Die Täuschung des Beschuldigten
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Die Täuschung des Beschuldigten
Strafrechtliche Abhandlungen. Neue Folge, Vol. 304
(2022)
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Tobias Müller studierte Rechtswissenschaft mit Schwerpunkt im Steuerrecht an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf (HHU). Nach Abschluss des ersten Staatsexamens im Jahr 2017 arbeitete er als Wissenschaftlicher Mitarbeiter und Doktorand am Lehrstuhl für Strafrecht und Strafprozessrecht von Prof. Dr. Helmut Frister sowie am Institut für Rechtsfragen der Medizin (IMR) in Düsseldorf und war als Lehrbeauftragter an der Medizinischen Fakultät der HHU tätig. Im Dezember 2020 nahm er den juristischen Vorbereitungsdienst im Bezirk des OLG Düsseldorf auf, unter anderem mit Stationen am Landgericht Düsseldorf, bei der Staatsanwaltschaft Düsseldorf und in der auf Wirtschafts- und Steuerstrafrecht spezialisierten Kanzlei VBB Rechtsanwälte.Abstract
Irreführende Ermittlungsmethoden und Vernehmungsmuster gehören seit jeher zum Repertoire der Strafverfolgungsbehörden und sind nach wie vor aus dem Ermittlungsverfahren nicht hinwegzudenken. Die StPO bezieht zu deren Einsatz in der Beschuldigtenvernehmung insoweit Stellung, als sie in § 136a Abs. 1 Satz 1 ein Täuschungsverbot für die Vernehmung statuiert und in § 136 Abs. 2 anordnet, dass die Vernehmung dem Beschuldigten die Gelegenheit geben soll, Verdachtsgründe zu beseitigen und entlastende Umstände vorzubringen. Tobias Müller folgert daraus, dass die Vernehmung entgegen der herrschenden Meinung ausschließlich der Gewährung rechtlichen Gehörs zur Beseitigung eines vorliegenden Verdachts dient, weshalb in der Vernehmung nichts geschehen darf, was dieser Entlastungsfunktion zuwiderläuft. Entgegen diesem Verbot erhobene Aussagen dürfen regelmäßig nicht verwertet werden. Außerhalb der Vernehmung ist der Beschuldigte durch die Selbstbelastungsfreiheit partiell vor Irreführungen geschützt.»Deceptions of the Accused«: Criminal proceedings are still characterized by the use of deceptive investigation techniques against the accused, particularly during interrogation. Tobias Müller examines the legitimacy of such techniques and advocates an understanding of interrogation as means of the accused’s right to be heard for the purpose of exoneration.
Table of Contents
Section Title | Page | Action | Price |
---|---|---|---|
Vorwort | 5 | ||
Inhaltsübersicht | 7 | ||
Inhaltsverzeichnis | 9 | ||
Abkürzungsverzeichnis | 15 | ||
Einleitung | 19 | ||
Kapitel 1: Vernehmung des Beschuldigten | 24 | ||
A. Die Beschuldigteneigenschaft | 25 | ||
I. Die grundverschiedene Stellung von Beschuldigten und Zeugen im Strafverfahren | 25 | ||
II. § 157 StPO als Ausgangspunkt der Begriffsbestimmung | 26 | ||
III. Der Beschuldigte als verdächtige Person | 28 | ||
1. Das Vorliegen zureichender tatsächlicher Anhaltspunkte als Voraussetzung der Ermittlungsbefugnis und Ermittlungspflicht | 28 | ||
a) Relativität des Anfangsverdachts | 28 | ||
b) Verfolgbare Straftat | 30 | ||
c) Zureichende verdachtsbegründende Tatsachen | 31 | ||
2. Der Anfangsverdacht als notwendige Bedingung der Beschuldigung | 32 | ||
3. Der Anfangsverdacht als hinreichende Bedingung der Beschuldigung | 33 | ||
IV. Ergebnis | 38 | ||
B. Der Zweck der Beschuldigtenvernehmung | 38 | ||
I. Der Inquisitionsprozess der Constitutio Criminalis Carolina von 1532 | 40 | ||
