1933 – Die Versuchung der Theologie
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1933 – Die Versuchung der Theologie
Zeitgeschichtliche Forschungen, Vol. 62
(2022)
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Klaus-M. Kodalle war Professor für Praktische Philosophie an der Universität Jena. Er veröffentlichte zahlreiche Bücher zum Verhältnis von Politik und Religion (u.a. zu Hobbes, C. Schmitt, Bonhoeffer). Er lenkt die Aufmerksamkeit auf die Konstellation von Ausnahmezustand und Nonkonformität des Einzelnen. Wichtigster Anreger ist hier Kierkegaard (Publikation »Die Eroberung des Nutzlosen«, 1988). Seit dem weltgeschichtlichen Umbruch von 1989/90 wandte sich Kodalle der politisch wie moralisch außerordentlichen Erfahrungsdimension der Verzeihung zu. In mehreren Büchern untersuchte Kodalle die systematischen Dimensionen und historischen Ausprägungen von Idee und Begriff der Verzeihung (»Verzeihung denken«, 2013). Im politischen Kontext von Systemwechseln erkundete er die Möglichkeit einer Ethik der Verschonung. Er ist Mitglied der Akademie der Wissenschaften und der Literatur Mainz und Ehrendoktor der Universität Hamburg (Ev. Theologie).Abstract
Das moralische Urteil über den Nationalsozialismus als System des gigantischen Verbrechens steht fest. Die Selbstverständlichkeit dieser Distanznahme und das Gefühl moralischer Überlegenheit gegenüber den früheren Generationen lassen die Energien schwinden, in gründlichen Detailstudien verständlich zu machen, wie die geistigen Konstellationen in einzelnen Fachgebieten aussahen, in denen eine Neuorientierung vom demokratischen Pluralismus hin zur Führer-Diktatur vorbereitet wurde. Diese Vorbereitung erfolgte auf dem zur damaligen Zeit höchsten Reflexionsniveau. Von einer Primitivität der Diskurse kann demnach gar keine Rede sein. Wie Heiliger Geist und Zeitgeist sich in dem Bemühen, Orientierung zu gewinnen und zu vermitteln, verschränkten, demonstriert der Autor an Texten aus dem Fachgebiet der evangelischen Theologie: Von der Führervollmacht Jesu zu der Führervollmacht Adolf Hitlers.»The Temptation of Theology«: The greater the temporal interval to an epoch of severe crises and guilty entanglements, the more difficult it is to make transparent, turned against the compactness of self-assured moral condemnation, the ambivalences of the historical moment. The intellectual theoretical work after 1933 reflected the pressure of expectation to meet the collective wishful thinking for a reorientation. The author focuses attention on theoretically sophisticated texts of Protestant theology. In detailed analyses it is shown how familiar traditions of thought could be reconciled with the receptiveness for the authoritarian leader state.
Table of Contents
Section Title | Page | Action | Price |
---|---|---|---|
Inhaltsverzeichnis | 5 | ||
Einleitung: 1933 – die Versuchung der Theologie | 9 | ||
I. Einige Schlaglichter | 10 | ||
II. Heiliger Zeitgeist. Eine Vorbemerkung zu den methodischen Grenzen dieser Studien | 14 | ||
A. Paul Tillich: Auf der Grenze | 15 | ||
I. 1933: Schwankend zwischen Hoffnung und Enttäuschung | 15 | ||
II. Auf der Grenze? Paul Tillichs Verhältnis zum Existentialismus | 19 | ||
1. Einleitung: Tillich im Spannungsfeld Kierkegaards | 19 | ||
2. Macht-orientierte Daseinsanalytik. Tillichs begründungsschwache Option für den Vorrang kollektiven Einheitsdranges | 24 | ||
