ||
4. Abgrenzung zu anderen Kommunikationsakten im Strafverfahren | 59 | ||
II. Der Verständigungsvorschlag des Gerichts | 63 | ||
1. Formelle Anforderungen | 63 | ||
2. Inhaltliche Anforderungen | 66 | ||
III. Zusammenfassung | 71 | ||
B. Das Tatbestandsmerkmal des geeigneten Falles i. S. d. § 257c Abs. 1 S. 1 StPO | 72 | ||
I. Die spärlichen Vorgaben des Gesetzgebers | 72 | ||
II. Negative Eingrenzung mittels Analyse streitiger Felder | 73 | ||
1. Jugendstrafverfahren | 74 | ||
a) Der Streit in der Literatur um die Zulässigkeit von Absprachen im Jugendstrafverfahren | 74 | ||
b) Die Linie der Rechtsprechung | 75 | ||
c) Die Entscheidung des Gesetzgebers | 77 | ||
d) Anforderungen an den geeigneten Fall im Jugendstrafverfahren | 78 | ||
2. Bußgeldverfahren | 81 | ||
a) Ungeeignetheit als Regelfall in Bußgeldverfahren? | 82 | ||
b) Die Gesetzesbegründung zu den Änderungen im Ordnungswidrigkeitenrecht als Grundlage einer allgemeingültigen Formel? | 84 | ||
c) Sonderfall: Verständigung in einem Bußgeldverfahren ohne Beteiligung der Staatsanwaltschaft | 87 | ||
3. Zweifelhafte Schuldfähigkeit des Angeklagten und die im Raum stehende Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus gemäß § 63 StGB | 88 | ||
4. Verfahren mit mehreren Angeklagten unterschiedlicher Verständigungsbereitschaft | 90 | ||
5. Verfahren vor den Schwurgerichten | 92 | ||
a) Allgemeine Einwände bei vorsätzlichen Tötungsdelikten | 92 | ||
b) Sonderfall: Vollendeter Mord | 94 | ||
6. Verfahren vor den Staatsschutzsenaten | 96 | ||
7. Unzureichender Beweis- beziehungsweise „Mehrwert“ des Geständnisses? | 99 | ||
8. Fall (noch) zu „offen“? | 101 | ||
III. Versuch einer positiven Begriffsbestimmung | 103 | ||
1. Ansätze des Schrifttums | 103 | ||
2. Stellungnahme und eigener Vorschlag | 104 | ||
IV. Die Kontrolldichte des unbestimmten Rechtsbegriffs | 107 | ||
1. Zur Legitimation tatrichterlicher Beurteilungsspielräume | 107 | ||
a) Exkurs: Die dogmatischen Grundlagen im Verwaltungsrecht | 107 | ||
b) Die dogmatischen Grundlagen im Straf- und Strafprozessrecht | 109 | ||
aa) Verfassungsrechtliche Rahmenbedingungen | 110 | ||
bb) Stand der Diskussion auf einfachgesetzlicher, materiell-rechtlicher Ebene | 113 | ||
(1) Standpunkte der Befürworter | 114 | ||
(2) Gegenargumente | 118 | ||
cc) Übertragbarkeit der Kontroverse auf die Ebene des Strafverfahrensrechts | 123 | ||
(1) Nicht übertragbare Argumente | 123 | ||
(2) Übertragbare Argumente | 126 | ||
dd) Stellungnahme und Ergebnis | 128 | ||
2. Der Beurteilungsspielraum des Tatrichters bei der Bewertung der Geeignetheit des Falles | 130 | ||
a) Meinungsbild | 130 | ||
b) Prüfung der normativen Ermächtigung | 132 | ||
c) Ergebnis | 135 | ||
C. Qualifikation der Rechtsfolge des § 257c Abs. 1 S. 1 StPO | 136 | ||
I. Zur Notwendigkeit der Qualifikation | 136 | ||
II. Die Zielsetzung der Auslegung | 140 | ||
III. Die Auslegung der Rechtsfolgenseite des § 257c Abs. 1 S. 1 StPO | 141 | ||
1. Grammatische Auslegung | 141 | ||
a) Meinungsstand | 142 | ||
aa) Verständnis der Literatur | 142 | ||
bb) Verständnis der Rechtsprechung | 146 | ||
(1) Verständnis des BGH | 146 | ||
