Grundrechtssubjektivität im staatlichen Binnenverhältnis
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Grundrechtssubjektivität im staatlichen Binnenverhältnis
Schriften zum Öffentlichen Recht, Vol. 1512
(2023)
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Sebastian Himmelseher studierte Rechtswissenschaften an der Universität Münster und der Temple University in Philadelphia, USA. Im Jahr 2018 schloss er die erste juristische Staatsprüfung am Oberlandesgericht Hamm ab. Anschließend war er promotionsbegleitend als wissenschaftlicher Mitarbeiter im Düsseldorfer Büro einer internationalen Wirtschaftskanzlei tätig. In den Jahren 2021 bis 2023 absolvierte er das Rechtsreferendariat im Bezirk des Oberlandesgerichts Düsseldorf mit Stationen u.a. beim Landeswirtschaftsministerium Nordrhein-Westfalen und zwei internationalen Wirtschaftskanzleien. Im Mai 2023 schloss Sebastian Himmelseher die zweite juristische Staatsprüfung in Düsseldorf ab.Abstract
Das deutsche Grundgesetz billigt über die Schaltnorm des Art. 19 Abs. 3 GG auch juristischen Personen seinen Grundrechtsschutz zu. Legt man die tradierte Lesart des Bundesverfassungsgerichts zugrunde, ist eine bestimmte Gruppe der Personengesamtheiten gleichwohl prinzipiell vom Grundrechtsschutz ausgeschlossen: die juristische Person in staatlicher Trägerschaft. Eisern verteidigt Karlsruhe diese These zumindest im Ergebnis gegen all jene Widerstände, die in wiederkehrenden Abständen anhand aktueller Einzelfallentscheidungen auf die Inkonsistenzen des verfassungsgerichtlichen Begründungsweges hinweisen. Die vorliegende Untersuchung beleuchtet die einzelnen Begründungsstränge des Bundesverfassungsgerichts und legt die Widersprüche insbesondere zwischen theoretischem Fundament und tatsächlichem Ergebnis offen. Sie plädiert für eine Neuausrichtung der Auslegung des Art. 19 Abs. 3 GG am Maßstab einer europarechtlich anschlussfähigen und inhaltlich geschärften grundrechtstypischen Gefährdungslage.»Subjectivity to Fundamental Rights within the State Body«: The discourse on fundamental rights of state-supported legal entities gathers momentum again in the light of German nuclear- and coal-based energy exit plans. The thesis takes this as an opportunity to critically assess the Federal Constitutional Court's case law. It argues for a reorientation of the interpretation of Article 19 (3) of the German Constitution on the basis of the typical risk situation of state-supported entities, which ensures connectivity in the European multi-level system.
Table of Contents
Section Title | Page | Action | Price |
---|---|---|---|
Vorwort | 5 | ||
Inhaltsverzeichnis | 7 | ||
Einleitung | 13 | ||
I. Gegenstand der Untersuchung: Grundrechtssubjektivität staatlich getragener juristischer Personen unter Art. 19 Abs. 3 GG | 16 | ||
1. Grundrechtssubjektivität | 17 | ||
2. Kreis der in Bezug genommenen juristischen Personen | 19 | ||
II. Gang der Untersuchung und Erkenntnisziel | 20 | ||
A. Status quo der Grundrechtsberechtigung staatlich getragener juristischer Personen unter Art. 19 Abs. 3 GG: Auf festgefahrenen Bahnen | 23 | ||
I. Kontextualisierung des Art. 19 Abs. 3 GG | 23 | ||
1. Wortlaut als Ausgangspunkt, nicht als Antwort | 24 | ||
2. Entstehung des Art. 19 Abs. 3 GG: Verzerrter Blick auf den Schwerpunkt | 25 | ||
