Digitale Weisungen
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Digitale Weisungen
Arbeitgeberentscheidungen auf Grundlage algorithmischer Berechnungen
Schriften zum Sozial- und Arbeitsrecht, Vol. 372
(2022)
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Philipp Knitter studierte Rechtswissenschaften an der Bucerius Law School in Hamburg und am Chicago – Kent College of Law, USA. Im Anschluss an das Erste Staatsexamen promovierte er bei Professor Dr. Matthias Jacobs an der Bucerius Law School. Ab 2021 absolvierte Knitter seinen juristischen Vorbereitungsdienst am Hanseatischen Oberlandesgericht mit Stationen u.a. in der Denkfabrik Digitale Arbeitsgesellschaft des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales. Seit 2023 ist er Rechtsanwalt im IT- und Datenschutzrecht in Hamburg.Abstract
Seit Jahrzehnten wird prognostiziert, wann welche Berufe von Maschinen übernommen werden. Dass auch klassische Arbeitgeberfunktionen, wie die Ausübung des Weisungsrechts, an technische Systeme delegiert werden, wird bislang kaum beachtet. Die Arbeit definiert digitale Weisungen, als Arbeitgeberweisungen, denen entweder unmittelbar oder mittelbar Entscheidungen eines algorithmischen Systems zugrunde liegen. Digitale Weisungen ergehen vor allem in der Schicht- und Einsatzplanung. Ihre Implementierung in Betrieben löst nicht nur Beteiligungsrechte des Betriebsrats aus. Das geltende Recht fordert, dass automatisierte Weisungsentscheidungen transparent und billig (§ 106 GewO) getroffen werden. Arbeitnehmer und Betriebsräte müssen die Möglichkeit haben, mit dem Weisungsgeber in einen argumentativen Austausch zu treten. Dort, wo technische Systeme diesem Erfordernis von »Responsivität« (noch) nicht genügen, stehen Weisungen unter dem Vorbehalt einer menschlichen Letztentscheidung. Ausgezeichnet mit dem Wissenschaftspreis der Stiftung Theorie und Praxis des Arbeitsrechts (Wolfgang-Hromadka-Stiftung) 2022, dem Hugo Sinzheimer Preis 2022 sowie dem Dissertationspreis des Deutschen Arbeitsgerichtsverband e.V. (DArbGV) 2023.
Table of Contents
Section Title | Page | Action | Price |
---|---|---|---|
Vorwort | 7 | ||
Inhaltsübersicht | 9 | ||
Inhaltsverzeichnis | 13 | ||
Einführung | 19 | ||
A. Digitale Weisungen als Herausforderung für das analoge (Arbeits-)Recht | 19 | ||
B. Relevanz im Spannungsfeld der Digitalisierungsdebatte | 22 | ||
C. Gang und Tiefe der Untersuchung | 25 | ||
D. Begriffsbestimmungen und technischer Hintergrund | 27 | ||
I. Funktionsweise algorithmischer Entscheidungen | 27 | ||
1. Schlüsselbegriff Algorithmus aus rechtlicher Perspektive | 27 | ||
2. Lernende Systeme | 28 | ||
3. Methoden maschinellen Lernens | 29 | ||
4. Algorithmische und menschliche Entscheidungen im Vergleich | 30 | ||
a) Determiniertheit und Neutralität | 31 | ||
b) Korrelation und Typisierung | 32 | ||
c) Selbstreflexion und Nachvollziehbarkeit | 33 | ||
II. Digitale Weisungen als Gegenstand der Untersuchung | 35 | ||
Erster Teil: Digitale Weisungen in Praxis und Rechtskontext | 38 | ||
Erster Abschnitt: Praktische Relevanz digitaler Weisungen | 38 | ||
A. Algorithmische Systeme und digitale Weisungen in Unternehmen | 38 | ||
B. Einsatzfelder im Einzelnen | 40 | ||
I. Personaleinsatzplanung | 40 | ||
