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Das Geistlichenprivileg – verfassungswidriges Religionssonderrecht?

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Görmar, B. (2023). Das Geistlichenprivileg – verfassungswidriges Religionssonderrecht?. § 139 Abs. 2 StGB und der verfassungsrechtliche Schutz von Leben und körperlicher Unversehrtheit. Duncker & Humblot. https://doi.org/10.3790/978-3-428-58749-0
Görmar, Birte. Das Geistlichenprivileg – verfassungswidriges Religionssonderrecht?: § 139 Abs. 2 StGB und der verfassungsrechtliche Schutz von Leben und körperlicher Unversehrtheit. Duncker & Humblot, 2023. Book. https://doi.org/10.3790/978-3-428-58749-0
Görmar, B (2023): Das Geistlichenprivileg – verfassungswidriges Religionssonderrecht?: § 139 Abs. 2 StGB und der verfassungsrechtliche Schutz von Leben und körperlicher Unversehrtheit, Duncker & Humblot, [online] https://doi.org/10.3790/978-3-428-58749-0

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Das Geistlichenprivileg – verfassungswidriges Religionssonderrecht?

§ 139 Abs. 2 StGB und der verfassungsrechtliche Schutz von Leben und körperlicher Unversehrtheit

Görmar, Birte

Schriften zum Öffentlichen Recht, Vol. 1509

(2023)

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About The Author

Birte Görmar studierte Jura an der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn. Das erste juristische Staatsexamen legte sie 2018 ab und nahm im Wintersemester 2017/18 das Promotionsstudium an der Universität Bonn auf. Promotionsbegleitend war Birte Görmar zunächst als wissenschaftliche Mitarbeiterin in einer Großkanzlei im Bereich Banking & Finance und dann in einer mittelständischen Kanzlei im privaten Baurecht tätig. Von 2021 bis 2023 absolvierte sie das Referendariat am Landgericht Bonn mit Stationen u.a. bei der Sächsischen Landesanstalt für privaten Rundfunk und neue Medien in Leipzig und der Deutschen Welle.

Abstract

Ausgangspunkt der Arbeit war die Anzeigepflicht nach § 138 StGB und die Privilegierung von Geistlichen nach § 139 Abs. 2 StGB. Untersucht wird, ob sich das hierdurch verbleibende Schutzdefizit für das Grundrecht aus Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG in Abwägung mit dem besonderen Gewicht der Religionsfreiheit rechtfertigen lässt.

Zunächst werden die konfligierenden Grundrechte herausgearbeitet und die einfachgesetzliche Rechtslage dargestellt. Dann wird ausgehend von der Einschränkbarkeit des Art. 4 GG die Verfassungsmäßigkeit des § 139 Abs. 2 StGB hinsichtlich der Erfüllung der Schutzpflicht untersucht. Zudem wird beleuchtet, ob aus rechtspolitischer Sicht eine Änderung der Norm zu befürworten ist. Die Arbeit kommt zu dem Ergebnis, dass der Religionsfreiheit hier der Vorrang gegenüber der Schutzpflicht für die Rechtsgüter des Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG einzuräumen ist und das Schutzdefizit angesichts des Gewichts der Religionsfreiheit zumutbar ist. Gleichwohl wird für die Etablierung einer Bemühenspflicht geworben.
»The Clergy‘s Privilege - Unconstitutional Special Religious Right? § 139 sec. 2 StGB and the Constitutional Protection of Life and Physical Integrity«: The state has a duty to protect, amongst others, the legal interests of life and physical integrity. For these interests, the clergy's privilege under § 139 sec. 2 of the German Penal Code creates a lack of protection. This study examines, whether this can be justified by the special significance of religious freedom. To this end, the privilege’s constitutionality is assessed with regard to the fulfillment of the duty to protect, based on the restrictability of Art. 4 of the constitution.