II. Abschaffung der Folter durch Friedrich II. von Preußen als erster Schritt der Abwendung vom Inquisitionsprozess | 41 | ||
III. Die Beschuldigtenvernehmung in der Reichsstrafprozessordnung von 1877 | 44 | ||
1. Genese der Vorschriften zur Beschuldigtenvernehmung: § 136 Abs. 2 StPO als zentrale Vorschrift | 45 | ||
2. Wahrheitsermittlung als Zweck der Beschuldigtenvernehmung aus Sicht des historischen Gesetzgebers | 49 | ||
3. Formulierung des § 136 Abs. 2 StPO als „Soll-Vorschrift“? | 52 | ||
IV. Weitere Entwicklung des Zwecks der Beschuldigtenvernehmung und Ergebnis | 54 | ||
C. Der Begriff der Beschuldigtenvernehmung | 56 | ||
I. Beschuldigtenvernehmung als Befragung im Rahmen eines Strafverfahrens – Abgrenzung zu Spontanäußerungen und informatorischen Befragungen | 56 | ||
1. Spontanäußerungen | 57 | ||
2. Sogenannte informatorische Befragungen | 58 | ||
II. Offenes Vorgehen der Vernehmungsperson als begriffskonstituierendes Merkmal der Beschuldigtenvernehmung? | 59 | ||
III. Durch eine Strafverfolgungsbehörde veranlasste Befragung des Beschuldigten durch einen privaten Dritten als Vernehmung | 64 | ||
IV. Ergebnis | 66 | ||
Kapitel 2: Täuschung des Beschuldigten | 67 | ||
A. Gegenstand der Täuschung | 67 | ||
I. Täuschungen über Tatsachen | 67 | ||
1. Grundlagen des Tatsachenbegriffs | 68 | ||
a) Kriterium der Beweisbarkeit | 69 | ||
b) Zukünftige Zustände, Ereignisse und Vorgänge als Tatsachen | 71 | ||
2. Innere Tatsachen | 72 | ||
II. Irreführungen über Werturteile als Täuschungen | 74 | ||
III. Täuschungen über Rechtsfragen | 75 | ||
IV. Ergebnis | 77 | ||
B. Art und Weise der Täuschung | 78 | ||
I. Einführung | 78 | ||
1. Täuschung als kommunikatives Verhalten des Vernehmenden | 78 | ||
2. Fehlvorstellung als psychische Reaktion des Beschuldigten: Unabhängigkeit des Täuschungsbegriffs vom Irrtumserfolg | 80 | ||
II. Aktive Täuschung | 81 | ||
1. Ausdrückliche Täuschung | 81 | ||
2. Konkludente Täuschung | 83 | ||
III. Täuschung durch Unterlassen: Verschweigen von Tatsachen und Beschuldigtenrechten | 84 | ||
1. Grundlagen der Täuschung durch Unterlassen: Erfordernis einer Garantenstellung | 84 | ||
2. Abgrenzung zwischen aktiver Täuschung und Täuschung durch Unterlassen | 85 | ||
3. Aufklärungspflichten gegenüber dem Beschuldigten | 87 | ||
a) Gesetzliche Aufklärungspflichten über Beschuldigtenrechte | 88 | ||
aa) Belehrungsvorschriften im Gefüge der Strafprozessordnung | 88 | ||
bb) Belehrungspflichten als Garantenpflichten | 89 | ||
(1) Belehrungsvorschriften ohne Ermessensspielraum („Ist-Vorschriften“) | 89 | ||
(2) Belehrungsvorschriften mit Ermessensspielraum („Soll-Vorschriften“) | 94 | ||
b) Gesetzliche Aufklärungspflichten über Tatsachen | 95 | ||
c) Nichtaufklärung und Ausnutzung eines Irrtums beim Beschuldigten | 100 | ||
IV. Suggestiv- und Fangfragen | 101 | ||
1. Fangfragen | 102 | ||
a) Begriff der Fangfrage | 102 | ||
b) Fangfragen als Täuschung | 102 | ||
2. Suggestivfragen | 104 | ||
a) Begriff der Suggestivfrage | 104 | ||
b) Suggestivfragen als Täuschung | 107 | ||
C. Erfordernis einer Täuschungsabsicht | 107 | ||
I. Problemaufriss | 107 | ||
II. Die fahrlässige Täuschung des Beschuldigten | 108 | ||
1. Die Möglichkeit einer unbewussten Irreführung | 108 | ||
2. Die unbewusste Irreführung als Täuschung im Sinne des Strafverfahrensrechts | 109 | ||
a) Meinungsstand | 109 | ||
aa) Ausschluss unbewusster Irreführungen aus dem gesetzlichen Täuschungsverbot | 109 | ||