3. Ideen- und verfassungsgeschichtlicher Hintergrund | 28 | ||
II. Ausformung des Art. 19 Abs. 3 GG in der Rechtspraxis | 32 | ||
1. Grundsatz: Kategoriales Denken über den Wortlaut hinaus – keine Grundrechtsfähigkeit | 32 | ||
2. „Ausnahmetrias plus“: Religionsgemeinschaften, Universitäten, Rundfunkanstalten – und Justizgrundrechte | 35 | ||
3. Theoretisches Grundgerüst der Rechtsprechung und Stand der Diskussion | 38 | ||
a) Ideengeschichte der Grundrechte und Durchgriffsthese | 39 | ||
b) Konfusionsargument | 44 | ||
c) Kompetenzkonflikte und Lähmung staatlicher Aufgabenorganisation | 49 | ||
d) Mehrdimensionalität der Grundrechte ohne Bedeutung | 52 | ||
e) Systematischer Umkehrschluss aus § 91 BVerfGG | 54 | ||
f) Selbstverwaltungsrecht als rein organisatorische Größe | 55 | ||
g) Elemente formaler und funktionaler Argumentation | 57 | ||
aa) Anker der öffentlich-rechtlichen Organisationsform | 57 | ||
bb) Feinsteuerung durch Wahrnehmung öffentlicher Aufgaben und Interessenvertretung der Mitglieder | 59 | ||
cc) Erweiterung der Judikatur: Punktuell oder tendenziell? | 64 | ||
4. Gegenentwurf des Schrifttums: Grundrechtstypische Gefährdungslage | 65 | ||
a) Grundkonzept | 66 | ||
b) Kritik | 67 | ||
c) Adaption durch das Bundesverfassungsgericht | 69 | ||
5. Gefolgschaft und Opposition in der sonstigen Rechtsprechung | 72 | ||
III. Zwischenergebnis | 74 | ||
B. Zwischen Flexibilität und Inkonsistenz: Althergebrachte Argumentationsmuster auf dem Prüfstand | 77 | ||
I. Wenn die Ausnahme zur Regel wird: Einheitliche Dogmatik? | 78 | ||
1. Innungs-Rechtsprechung | 78 | ||
2. Zweierlei Maß im Verständnis von „inländisch“ und der wesensmäßigen Anwendbarkeit im Sinne des Art. 19 Abs. 3 GG | 86 | ||
3. Verfahrensgrundrechte und Gleichheitssatz als zwei Seiten derselben Medaille | 90 | ||
4. „Grundrechtlich geschützter Lebensbereich“ – Quo vadis? | 97 | ||
5. Exzessive Ausweitung der Grundrechtsbindung auf Private | 102 | ||
a) Einzelentscheidungen ohne systemsprengendes Potential | 103 | ||
b) Jüngere Entwicklung auf dem Weg zum Paradigmenwechsel – „Mittelbare“ Drittwirkung? | 104 | ||
aa) „Öffentliches Forum“ als Türöffner staatsgleicher Grundrechtsbindung Privater | 105 | ||
bb) „Stadionverbots-Entscheidung“: Neujustierung des Verhältnisses von Gleichheit und Freiheit | 110 | ||
cc) Erneuertes Verständnis der Staat-Bürger-Beziehung als Belastungsprobe der Rechtsprechung zur Grundrechtsfähigkeit juristischer Personen | 119 | ||
6. Relativierung des Menschenwürdegehalts bei einzelnen Grundrechten | 123 | ||
7. Verständnis von Art. 9 GG und Art. 19 Abs. 3 GG im Vergleich | 127 | ||
II. Neuere Praxisfälle als Herausforderung der hergebrachten Grundsätze | 134 | ||
1. Differenzierte Erscheinungsformen staatlicher Beteiligung am Wirtschaftsleben | 135 | ||
a) Gemischt-wirtschaftliche Unternehmen | 135 | ||
aa) Begriff, Charakteristika und Bestandsaufnahme aus der Praxis | 135 | ||
bb) Entscheidungsfindung in der Rechtsprechung | 138 | ||
cc) Mangelnde Ergiebigkeit hergebrachter Grundsätze und Fragilität des beherrschenden Einflusses | 143 | ||
b) Marktwirtschaftliche Tätigkeit und kollektive Interessenvertretung | 147 | ||
aa) Rein erwerbswirtschaftliche Tätigkeit: Wiedererstarktes Konfusionsargument | 148 | ||