Table of Contents

Section Title Page Action Price
Vorwort 5
Inhaltsverzeichnis 7
Einleitung 15
I. Forschungsfrage 15
II. Forschungsstand 18
Kapitel 1: Die geltende Rechtslage 20
A. Der verfassungsrechtliche Rahmen 20
I. Das Grundrecht auf Leben und körperliche Unversehrtheit, Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG 20
1. Historie des Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG 20
2. Der Schutzbereich des Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG 23
3. Abwehrrecht und Schutzpflicht 23
II. Das Grundrecht auf Religionsfreiheit, Art. 4 Abs. 1 und 2 GG 25
1. Historie des Art. 4 Abs. 1 und 2 GG unter besonderer Berücksichtigung des Schutzes des Beicht- und Seelsorgegeheimnisses 26
2. Der Schutzbereich des Art. 4 Abs. 1 und 2 GG 31
a) Begriff der Religion 33
b) Die Glaubensfreiheit 34
c) Die Bekenntnisfreiheit 35
d) Die Religionsausübungsfreiheit 35
e) Die kollektive Religionsfreiheit 37
f) Die korporative Religionsfreiheit 37
g) Die Religionsfreiheit als Abwehrrecht 38
B. Die Anzeigepflicht 38
I. Die historische Entwicklung der Anzeigepflicht mit Blick auf das Beichtgeheimnis und dessen Schutz durch die Religionsfreiheit 39
II. Der heutige Tatbestand des § 138 StGB 45
1. Schutzzweck 47
a) Schutz der Effizienz polizeilicher Verbrechensverhütung 47
b) Schutz der Rechtspflege 48
c) Schutz der bedrohten Rechtsgüter 50
d) Ergebnis 51
2. Tatbestand 51
a) Inhalt der Anzeigepflicht 52
aa) Schlichtes Tätigkeitsgebot 52
bb) Erfolgsherbeiführungsgebot 53
cc) Zwischenergebnis 54
dd) Qualität des abzuwendenden Erfolgs 55
b) Tatbestandsmerkmale 56
aa) Vorhaben oder Ausführung 56
(1) Vorhaben 56
(2) Ausführung 57
bb) Katalogtat 57
cc) Glaubhaftes Erfahren 57
dd) Zeitpunkt der Kenntniserlangung 58
ee) Anzeigepflicht 59
(1) Form und Inhalt 59
(2) Rechtzeitigkeit der Anzeige 60
(a) Anzeige nach Abs. 1 60
(b) Anzeige nach Abs. 2 61
(3) Anzeigeadressat 61
(a) Anzeige nach Abs. 1 61
(b) Anzeige nach Abs. 2 62
ff) Subjektiver Tatbestand 63
(1) Nach Abs. 1 und 2 63
(2) Nach Abs. 3 63
III. Konflikt mit entgegenstehenden religionsrechtlichen Verschwiegenheitsverpflichtungen 64
1. Christentum 65
a) Historie der Beichte 66
aa) Die öffentliche Buße 66
bb) Etablierung der Privatbuße 67
cc) Einführung der Beichtpflicht 68
dd) Die Rolle des Ablasses 69
ee) Der Umgang der Reformatoren mit der Beichte 70
ff) Die Andachtsbeichte und die Kodifikationsbestrebungen 71
b) Bedeutung und Praktik heute 73
aa) Katholiken 73
(1) Inhalt 73
(2) Ort und Zeit 75
(3) Spender 75
(4) Empfänger 76
(5) Pflicht 77
(6) Bedeutung 77
bb) Protestanten 77
(1) Formen und Ablauf 77
(2) Pflicht 78
(3) Bedeutung 79
c) Grundlagen christlicher Verschwiegenheitspflichten 79
aa) Historische Entwicklung 80
bb) Verschwiegenheitsverpflichtungen im Einzelnen 82
(1) Katholiken 83
(a) Beichtgeheimnis 83
(b) Allgemeines Seelsorgegeheimnis 84
(c) Amtsverschwiegenheit 86
(2) Protestanten 86
(a) Beichtgeheimnis 86
(b) Allgemeines Seelsorgegeheimnis 87
(c) Amtsverschwiegenheitspflicht 87
(d) Ausnahmen 87
cc) Konsequenzen bei einem Verstoß gegen die Verschwiegenheitsverpflichtungen 89