3. Die ontologische Priorität von Substanz/Gehalt gegenüber Subjekt/Form | 30 | ||
4. Macht und Machtverzicht im Kontext ambivalenter Weltstaat-Spekulation | 33 | ||
5. Geschichtstheologie: ‚metaphysischer Positivismusˋ | 36 | ||
6. Christologie: ästhetische Unterbietung des Paradoxes | 39 | ||
B. Emmanuel Hirsch: Nationalsozialistische Existenztheologie | 46 | ||
I. Nationalsozialistische Existenztheologie | 46 | ||
II. Mit und gegen Søren Kierkegaard | 47 | ||
C. Karl Heim: Der Wunsch nach Identifizierbarkeit des göttlichen Willens | 60 | ||
I. Gegen die Selbstgenügsamkeit der Theologie – für Bewährung im kritischen Diskurs und im Kraftfeld des Politischen | 60 | ||
II. Identifizierbarkeit des Göttlichen? Karl Heims Rückfall in Theologisches Wunschdenken | 62 | ||
1. Vorbemerkung | 62 | ||
2. Die unbewusste Dynamik des Einheitsbedürfnisses | 62 | ||
3. Die offene Wunde. Das ‚Paradoxˋ im Apriori der ‚Dimensionenˋ | 64 | ||
4. Kontingenzflucht: Die Forderung nach Identifizierbarkeit des Göttlichen und der Wille zur Selbst-Preisgabe | 68 | ||
5. Plädoyer für eingreifende Praxis im Zeichen theologischer Endsieg-Visionen. Gottes ‚Ja zum Volkskörperˋ | 71 | ||
6. Ohnmacht Gottes als Ärgernis. Religiöse Durchhalteparolen im Horizont sicherheitsfixierter Enderwartung | 75 | ||
7. Die Warum-Frage – „in den Mund zurückgestoßen“. Die Reaktion Bonhoeffers auf Karl Heim | 81 | ||
D. Hans Michael Müller: Nachmetaphysische Theologie – nationalsozialistisch | 83 | ||
I. Einleitende Vorbemerkungen | 83 | ||
II. Unvermeidlicher Individualismus – unvermeidbarer Antagonismus. Die Potenzierung der Militanz durch Glauben und Theologie | 84 | ||
III. Ansätze zu einer Kritik des militanten Polytheismus | 89 | ||
IV. Paradox-Christologie und Systematiken als Dialekte der Heilssucht. Müller im Bezugsfeld von Kierkegaard und Barth | 90 | ||
V. „Erschreckende Lieblichkeit“: Die Last der Rücksichtslosigkeit gegen sich selbst. Maßlose Wahrhaftigkeit | 92 | ||
VI. Die unaufhebbare Machtstruktur des Lebens – Der Tod Jesu als Besiegelung und Verklärung eines praxis-immunen Glaubens | 95 | ||
VII. Der Einzelne als Opfer der Willkür des Machthaber-Gottes. Eine suizidäre Theologie | 97 | ||
VIII. Gesellschaft als Raum profaner Sachlichkeit und antagonistischer Willensdynamik – Gemeinde als Kraftfeld der Verbundenheit und Spielraum der Freiheit | 101 | ||
IX. Politische Prophetie als Parteinahme – ‚vor dem Evangelium her…ˋ | 104 | ||
X. Die Konstellation von Opferbereitschaft – Geborgenheitssehnsucht – Autoritätshörigkeit | 106 | ||
XI. Vom Staatsfeind | 109 | ||
XII. Vitalismus und Drang zur Hingabe an den ‚letzten Sinnˋ. Generalabsolution aus dem Geist des Evangeliums | 115 | ||
Nachtrag: Zur Kritik Müllers an Karl Barth | 119 | ||
E. Gerhardt Kuhlmann: Aufhebung der Theologie | 121 | ||
I. Fragmente einer Biografie | 121 | ||
II. Holzwege der Selbstsicherung und einige Sackgassen | 122 | ||
III. Das nichtige Dasein in seiner Transzendenzdynamik | 127 | ||
IV. Der Zusammenbruch des Gesetzes der Verallgemeinerung: Eine divinatorische Rechtfertigung des scheiternden Willens | 132 | ||
V. Gemeinschaft, Gemeinsamkeiten, das „Sein In der Mitte“ | 135 | ||
F. Erik Peterson: Der Kierkegaard-Impuls – Abschied vom Protestantismus | 138 | ||
Nachwort: Andeutung einer theologischen Alternative | 146 |