(2) Verständnis des BVerfG | 147 | ||
cc) Bewertung und eigene Stellungnahme | 148 | ||
b) Vorrang der fachsprachlichen Deutung des Begriffs „kann“ | 150 | ||
2. Systematische Auslegung | 153 | ||
a) Einfluss der Koppelungsvorschrift | 153 | ||
b) Bloße Option zur Erörterung des Verfahrensstands | 154 | ||
c) Einfluss der Prozessmaximen und der verfassungsrechtlichen Grundlagen | 155 | ||
aa) Vorab: Ergiebigkeit der durch Prozessmaxime geleiteten Auslegung | 156 | ||
bb) Instruktionsmaxime und Schuldprinzip | 158 | ||
cc) Beschleunigungsgebot | 163 | ||
dd) Prinzip der Gleichbehandlung | 165 | ||
(1) Sichtweise der Rechtsprechung | 166 | ||
(2) Sichtweise der Literatur | 166 | ||
(3) Bedeutung für die systematische Auslegung | 168 | ||
ee) Recht auf ein faires Verfahren und Gebot der „Waffengleichheit“ | 169 | ||
d) Verfassungskonforme Auslegung | 172 | ||
3. Historische und genetische Auslegung | 173 | ||
a) Rechtslage vor der gesetzlichen Regelung | 173 | ||
aa) Vom vagen Agieren im „normativen Vakuum“ | 173 | ||
bb) Keine konkreten Vorgaben des BGH zur Verfahrenswahl | 179 | ||
cc) Alternative Regelungsvorschläge im Gesetzgebungsprozess | 182 | ||
(1) Vorschlag der Bundesrechtsanwaltskammer | 183 | ||
(2) Eckpunktepapier der Generalstaatsanwältinnen und Generalstaatsanwälte | 184 | ||
(3) Gesetzesantrag des Landes Niedersachsen | 186 | ||
(4) Gesetzentwurf des Bundesrates | 188 | ||
(5) Vorschlag des Deutschen Anwaltsvereins | 189 | ||
(6) Zusammenfassung | 191 | ||
b) Entstehungsgeschichte des Verständigungsgesetzes | 192 | ||
aa) Keine Bindung des Gerichts bei Anregungen der Verfahrensbeteiligten | 192 | ||
bb) Bewusster Einsatz der Kann-Vorschriften | 193 | ||
cc) Bewusste Entscheidung gegen einen Anspruch auf vorläufige richterliche Einschätzung des Verfahrensstands | 194 | ||
c) Zwischenergebnis | 195 | ||
4. Teleologische Auslegung | 196 | ||
a) Die Zwecke der Gesamtheit der Regeln zur Verständigung | 196 | ||
b) Die Zwecke des § 257c Abs. 1 S. 1 StPO | 198 | ||
5. Gesamtergebnis der Auslegung | 199 | ||
IV. Entschließungs- und Auswahlermessen | 200 | ||
D. Die Ermessensausübung des erkennenden Gerichts | 201 | ||
I. Rechtliche Determinanten der Ermessensausübung | 202 | ||
1. Der Maßstab der Zweckmäßigkeit | 203 | ||
2. Die Bestimmung des Normzwecks | 204 | ||
3. Methodische Herausforderungen | 207 | ||
II. Übertragung der Lehre auf § 257c Abs. 1 S. 1 StPO | 212 | ||
1. Die ratio legis der Verständigung | 213 | ||
2. Die Abhängigkeit der Gesetzeszweckverwirklichung von der Ermessensausübung | 217 | ||
3. Auswirkung der Koppelungsvorschrift auf die Ermessensausübung | 221 | ||
a) Denkbare Konsequenzen | 222 | ||
b) Hier: Keine Deckungsgleichheit der Entscheidungserwägungen | 224 | ||
III. Ermessensreduzierung | 227 | ||
1. Exkurs: Ermessensreduzierung auf Null im Rahmen der Erörterungsvorschriften | 228 | ||
2. Denkbare Fallgruppen der Ermessensreduzierung im Rahmen des § 257c Abs. 1 S. 1 SPO | 230 | ||
a) Gleichbehandlung von Mitangeklagten | 231 | ||
b) Selbstbindung des Gerichts | 233 | ||
IV. Begründungserfordernis | 237 | ||
1. Rechtsgrundlage | 237 | ||
2. Begründungsinhalt und -tiefe | 240 | ||