(1) Katholiken 89
(2) Protestanten 91
d) Zwischenergebnis 91
2. Islam 92
a) Sünde und Sündenvergebung 92
aa) Allgemein 92
bb) Verschwiegenheitsverpflichtung 93
b) Seelsorge und Seelsorgegeheimnis 94
aa) Seelsorge 94
bb) Seelsorger 95
cc) Seelsorgegeheimnis und Ausnahmen 97
c) Konsequenzen bei einem Verstoß gegen die Verschwiegenheitsverpflichtungen 99
d) Abwendungspflichten 99
e) Zwischenergebnis 100
3. Judentum 100
a) Sünde und Sündenvergebung 100
aa) Sünde und Buße allgemein 100
bb) Jüdische Riten zur Sündenvergebung 101
cc) Verschwiegenheitsverpflichtung 102
b) Seelsorge und Seelsorgegeheimnis 102
aa) Seelsorge und Seelsorger 102
bb) Seelsorgegeheimnis und Ausnahmen 103
c) Konsequenzen bei einem Verstoß gegen die Verschwiegenheitsverpflichtungen 105
d) Zwischenergebnis 105
4. Ergebnis 106
IV. Aktuelle Lösung: Der Tatbestand des § 139 Abs. 2 StGB 107
1. Schutzzweck 109
a) Individualistische Schutzzweckkonzeption 110
b) Kollektivistische Schutzzweckkonzeption 110
c) Kombination mehrer Schutzzwecke 111
d) Zwischenergebnis 113
2. Tatbestand 114
a) „Geistlicher“ 115
aa) Definitionsansätze 116
(1) Rechtsprechung 117
(2) Rolle des kirchlichen Selbstverständnisses 119
(a) Ausübung des religiösen Selbstverwaltungsrechts 119
(b) Konkretisierung durch BVerfGE 33, 367 121
(3) Folgen für die Begriffsbestimmung 122
(a) Katholische Kirche 123
(b) Evangelische Kirche 123
(c) Islam 123
(d) Judentum 124
(4) Alternative Definition 124
(a) Statusbezogene Auslegung 124
(b) Funktionale Auslegung 125
(c) Würdigung 126
(d) Zwischenergebnis 135
(5) Zwischenergebnis 136
bb) Ansätze zur weiteren Einschränkung des Tatbestandsmerkmals „Geistlicher“ 136
(1) Keine Beschränkung auf Religionsgemeinschaften mit dem Status einer Körperschaft des öffentlichen Rechts 137
(a) Notwendigkeit der Beschränkung auf die Organisationsform „Körperschaft des öffentlichen Rechts“ 137
(b) Keine Notwendigkeit der Beschränkung auf die Organisationsform „Körperschaft des öffentlichen Rechts“ 140
(2) Beschränkung auf Hauptamtliche 146
(3) Keine Anwendung auf berufsmäßige Gehilfen 146
cc) Ergebnis 149
b) Eigenschaft als Seelsorger 151
c) Anvertrauen 154
d) Religionsrechtliche Verschwiegenheitspflicht als ungeschriebene Tatbestandsvoraussetzung 155
3. Systematische Einordnung des Privilegs 157
a) Rechtfertigungsgrund 158
b) Tatbestandsausschluss 160
4. Kritik an § 139 Abs. 2 StGB 161
5. Ergebnis 162
V. Ergebnis 163
Kapitel 2: Bewertung der aktuellen Lösung 164
A. Kollidierende Grundrechte 164
I. Strafrechtliche Anzeigepflicht als Wahrnehmung der Schutzpflicht gem. Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG 164
II. Strafrechtliche Anzeigepflicht als Eingriff in die Religionsfreiheit gem. Art. 4 Abs. 1 und 2 GG 165
1. Eingriff in den Schutzbereich des Art. 4 Abs. 1 und 2 GG durch die strafrechtliche Anzeigepflicht 166
a) Eröffnung des Schutzbereichs 166
aa) Art. 4 Abs. 1 und 2 GG des Geistlichen 167
bb) Art. 4 Abs. 1 und 2 GG des Seelsorgesuchenden 167
cc) Art. 4 Abs. 1 und 2 GG der Kirche als Organisation 167
b) Vorliegen eines Eingriffs 168