bb) Differenzierung zwischen Irreführungen über Tatsachen und Rechtsfragen | 110 | ||
cc) Differenzierung zwischen polizeilicher bzw. staatsanwaltschaftlicher und richterlicher Vernehmung | 110 | ||
dd) Ausweitung des Täuschungsverbots auf fahrlässige Irreführungen | 111 | ||
b) Eigene Untersuchungen | 111 | ||
aa) Unergiebigkeit der historischen Betrachtung | 111 | ||
bb) Rechtsgebietsübergreifender Vergleich | 112 | ||
cc) Untersuchung anhand des Zwecks des Täuschungsverbots | 115 | ||
dd) Stellungnahme und Zwischenergebnis | 116 | ||
3. Erfordernis eines fahrlässigen Verhaltens des Vernehmenden? | 117 | ||
D. Ergebnis: Begriff der Täuschung | 118 | ||
E. Der Konflikt der Täuschung mit dem Zweck der Beschuldigtenvernehmung | 119 | ||
Kapitel 3: Die Täuschung des Beschuldigten im Lichte des Verfassungsrechts | 121 | ||
A. Menschenwürdegarantie (Art. 1 Abs. 1 GG) | 121 | ||
I. Ausgangspunkt: Kein Eingriff in die Menschenwürde durch Täuschungen des Beschuldigten | 121 | ||
II. Unantastbarer Kernbereich privater Lebensgestaltung als Grenze | 124 | ||
1. Der Einsatz verdeckt ermittelnder Personen im Umfeld des Beschuldigten als Eingriff in den Kernbereich privater Lebensgestaltung? | 124 | ||
2. Verletzung des Kernbereichs privater Lebensgestaltung am Beispiel des Urteils des Landgerichts Kiel vom 15. Januar 2010 (Az. 8 Ks 4/09) | 127 | ||
3. Verletzung des Kernbereichs privater Lebensgestaltung in der Untersuchungshaft und im Strafvollzug | 128 | ||
III. Täuschungsgebot aufgrund kollidierender Menschenwürde Dritter? | 129 | ||
IV. Ergebnis | 131 | ||
B. Mitwirkungsfreiheit (nemo tenetur se ipsum accusare) | 131 | ||
I. Rechtsgrundlagen der Mitwirkungsfreiheit | 132 | ||
1. Europäische Menschenrechtskonvention und Internationaler Pakt über bürgerliche und politische Rechte | 132 | ||
2. Verfassungsrechtliche Grundlagen der Mitwirkungsfreiheit | 135 | ||
II. Täuschungen des Beschuldigten als Eingriff in die Mitwirkungsfreiheit | 139 | ||
1. Grundlagen des durch die Mitwirkungsfreiheit garantierten Schutzumfangs und Meinungsstand in Rechtsprechung und Literatur | 139 | ||
a) Vis absoluta und vis compulsiva | 139 | ||
b) Täuschungen über die Existenz einer Mitwirkungspflicht | 141 | ||
c) Die täuschungsbedingte Zwangslage in der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs und des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte | 142 | ||
2. Von der Unzulässigkeit der Pflicht zur Mitwirkung an der eigenen Strafverfolgung | 146 | ||
a) Schutzzweck der Mitwirkungsfreiheit | 148 | ||
b) Entlastungsfunktion der Beschuldigtenvernehmung und fehlende Mitwirkungspflicht | 152 | ||
c) Die Folgen für den Einsatz von Verdeckten Ermittlern und Vertrauenspersonen | 155 | ||
d) Mitwirkungsfreiheit des Beschuldigten außerhalb seiner Vernehmung, insbesondere die Zulässigkeit von technischen Überwachungsmaßnahmen | 157 | ||
III. Ergebnis | 159 | ||
C. Funktionstüchtigkeit der Strafrechtspflege | 160 | ||
I. Das Risiko täuschungsbedingt falscher Selbstbelastungen des Beschuldigten als Gefahr für die Wahrheitsermittlung | 160 | ||
1. „We don’t interrogate innocent people.“ – Die Voreingenommenheit des Vernehmungsbeamten in der Vernehmung | 161 | ||
2. Die Anwendung sogenannter Minimierungs- und Maximierungstechniken als Risikofaktor für falsche Selbstbelastungen | 164 | ||
3. „Kinder und Narren sagen die Wahrheit.“ – Erhöhte Suggestibilität bestimmter Personengruppen | 169 | ||