bb) Kollektive Interessenvertretung: Brüchige Schablone | 150 | ||
(1) Vorinstanzlicher Tiefgang als Ausdruck einer komplexen Entscheidungsfindung | 151 | ||
(2) Die nüchterne Antwort des Bundesverwaltungsgerichts: „Tradition verpflichtet!“ | 156 | ||
2. Grundrechtsfähigkeit ausländischer Staatsunternehmen | 158 | ||
a) Sachverhalt und Argumentation des Bundesverfassungsgerichts | 158 | ||
b) Klassische Ansätze an der Belastungsgrenze | 161 | ||
c) Ungewöhnlicher Schritt auf europarechtliches Terrain | 164 | ||
aa) Mangelnde Grundrechtsfähigkeit als Beeinträchtigung der Niederlassungsfreiheit? | 165 | ||
bb) Verknappte Rechtfertigungsprüfung und ihre Rückwirkung auf die Durchgriffsthese | 168 | ||
cc) Überbetonung des Ausnahmecharakters als Kompensation der fehlenden Vorlage | 170 | ||
dd) Folgeproblem: Qualifizierte „Inländerdiskriminierung“ | 171 | ||
d) Menschenrechtlicher Bezug als Fingerzeig | 174 | ||
III. Zwischenergebnis | 176 | ||
C. Grundrechtsschutz im Mehrebenensystem als Perspektivenwechsel | 178 | ||
I. Relevante methodische Besonderheiten im Mehrebenensystem | 178 | ||
1. Autonomie und Vorrang des Europarechts | 179 | ||
2. Besonderheiten des EMRK-Rechtsschutzsystems und der Interpretationsmethode des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte | 184 | ||
II. Europarechtlicher Grundrechtsschutz: Grundfreiheiten | 188 | ||
1. Dynamisches Einrücken in das grundrechtliche Mehrebenensystem | 188 | ||
2. Materielle Regelung der Grundfreiheitssubjektivität: Großzügige Einbeziehung als Spiegel der Zweckorientierung | 191 | ||
3. Implikationen für den Diskurs im deutschen Recht | 194 | ||
a) Gedankliche Anleihen im Wege des wertenden Vergleichs | 194 | ||
b) Unmittelbare Verknüpfung mit Art. 19 Abs. 3 GG und ihre Auswirkungen | 198 | ||
III. Europarechtlicher Grundrechtsschutz: Europäische Grundrechte | 202 | ||
1. Richtsätze bezüglich juristischer Personen zwischen spärlicher normativer Verankerung und lakonischer Rechtsprechung | 202 | ||
2. Strategische Linien zum Grundrechtsschutz staatsgetragener Organisationseinheiten | 205 | ||
a) Auffächerung der Problemstellung anhand der Hoheitskonzeption im Unionsrecht | 205 | ||
b) Europäische Rechtsprechung zwischen Vorsicht und Dynamik | 208 | ||
c) Replik der Wissenschaft: Parallelisierungsreflex und bekannte Lagerbildung | 213 | ||
3. Implikationen für den Diskurs im deutschen Recht | 219 | ||
a) Bundesverfassungsgerichtlicher Paradigmenwechsel als Aufwertung des europäischen Grundrechtsschutzes | 219 | ||
aa) Åkerberg Fransson oder: Der Zwist im Kooperationsverhältnis | 220 | ||
bb) Paradigmenwechsel des Bundesverfassungsgerichts im Beschlusspaar „Recht auf Vergessen“ | 222 | ||
b) Materielle Implikationen | 226 | ||
IV. Parenthese: Anschluss des europäischen Grundrechtsschutzes an die menschenrechtliche Ebene | 232 | ||
V. Internationaler Grundrechtsschutz: Europäische Menschenrechtskonvention | 238 | ||
1. Die juristische Person als Menschenrechtssubjekt – Pragmatischer Konventionsansatz fernab ideologischer Grabenkämpfe | 238 | ||
a) Sonderrolle der Europäischen Menschenrechtskonvention | 238 | ||
b) Die juristische Person in der EGMR-Rechtsprechung: Kasuistik zwischen dogmatischen Polen | 240 | ||