1. SAP Field Service Management: Außendiensteinsatzplanung | 41 | ||
2. KapaflexCy: Kapazitätsplanung von Personaleinsatz | 42 | ||
3. Schichtpläne mit Planungsautomatik | 44 | ||
4. Game of Roster: kollaborative Dienstplanung in der Pflege | 45 | ||
II. Anweisung zu einzelnen Arbeitsschritten | 46 | ||
1. Hitachi: Anweisende Künstliche Intelligenz | 46 | ||
2. SAP Extended Warehouse Management und SSI SCHÄFER: automatisch koordinierte Kommissionierung | 47 | ||
3. MotionEAP: inklusive Produktionsassistenz | 49 | ||
4. Fahrdienstanbieter: vorgegebene Routenplanung | 51 | ||
a) MOIA: Ridesharing mithilfe von Algorithmen | 51 | ||
b) Lyft: Risiko des blinden Vertrauens auf Routenvorgaben | 52 | ||
C. Perspektiven algorithmischer Entscheidungsfindung | 53 | ||
I. IBM Project Debater: automatisierte Argumentation | 54 | ||
II. Value Judgement Argumentative Prediction (VJAP): juristische Werturteile | 55 | ||
D. Allgemeine, mit digitalen Weisungen verbundene Herausforderungen | 56 | ||
Zweiter Abschnitt: Vergleichbare Phänomene | 58 | ||
A. E-Recruiting | 58 | ||
I. Bewerbervorauswahl mittels Automatisierung | 58 | ||
II. Diskriminierungspotential | 60 | ||
III. Lösungsvorschläge in der Literatur | 62 | ||
IV. Vergleich mit digitalen Weisungen | 64 | ||
V. Zwischenergebnis | 65 | ||
B. Algorithmischer Handel an Kapitalmärkten | 65 | ||
I. Merkmale des algorithmischen und des Hochfrequenzhandels | 65 | ||
II. Gesetzlicher Rahmen für den algorithmischen Handel | 67 | ||
III. Übertragbarkeit des Regelungskonzepts auf digitale Weisungen? | 69 | ||
IV. Zwischenergebnis | 70 | ||
C. Organentscheidungen durch Algorithmen | 70 | ||
I. Entscheidungsunterstützung bei Organentscheidungen | 71 | ||
1. Lösungsansätze in der Rechtsliteratur | 71 | ||
2. Insbesondere: für anwendbar gehaltene Regelungskonzepte | 74 | ||
II. Vergleich mit digitalen Weisungen | 75 | ||
III. Zwischenergebnis | 77 | ||
D. Automatisierte Verwaltungsakte | 77 | ||
I. Gesetz zur Modernisierung des Besteuerungsverfahrens | 78 | ||
1. Vollständig automatisierter Erlass eines Verwaltungsaktes | 78 | ||
2. Ergänzung des Untersuchungsgrundsatzes im automatischen Verfahren | 80 | ||
3. Vereinbarkeit der Änderungen mit der DSGVO | 81 | ||
II. Ungeklärte Rechtsfragen | 82 | ||
III. Perspektiven automatisierter Verwaltungsentscheidungen | 84 | ||
IV. Zwischenergebnis | 84 | ||
E. Ergebnis der Vergleichserwägungen | 85 | ||
I. Belastbare Datengrundlage als Grundvoraussetzung | 85 | ||
II. Kontrolle durch Verfahrensrahmen | 86 | ||
III. Korrelation zwischen Regelungstiefe, Entscheidungsspielraum und Stand der Technik | 87 | ||
IV. Intransparenz und Erfordernis von Responsivität | 87 | ||
Zweiter Teil: Implementierung digitaler Weisungen im Betrieb | 89 | ||
A. Typisches Vorgehen bei dem Erwerb von Software | 90 | ||
B. Beteiligung des Betriebsrats bei der Implementierung digitaler Weisungen | 91 | ||
I. Beratung über geplante Betriebsänderungen | 92 | ||
II. Beratung über die Planung von technischen Anlagen und Arbeitsverfahren | 95 | ||
III. Zwingende Mitbestimmung bei technischen Einrichtungen | 98 | ||
C. Sachverstand des Betriebsrats | 101 | ||
D. Ergebnis | 104 | ||
E. Handlungsempfehlungen | 105 | ||
Dritter Teil: Verbot automatisierter Entscheidungen im Einzelfall, Art. 22 DSGVO | 106 | ||