4. Täuschende Vernehmungsmuster als Gefahr für die Wahrheitsermittlung am Beispiel des Urteils des Landgerichts Kiel vom 15. Januar 2010 (Az. 8 Ks 4/09) | 171 | ||
II. Meinungsstand zur Funktionstüchtigkeit der Strafrechtspflege als Verfassungsgebot in Rechtsprechung und Literatur | 173 | ||
III. Funktionstüchtigkeit der Strafrechtspflege und positive Generalprävention | 175 | ||
1. Ziel des Strafverfahrens im demokratischen Rechtsstaat | 175 | ||
2. Erhalt der Funktionstüchtigkeit der Strafrechtspflege als verfassungsrechtlicher Imperativ | 178 | ||
a) Funktionstüchtigkeit der Strafrechtspflege als Abwägungstopos | 178 | ||
b) Funktionstüchtigkeit der Strafrechtspflege als Untermaßverbot | 181 | ||
IV. Ergebnis | 182 | ||
D. Ergebnis: Verfassungsrechtliche Bewertung der Täuschung des Beschuldigten | 183 | ||
Kapitel 4: Prozessuale Folgen der Verletzung des Täuschungsverbots | 185 | ||
A. Beweisverwertungsverbote als Fremdkörper im deutschen Strafrecht? – Zur Funktion der Beweisverwertungsverbote im System der Strafprozessordnung | 186 | ||
I. Beweisverwertungsverbote im Gefüge der Strafprozessordnung | 186 | ||
II. Die Funktionsweise der Beweisverwertungsverbote im Strafverfahren | 189 | ||
1. Wahrheitsschützende Funktionsweise der Beweisverwertungsverbote | 190 | ||
2. Individualrechtsschützende Funktionsweise der Beweisverwertungsverbote | 191 | ||
3. Beweisverwertungsverbote als funktionales Mittel zur Sicherung der positiv-generalpräventiven Wirkung der strafprozessualen Entscheidung | 192 | ||
III. Das materielle Strafrecht als denkbarer Ersatz von Beweisverwertungsverboten? | 196 | ||
IV. Zwischenergebnis | 198 | ||
B. Allgemeine Fragen der Verwertung täuschungsbedingter Beweise | 199 | ||
I. Zur Unverwertbarkeit entgegen § 136 Abs. 2 StPO erlangter Beschuldigtenaussagen | 199 | ||
II. Verwertungsproblematik bei Täuschungen außerhalb der Beschuldigtenvernehmung | 204 | ||
C. Anforderungen an die Unverwertbarkeit der täuschungsbedingten Aussage im Einzelnen | 211 | ||
I. Die unfreie Aussage des Beschuldigten | 211 | ||
II. Die Täuschung als Bedingung der unfreien Aussage | 214 | ||
III. Anforderungen an den prozessualen Nachweis von Täuschungsanwendung, unfreier Aussage und Ursachenzusammenhang | 216 | ||
1. Ausgangsüberlegungen und Abgrenzung zwischen Freibeweis- und Strengbeweisverfahren | 216 | ||
2. Die Behandlung von Zweifelskonstellationen | 218 | ||
3. Indizierung des Erfolgsunwerts sowie des Ursachenzusammenhangs durch das Vorliegen einer Täuschung | 222 | ||
IV. Heilung von Verstößen gegen das strafprozessuale Täuschungsverbot | 224 | ||
D. Umfang und Grenzen des Verbots der Verwertung mittels Täuschung erlangter Beweismittel | 225 | ||
I. Beweisverwertungsverbote als Belastungsverbote | 225 | ||
II. Fehlende Dispositionsbefugnis des Beschuldigten über die Anwendung inquirierender Verhörmethoden und die Verwertung der rechtswidrig erlangten Aussage | 233 | ||
III. Erstreckung des Beweisverwertungsverbots auf „mittelbar“ erlangte Beweismittel? – Zur Fernwirkung des Beweisverwertungsverbots | 235 | ||
1. Umfang des Beweisverwertungsverbots | 235 | ||
2. Die Berücksichtigung hypothetischer Kausalverläufe | 239 | ||
E. Abschließende Überlegungen und Zusammenfassung der Ergebnisse | 240 | ||
Kapitel 5: Abschließende Bemerkungen und Ausblick | 243 | ||
A. Überblick über die gewonnenen Erkenntnisse | 243 | ||
B. Rechtspolitischer Ausblick auf das Ermittlungsverfahren | 246 | ||
Literaturverzeichnis | 248 | ||
Sachwortverzeichnis | 275 |