Der verfassungsrechtliche Rahmen gemeindlicher Einwohner- und Bürgerbefragungen
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Der verfassungsrechtliche Rahmen gemeindlicher Einwohner- und Bürgerbefragungen
Tübinger Schriften zum Staats- und Verwaltungsrecht, Vol. 110
(2023)
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Nicolai Götz studierte von 2014 bis 2019 Rechtswissenschaft an der Eberhard Karls Universität Tübingen. Seit 2015 arbeitet er am dortigen Lehrstuhl für Staats- und Verwaltungsrecht, Öffentliches Wirtschaftsrecht, Kommunalrecht von Frau Professor Dr. Barbara Remmert. Seine im Anschluss an die Erste juristische Prüfung begonnene Dissertation schloss er 2022 ab. Seit April 2022 absolviert Nicolai Götz den juristischen Vorbereitungsdienst am Landgericht Tübingen.Abstract
Bereits in fünf Bundesländern wurden gesetzliche Regelungen für gemeindliche Einwohner- bzw. Bürgerbefragungen geschaffen. Befragungen werden aber auch in den Bundesländern praktiziert, in denen hierfür keine gesetzliche Grundlage besteht, wie beispielsweise in Baden-Württemberg. Die Anforderungen, die bei der Durchführung von Einwohner- und Bürgerbefragungen zu beachten sind, ergeben sich dann allein aus dem Verfassungsrecht. Daher untersucht die Arbeit die verfassungsrechtlichen Rahmenbedingungen gemeindlicher Befragungen. Dabei legt sie einen besonderen Schwerpunkt auf die Frage, inwieweit die Teilnahme an einer gemeindlichen Befragung als Ausübung von Staatsgewalt anzusehen ist. Denn für die rechtmäßige Durchführung von Befragungen kommt es maßgeblich darauf an, ob sie als Abstimmungen i. S. v. Art. 20 Abs. 2 S. 2 GG zu qualifizieren sind. Ihre Ergebnisse nimmt die Arbeit zum Anlass, um einen eigenen Regelungsvorschlag für die baden-württembergische Gemeindeordnung zu konzipieren.»The Constitutional Framework of Municipal Surveys of Residents and Citizens«: Municipal surveys of residents and citizens also take place in those federal states whose municipal law does not provide a legal basis for this. That is why the thesis examines the constitutional framework of municipal surveys. The study places particular emphasis on the question whether participation in a municipal survey needs to be regarded as the exercise of state power. Based on its results, the thesis drafts a regulatory proposal for the municipal code of Baden-Württemberg.
Table of Contents
Section Title | Page | Action | Price |
---|---|---|---|
Vorwort | 5 | ||
Inhaltsverzeichnis | 7 | ||
Einleitung | 15 | ||
A. Problemstellung | 15 | ||
B. Stand der Forschung | 19 | ||
C. Gang der Untersuchung | 20 | ||
1. Kapitel: Kennzeichen, Abgrenzung, Definition und Beispiele | 21 | ||
A. Kennzeichen | 21 | ||
I. Keine rechtliche Bindungswirkung, sondern Entscheidungshilfe | 21 | ||
II. Initiativberechtigung des Gemeinderats | 23 | ||
III. Beschränkung auf Angelegenheiten aus dem Zuständigkeitsbereich des Gemeinderats | 24 | ||
IV. Vorgegebene Antwortmöglichkeiten | 24 | ||
B. Abgrenzung zu demoskopischen Umfragen und zur dialogischen Bürgerbeteiligung | 26 | ||