aa) … nach dem klassischen Eingriffsbegriff 168
bb) … nach dem modernen Eingriffsbegriff 170
c) Zwischenergebnis 171
2. Möglichkeit der Einschränkung 171
a) Verfassungsimmanente Schranken 172
b) Art. 136 Abs. 1 WRV 174
c) Ergebnis 175
B. Verfassungsrechtliche Bewertung der aktuellen Lösung 175
I. Bestehen einer Beeinträchtigung oder Gefährung des Schutzguts von Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG durch nichtstaatliche Stellen 177
II. Hinreichende Erfüllung der Schutzpflicht 177
1. Reichweite des Schutzumfangs 178
2. Erfüllung des gebotenen Schutzniveaus 181
a) Geeignetheit der bisher getroffenen Maßnahmen 181
b) Grundsatz der Effektivität 182
aa) Keine dem § 139 Abs. 2 StGB vergleichbare Regelung 182
bb) Geltung des § 139 Abs. 3 S. 2 StGB auch für Geistliche 183
cc) Lösung über § 139 Abs. 4 S. 1 StGB 184
dd) Pflicht zur Anzeige unter Geheimhaltung der Personendaten 185
ee) Kombinationslösung – Anzeigepflicht und Abs. 4 186
ff) Lösung vergleichbar mit § 139 Abs. 3 S. 1 HS 1 StGB 186
gg) Zwischenergebnis 188
c) Zumutbarkeit 189
aa) Bedeutung der sich gegenüberstehenden Rechtsgüter 189
bb) Gründe gegen die Zumutbarkeit des verbleibenden Schutzdefizits 190
(1) Keine Berücksichtigung religiöser Motivation im Strafrecht 190
(2) Geplante Straftaten kein wirksamer Beichtinhalt 192
(3) Möglichkeit der Einschränkung des Beichtgeheimnisses 193
(a) Aus historischen Erwägungen 193
(b) Aufgrund des Motu Proprio „Sacramentorum sanctitatis tutela“ 194
(4) Möglichkeit der Auferlegung einer Bemühenspflicht unter Wahrung der Verschwiegenheitsverpflichtung 196
(5) Verantwortung der Kirche zur Verhinderung der Straftaten 199
(6) Ethischer Zwang zur Auferlegung einer Anzeigepflicht 201
(7) Gebot staatlicher Neutralität 201
cc) Gründe für die Zumutbarkeit des verbleibenden Schutzdefizits 202
(1) Berücksichtigung des Nutzeffekts des Privilegs 202
(2) Abschaffung des Geistlichenprivilegs unzweckmäßig 203
(a) Keine Notwendigkeit für Vergeltung oder Resozialisierung 203
(b) Keine Prävention wegen entgegenstehender religionsrechtlicher Strafe 204
(3) Schutz des Instituts der Beichte und Seelsorge 206
(a) Verschwiegenheit als Voraussetzung für Beichte und Seelsorge 206
Inhalt seelsorgerischer Gespräche unterliegt dem besonderen Schutz des Allgemeinen Persönlichkeitsr 207
(4) Berücksichtigung des Rechts der Religionsgemeinschaften 209
(a) Verschwiegenheitsverpflichtung als Gegenstand des kirchlichen Selbstverwaltungsrechts, Art. 137 Abs. 3 WRV 209
(b) Durchbrechung des Beicht- und Seelsorgegeheimnisses als Vertragsbruch 211
(5) Berücksichtigung der besonderen Stellung von Geistlichen im Vergleich zu anderen Berufgeheimnisträgern 212
(6) Vermeidung eines unlösbaren Gewissenskonflikts 216
(7) Gewinn von zusätzlichem Wissen, das andernfalls verborgen bliebe 217
(8) Lebensschutzauslösende Wirkung des Seelsorgegesprächs unter Wahrung der Verschwiegenheit 220
dd) Zwischenergebnis 221
d) Zwischenergebnis 221
III. Zwischenergebnis 221
C. Rechtspolitische Bewertung der aktuellen Lösung 222
Fazit und Ausblick 226
Literaturverzeichnis 228
Sachverzeichnis 241