V. Zusammenfassung | 243 | ||
E. Die Revisibilität von Verstößen gegen § 257c Abs. 1 S. 1 StPO | 245 | ||
I. Grundlagen | 245 | ||
1. Weder unverbindlicher Programmsatz noch bloße Ordnungsvorschrift | 245 | ||
2. Umfang der Prüfungskompetenz des Revisionsgerichts | 249 | ||
a) Die Grenzen des tatbestandlichen Beurteilungsspielraums | 249 | ||
b) Die Grenzen des tatrichterlichen Ermessens | 251 | ||
3. Beruhenszusammenhang | 254 | ||
a) Bei rechtsfehlerhaft getroffener Verständigung | 256 | ||
b) Bei rechtsfehlerhaft verweigerter Verständigung | 257 | ||
4. Persönliche Beschwer | 258 | ||
a) Durch einen unstatthaften Verständigungsvorschlag | 259 | ||
b) Durch ein rechtsfehlerhaft verweigertes Verständigungsangebot | 260 | ||
c) Das Wächteramt der Staatsanwaltschaft | 262 | ||
5. Anforderungen an die Revisionsbegründung | 263 | ||
II. Betrachtung der rechtstatsächlichen Anwendungs- und Versagungsgründe im Spiegel der Kontrollmaßstäbe | 266 | ||
1. Die Unzulässigkeit der pauschalen Verweigerungshaltung | 266 | ||
2. Bewertung fallbezogener Erwägungen | 267 | ||
a) Konkretisierung des Kontrollmaßstabs | 267 | ||
b) Für eine Verständigung sprechende Erwägungen | 268 | ||
c) Gegen eine Verständigung sprechende Erwägungen | 269 | ||
III. Zusammenfassung | 271 | ||
Teil 3: Der gesetzliche Zugang des Angeklagten zur Verständigung im Lichte des allgemeinen Gleichheitssatzes | 273 | ||
A. Rechtsetzungsgleichheit | 273 | ||
I. Ungleichbehandlung von wesentlich Gleichem | 274 | ||
1. Vergleichsgruppenbildung | 274 | ||
2. Ungleichbehandlung der Vergleichsgruppen durch das Gesetz | 277 | ||
a) BVerfG: Die Durchsetzung des staatlichen Strafanspruchs und die Pflicht zum schuldangemessenen Strafen als Schlüssel zur fortbestehenden Rechtsgleichheit | 277 | ||
b) Die Ungleichbehandlung der Angeklagten und ihre Anlage im Gesetz | 278 | ||
aa) Ungleichbehandlung im Verfahrensgang | 278 | ||
bb) Ungleichbehandlung im Verfahrensergebnis | 282 | ||
(1) Strafmilderung bei Verständigung | 283 | ||
(2) Strukturelle Anlage im Gesetz | 286 | ||
3. Zwischenergebnis | 288 | ||
II. Verfassungsrechtliche Rechtfertigung | 289 | ||
1. Sachlicher Differenzierungsgrund | 289 | ||
a) Die Funktionstüchtigkeit der Strafrechtspflege als Legitimationsgrundlage der Rechtsprechung | 290 | ||
b) Die Gründe des Gesetzgebers für die regulierte Freigabe des Verständigungsinstruments | 292 | ||
c) Zur generellen Legitimität der Gründe | 293 | ||
2. Die Tragfähigkeit des dominierenden Differenzierungsgrunds | 296 | ||
a) Bestimmung der Strenge des Prüfungsmaßstabs | 296 | ||
b) Eignung | 298 | ||
c) Erforderlichkeit | 300 | ||
d) Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne | 301 | ||
aa) Ausmaß und Intensität der Ungleichbehandlung | 302 | ||
bb) Ausmaß und Grad der Zielerreichung | 304 | ||
cc) Die Bedeutung des verfolgten Ziels im Verhältnis zum Grad seiner Verwirklichung und der dafür hingenommenen Ungleichbehandlung | 307 | ||
III. Ergebnis | 309 | ||
B. Conclusio und Ausblick | 310 | ||
Teil 4: Zusammenfassung der wichtigsten Ergebnisse in Thesen | 313 | ||
Literaturverzeichnis | 318 | ||
Stichwortverzeichnis | 346 |