I. Abgrenzung zu demoskopischen Umfragen | 26 | ||
II. Abgrenzung zur dialogischen Bürgerbeteiligung | 28 | ||
C. Definition | 29 | ||
D. Beispiele | 29 | ||
I. Befragung der Stadt Köln zum Ausbau des Godorfer Hafens | 30 | ||
II. Befragung der Stadt Falkensee zum Bau eines Hallenbads | 30 | ||
III. Befragung der Stadt Tübingen zum (Um-)Bau eines Hallenbads und eines Konzertsaals | 31 | ||
IV. Befragung der Stadt Bingen am Rhein über die Verkehrsanbindung des Rhein-Nahe-Ecks | 33 | ||
V. Befragung der Stadt Tübingen zur Sperrung der Mühlstraße | 33 | ||
VI. Befragung der Stadt Seligenstadt zur zukünftigen Nutzung der Hans-Memling-Schule | 34 | ||
VII. Befragung der Gemeinde Holdorf zur Finanzierung von Straßensanierungsmaßnahmen | 35 | ||
2. Kapitel: Befragungsteilnahme als Ausübung von Staatsgewalt? | 37 | ||
A. Volksbefragungsrechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts | 39 | ||
I. Sachverhalt | 39 | ||
II. Rechtliche Wertung des Bundesverfassungsgerichts | 40 | ||
B. Übertragung der Volksbefragungsrechtsprechung auf Einwohner- und Bürgerbefragungen | 42 | ||
I. Notwendigkeit zusätzlicher Abgrenzungskriterien | 42 | ||
1. Durchführung der Befragungen aufgrund gesetzlicher Regelungen | 42 | ||
2. Staatsvolk als Adressat der Befragung | 43 | ||
a) Exkurs: Volksbegriff des Grundgesetzes | 43 | ||
aa) Verständnis auf Gemeindeebene | 43 | ||
bb) Anderes Verständnis infolge der Einfügung des Art. 28 Abs. 1 S. 3 GG? | 45 | ||
b) Zwischenergebnis | 46 | ||
3. An Wahlen und Abstimmungen orientierte Ausgestaltung der Befragung | 47 | ||
a) Formell-gesetzliche Vorgaben | 47 | ||
b) Vorgaben aus gemeindlichen Satzungen | 50 | ||
aa) Satzung für Einwohnerbefragungen der Stadt Eisenach | 50 | ||
bb) Hauptsatzung der Stadt Potsdam | 51 | ||
cc) Satzung über die Durchführung von Einwohnerbefragungen der Stadt Tübingen | 52 | ||
dd) Einwohnerbeteiligungssatzungen der Stadt Brandenburg an der Havel und der Gemeinde Panketal | 53 | ||
c) Zwischenergebnis | 53 | ||
4. Schlussfolgerung | 53 | ||
II. Unterschied zwischen politischer und staatlicher Willensbildung | 54 | ||
III. Berücksichtigung des Kriteriums der Entscheidungsfindung für die Bestimmung der Zielsetzung einer Befragung | 57 | ||
1. Faktische Beeinflussung des Gemeinderats als Ziel der Befragung | 58 | ||
2. Maßgebliche Bewertungskriterien | 59 | ||
C. Einordnung von Beispielen | 62 | ||
I. Befragung der Stadt Tübingen zum (Um-)Bau eines Hallenbads und eines Konzertsaals | 62 | ||
II. Befragung der Stadt Bingen am Rhein über die Verkehrsanbindung des Rhein-Nahe-Ecks | 63 | ||
III. Befragung der Stadt Seligenstadt zur zukünftigen Nutzung der Hans-Memling-Schule | 64 | ||
D. Ergebnis | 65 | ||
3. Kapitel: Vereinbarkeit von Einwohner- und Bürgerbefragungen mit dem Grundsatz des freien Mandats | 66 | ||
A. Verfassungsrechtliche Herleitung | 67 | ||
B. Keine Bindung an Verpflichtungen und Aufträge | 69 | ||
C. Faktische Bindung durch Einwohner- und Bürgerbefragungen | 70 | ||
I. Unmöglichkeit einer allgemeinen Aussage zur faktischen Bindung | 71 | ||