A. Anlass und Zielsetzung des Verbots | 108 | ||
B. Verbotstatbestand | 109 | ||
I. Verarbeitung und Bewertung persönlicher Merkmale | 110 | ||
1. Verarbeitung persönlicher Aspekte | 110 | ||
2. Insbesondere: Profiling | 112 | ||
II. „Unterworfensein“ unter eine Einzelentscheidung | 113 | ||
III. Ausschließlich auf einer Automatisierung beruhende Entscheidung | 115 | ||
IV. Erhebliche Wirkung der Entscheidung | 119 | ||
1. Meinungsströmungen in der Literatur | 119 | ||
2. Wirkung von Weisungsentscheidungen | 122 | ||
a) Einzelweisung als Willenserklärung mit rechtlicher Wirkung | 122 | ||
b) Mittelbare Folgen als erhebliche Beeinträchtigung | 125 | ||
V. Eine Frage des Risikos? | 126 | ||
VI. Zwischenergebnis: Verstoß mit Einschränkungen | 127 | ||
C. Ausnahmetatbestände | 128 | ||
I. Zulässigkeit aufgrund von Rechtsvorschriften | 128 | ||
II. Erforderlichkeit für die Vertragserfüllung | 129 | ||
III. Ausdrückliche Einwilligung der betroffenen Person | 134 | ||
1. Prüfungsmaßstab | 134 | ||
2. Voraussetzungen im Einzelnen | 135 | ||
3. Praktikabilität und Kritik am Institut der Einwilligung | 139 | ||
IV. Begleitende Schutzmaßnahmen | 142 | ||
1. Recht auf Anfechtung der Entscheidung | 143 | ||
2. Recht auf Darlegung des eigenen Standpunkts | 144 | ||
3. Recht auf Eingreifen einer Person | 145 | ||
4. Faire und transparente Verarbeitung | 146 | ||
V. Zwischenergebnis: unsichere Rechtfertigungslage | 147 | ||
D. Erlaubnis auf Grundlage von Kollektivvereinbarungen | 147 | ||
E. Ergebnis | 152 | ||
Vierter Teil: Transparenz der Entscheidungsfindung | 154 | ||
A. Grundlagen und Bedeutung von Transparenz | 154 | ||
I. Nutzen von Transparenz | 155 | ||
II. Menschliche versus technische Entscheidungen | 157 | ||
B. Transparenz als Voraussetzung von Billigkeit | 158 | ||
C. Anspruch des Arbeitnehmers auf Auskunft über Billigkeitsaspekte | 159 | ||
D. Unterrichtungsrechte des Betriebsrats | 162 | ||
I. Unterrichtung über Planungen nach § 90 BetrVG | 163 | ||
II. Unterrichtung über die Personalplanung nach § 92 BetrVG | 164 | ||
III. Weitere Unterrichtungsrechte | 167 | ||
IV. Zwischenergebnis | 169 | ||
E. Datenschutzrechtliche Transparenzanforderungen | 170 | ||
I. Durch „automatisierte Entscheidungen“ begrenzter Anwendungsbereich | 171 | ||
II. Zeitpunkte der Transparenzpflichten als Rückschluss auf deren Inhalt? | 172 | ||
III. Reichweite der Transparenzpflichten | 172 | ||
1. Aussagekräftige Informationen über die involvierte Logik | 173 | ||
2. Tragweite und angestrebte Auswirkungen | 174 | ||
3. Erklärung von Entscheidungen lernender Systeme | 175 | ||
IV. Zwischenergebnis | 177 | ||
F. Ergebnis | 178 | ||
Fünfter Teil: Grenzen des Weisungsrechts, insbesondere Billigkeit | 180 | ||
A. Zurechenbarkeit als Weisung des Arbeitgebers | 180 | ||
B. Billigkeit digitaler Weisungen | 184 | ||
I. Billigkeitsmaßstab im Überblick | 184 | ||
1. Konkurrenz zu anderen Maßstäben | 184 | ||
2. Billigkeitskriterium in seiner Auslegung durch die Rechtsprechung | 186 | ||
3. Problem des variablen Maßstabs | 188 | ||
II. Realisierung von Billigkeit bei digitalen Weisungen | 189 | ||
1. Informationsgrundlage | 189 | ||
2. Abwägungsvorgang | 191 | ||
III. Zwischenergebnis | 194 | ||