II. Maßgebliches Kriterium: Bestehen einer faktischen Befolgungspflicht | 72 | ||
III. Zwangspotenzial von Einwohner- und Bürgerbefragungen | 73 | ||
D. Ergebnis | 76 | ||
4. Kapitel: Verfassungsrechtliche Notwendigkeit einer gesetzlichen Grundlage | 77 | ||
A. Vorrang des Gesetzes | 78 | ||
I. Abschließender Charakter der Gemeindeordnung Baden-Württemberg? | 79 | ||
1. Bereits bestehende Regelungen der Einwohner- und Bürgerbeteiligung in Baden-Württemberg | 79 | ||
a) Einwohnerinformation | 79 | ||
b) Mitwirkung am Willensbildungs- und Entscheidungsprozess | 80 | ||
c) Bürgerentscheid | 82 | ||
aa) Exkurs: § 21 Abs. 1 GemO BW als Rechtsgrundlage für Befragungen? | 83 | ||
bb) Zwischenergebnis | 84 | ||
d) Initiierungsrechte der Einwohner- und Bürgerschaft | 84 | ||
2. Abschließender Charakter der Entscheidungszuständigkeiten | 85 | ||
3. Beteiligungsformen unterhalb der „Schwelle“ des Entscheidens | 87 | ||
a) Gemeindeordnung von 1955 | 88 | ||
aa) Gesetzesbegründung | 88 | ||
bb) Beratungen im Landtag | 89 | ||
b) Reform von 1975 | 91 | ||
aa) Gesetzesbegründung | 91 | ||
bb) Beratungen im Landtag | 93 | ||
c) Reform von 2005 | 94 | ||
d) Reform von 2015 | 95 | ||
4. Zwischenergebnis | 96 | ||
II. Anwendung auf Einwohner- und Bürgerbefragungen | 96 | ||
III. Ergebnis | 97 | ||
B. Vorbehalt des Gesetzes | 97 | ||
I. Wesentlichkeitsrechtsprechung | 99 | ||
II. Verfassungsrechtliche Kompetenzzuweisung an die Gemeinden | 103 | ||
1. Recht der gemeindlichen Selbstverwaltung | 103 | ||
2. Ausschließlichkeit der Kompetenzzuweisung | 106 | ||
III. Demokratieprinzip | 107 | ||
1. Anknüpfungspunkt 1: Kollision mit dem Prinzip der repräsentativen Demokratie | 107 | ||
2. Anknüpfungspunkt 2: Befragungsteilnahme als Ausübung von Staatsgewalt | 109 | ||
IV. Ergebnis | 110 | ||
C. Abschließende Bewertung | 111 | ||
5. Kapitel: Verfassungsrechtliche Vorgaben für den Kreis der Befragungsteilnehmer | 113 | ||
A. Teilnahmeberechtigung ausländischer Einwohner | 113 | ||
I. Maßgebliches Kriterium: Befragungsteilnahme als Ausübung von Staatsgewalt | 113 | ||
II. Schlussfolgerungen | 114 | ||
III. Teilnahmeberechtigung von Unionsbürgern an Befragungen mit Abstimmungscharakter | 115 | ||
1. Verfassungsmäßigkeit von Art. 72 Abs. 1 S. 2 LV BW | 116 | ||
a) Art. 28 Abs. 1 S. 3 GG als Öffnungsklausel zugunsten des Unionsrechts | 117 | ||
b) Entscheidungsspielraum der Länder | 118 | ||
c) Begründung der Abstimmungsberechtigung anhand der unionsrechtlichen Maßgaben | 120 | ||
2. Ergebnis | 122 | ||
B. Verfassungsrechtliche Notwendigkeit eines Mindestalters für die Befragungsteilnahme | 123 | ||
I. Keine expliziten verfassungsrechtlichen Vorgaben | 123 | ||
II. Befragungen mit Abstimmungscharakter | 124 | ||
1. Prinzip der Volkssouveränität | 124 | ||
a) Grundgesetz | 124 | ||
b) Baden-württembergische Landesverfassung | 126 | ||
2. „Abstimmungsreife“ | 128 | ||
III. Befragungen ohne Abstimmungscharakter | 130 | ||
IV. Ergebnis | 131 | ||
C. „Befragung“ nur bestimmter gesellschaftlicher Gruppen | 132 | ||
6. Kapitel: Verfassungsrechtliche Anforderungen an die Fragestellung | 135 | ||
A. Verfassungsrechtliche Anforderungen an den Befragungsgegenstand | 135 | ||
I. Verfassungsrechtliche Kompetenzordnung | 135 | ||
1. Begrenzung auf den gemeindlichen Kompetenzbereich | 135 | ||
2. Ausnahme bei spezieller Betroffenheit | 136 | ||
3. Zwischenergebnis | 138 | ||
II. Vorrang des Gesetzes | 138 | ||
1. Begrenzung auf den Aufgabenbereich des Gemeinderats | 138 | ||
2. Zwischenergebnis | 142 | ||
III. Aufgabenadäquate Verwaltungsorganisation | 142 | ||
IV. Art. 28 Abs. 1 S. 2 GG | 145 | ||
V. Ergebnis | 147 | ||
B. Verfassungsrechtliche Anforderungen an die Ausgestaltung der Fragestellung | 147 | ||
I. Keine Beeinflussung der freien Willensbildung der Befragungsteilnehmer | 147 | ||
II. Präzise Formulierung | 149 | ||
III. Verknüpfung mehrerer Fragestellungen | 151 | ||
IV. Ergebnis | 153 | ||
7. Kapitel: Verfassungsrechtliche Anforderungen an das Befragungsverfahren und an die Ermittlung des Befragungsergebnisses | 155 | ||
A. Information der Teilnahmeberechtigten | 155 | ||
I. Notwendigkeit und Mittel der Information | 155 | ||
II. Information über die Auffassung der Gemeindeorgane | 156 | ||
III. Ergebnis | 158 | ||
B. Befragungstermin | 158 | ||
I. Präferenz für einen Sonn- bzw. Feiertag als Befragungstag | 158 | ||
II. Zulässigkeit mehrtägiger bzw. mehrwöchiger Befragungen | 159 | ||
III. Kein Verbot der Befragung bei parallelem Bürgerbegehren | 160 | ||
IV. Ergebnis | 161 | ||
C. Stimmabgabe und Ergebnisermittlung | 161 | ||
I. Befragungen mit Abstimmungscharakter | 162 | ||
1. Anforderungen der Abstimmungsgrundsätze | 162 | ||
a) Grundsätze der allgemeinen, unmittelbaren, freien, geheimen und gleichen Abstimmung | 162 | ||
b) Grundsatz der öffentlichen Abstimmung | 163 | ||
c) Zwischenergebnis | 164 | ||
2. Briefbefragung | 164 | ||
a) Vereinbarkeit mit dem Grundsatz der öffentlichen Abstimmung | 164 | ||
b) Verfassungsrechtliches Leitbild der Urnenabstimmung? | 166 | ||
c) Ergebnis | 166 | ||
3. Online-Befragung | 167 | ||
a) Die Abstimmungsgrundsätze als Herausforderung für die Realisierung von Online-Befragungen | 167 | ||
b) Vereinbarkeit mit dem Grundsatz der öffentlichen Abstimmung | 168 | ||
c) Ergebnis | 170 | ||
II. Befragungen ohne Abstimmungscharakter | 171 | ||
8. Kapitel: Verfassungswidrige Einwohner- und Bürgerbefragungen | 172 | ||
A. Widerspruch des Bürgermeisters | 172 | ||
B. Einschreiten der Rechtsaufsicht | 173 | ||
C. Keine Auswirkungen auf die Entscheidung in der Sache | 174 | ||
D. Ergebnis | 174 | ||
9. Kapitel: Zusammenfassung und Entwurf eines Regelungsvorschlags | 175 | ||
A. Inhaltliche Ausgestaltung des Regelungsvorschlags | 176 | ||
I. Initiativberechtigung des Gemeinderats | 176 | ||
II. Befragungsgegenstand | 177 | ||
III. Teilnahmeberechtigte | 178 | ||
IV. Modalitäten der Stimmabgabe | 178 | ||
B. Regelungsstandort | 179 | ||
C. Regelungsvorschlag | 180 | ||
Anhang: Bestehende gesetzliche Regelungen zu Einwohner- und Bürgerbefragungen | 182 | ||
Literaturverzeichnis | 184 | ||
Sachwortverzeichnis | 201 |