C. Ausgewählte Herausforderungen digitaler Massenweisungen | 194 | ||
I. Selbstbindung des Arbeitgebers und Redundanz | 194 | ||
II. Einander widersprechende Weisungen | 196 | ||
III. Rechtswidrige und unbillige Weisungen | 198 | ||
D. Ergebnis | 201 | ||
Sechster Teil: Responsivität | 202 | ||
A. Begriffsherkunft und -bedeutung | 202 | ||
I. Responsivität als multidisziplinärer Fachbegriff | 203 | ||
1. Responsivität als Reaktion und Anpassung | 203 | ||
2. Responsivität als Interaktion mit Sachen | 203 | ||
3. Responsivität als Rückkoppelung zwischen Wähler und Gewähltem | 204 | ||
II. Folgerungen für Responsivitätsbegriff bei Weisungen | 205 | ||
B. Responsivität wegen der Rechtsnatur von Weisungen | 206 | ||
I. Rechtsnatur des Weisungsrechts | 206 | ||
II. Rechtsnatur der Einzelweisung | 208 | ||
III. Zwischenergebnis: Responsivität als kommunikatives Erfordernis | 210 | ||
C. Responsivität als Erfordernis des Individualarbeitsrechts | 210 | ||
I. Mitteilung der Weisungsempfangsbereitschaft | 211 | ||
II. Hinweis bei Nichtbefolgung unbilliger Weisungen | 213 | ||
D. Responsivität als Erfordernis des Kollektivarbeitsrechts | 216 | ||
I. Zwingende Mitbestimmung des Betriebsrats in sozialen Angelegenheiten | 216 | ||
1. Verfahren und Ausübungsformen der Mitbestimmung | 217 | ||
2. Zwingende Mitbestimmung in Fragen der Arbeitszeit | 220 | ||
a) Beginn und Ende der täglichen Arbeitszeit | 220 | ||
b) Vorübergehende Verkürzung und Verlängerung der Arbeitszeit | 223 | ||
c) Verzicht auf Responsivität durch Auslegung von bestehenden Rahmenvereinbarungen | 226 | ||
d) Zwischenergebnis: Mitbestimmungsverfahren fordert Responsivität | 228 | ||
3. Responsivitätserfordernis aus dem Zweck der Mitbestimmung? | 228 | ||
a) Der Streit um die Zwecke der Mitbestimmung | 228 | ||
b) Teilhabegedanke im Sinne eines argumentativen Austauschs | 230 | ||
c) Zwischenergebnis: Teilhabegedanke fordert Responsivität | 232 | ||
II. Beratungsrecht des Betriebsrats in der Personalplanung | 233 | ||
1. Rechte des Betriebsrats aus § 92 Abs. 1 und 2 BetrVG | 233 | ||
2. Responsivitätserfordernis bei Weisungen mit Veränderungspotential | 234 | ||
3. Zwischenergebnis | 235 | ||
E. Responsivität als Erfordernis des Datenschutzrechts | 235 | ||
F. Realisierung von Responsivität | 236 | ||
I. Analoges Szenario als Ausgangspunkt | 237 | ||
II. Umgang des Menschen mit technischer Handlungsträgerschaft | 238 | ||
1. Umgang mit „neuer“ Technik | 238 | ||
2. Stufen von Interaktion und Handlungsträgerschaft | 240 | ||
III. Einführung und Gewährleistung responsiver digitaler Weisungen | 241 | ||
1. Menschenzentrierter Ansatz als Entwicklungsleitlinie | 242 | ||
2. Konkrete Ausgestaltung der Interaktion | 246 | ||
a) Responsivität in der technischen Realisierung | 246 | ||
b) Konzept der verteilten Handlungsträgerschaft | 248 | ||
c) Responsivität als Forderung nach einem menschlichen Entscheider | 249 | ||
aa) Eingabe des Vorbringens | 249 | ||
bb) Bearbeitung des Vorbringens | 250 | ||
d) Menschenvorbehalt für digitale Weisungen? | 253 | ||
e) Bestimmung des (richtigen) Interaktionspartners | 254 | ||
3. Zwischenergebnis | 256 | ||
G. Ergebnis | 257 | ||
Schlussbetrachtung der wesentlichen Ergebnisse | 258 | ||
Literaturverzeichnis | 263 | ||
Stichwortverzeichnis | 283 |