2. Staatlich getragene Organisationseinheiten als auffallend weit entwickelter Problemkreis des Konventionsrechts | 245 | ||
a) Präferenz des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte für eine Gesamtabwägung in Zweifelsfällen | 246 | ||
b) Der Sonderfall kommunaler Gebietskörperschaften | 251 | ||
c) Autonomer EGMR-Ansatz im Lichte von Durchgriffsthese und grundrechtstypischer Gefährdungslage | 252 | ||
3. Implikationen für den Diskurs im deutschen Recht | 254 | ||
a) Europäische Menschenrechtskonvention und Europäische Grundrechtecharta | 254 | ||
aa) Orientierung der europäischen Gerichtsbarkeit an den Grundsätzen der Konvention und der EGMR-Judikatur | 254 | ||
bb) Rekurs: Grundrechtecharta und Grundgesetz | 258 | ||
b) Europäische Menschenrechtskonvention und Grundgesetz | 259 | ||
VI. Zwischenergebnis | 266 | ||
D. Synthese | 270 | ||
I. Der Wert der Konvergenz im grundrechtlichen Mehrebenensystem | 270 | ||
II. Gedanken zur Grundrechtstheorie | 276 | ||
1. Durchgriffskonstrukt als Ausdruck einer modifizierten liberalen Grundrechtstheorie | 276 | ||
2. Zum Mehrwert der Grundrechtstheorie für die konkrete Auslegung | 280 | ||
3. Kernprämisse der liberalen Grundrechtstheorie unter dem Druck einer veränderten Auffassung der Beziehung von Staat und Gesellschaft | 283 | ||
a) Dichotomie zwischen Staat und Gesellschaft als überholte Realitätsbeschreibung | 284 | ||
b) Dualismus von Staat und Gesellschaft als tragfähiges funktionelles Differenzierungskriterium für die Auslegung des Art. 19 Abs. 3 GG? | 286 | ||
aa) Public Private Partnerships: Vielfältige Kooperation von Staat und Privaten | 287 | ||
bb) Karlsruhe und der Rubikon: Staatsgleiche Grundrechtsbindung Privater als Einbruch in die funktionelle Trennung | 293 | ||
cc) Theoretische Neuausrichtung durch Öffnung gegenüber dem grundrechtlichen Mehrebenensystem | 296 | ||
4. Zwischenergebnis | 300 | ||
III. Neuausrichtung der Auslegung des Art. 19 Abs. 3 GG | 303 | ||
1. Grundaussagen einer veränderten Auslegung des Art. 19 Abs. 3 GG | 304 | ||
a) Grundrechtsberechtigung staatlicher Einheiten als Ausnahme | 304 | ||
b) Wirkrichtung und Grenzen eines potentiellen Grundrechtsschutzes | 307 | ||
c) Grundrechtsberechtigung nur im eigenen Kompetenzrahmen | 313 | ||
d) Fortbestehendes Band demokratischer Legitimation | 314 | ||
e) Theoretische Grundgedanken: Die staatlich getragene juristische Person und das „Wesen“ der Grundrechte | 316 | ||
2. Die „grundrechtstypische Gefährdungslage“ als Ausweg aus der Karlsruher Ausnahmenkaskade | 323 | ||
a) Rückblick auf den Kerngedanken | 324 | ||
b) Konturenschärfung der Begriffsmerkmale | 325 | ||
aa) Distanzstellung zum eingreifenden Hoheitsträger | 325 | ||
(1) Kein unmittelbares organisationsrechtliches Abhängigkeitsverhältnis | 328 | ||
(a) Grundsatz: Keine Distanz bei staatsoriginären Organisationsentscheidungen | 328 | ||
(b) Ausnahme: Institutionelles Distanzverhältnis | 332 | ||
(2) Selbstverwaltungsrecht | 336 | ||
(3) Zugehörigkeit zu separierten Ebenen im Sinne der horizontalen und föderativen Gewaltenteilung | 338 | ||
(4) Privatrechtsform | 340 | ||
bb) Wertungsmäßige Vergleichbarkeit der Interessenlage | 343 | ||
(1) Das Wertungsmoment der Waffengleichheit | 343 | ||
(2) Konkretisierung im Modus der Gesamtbetrachtung | 345 | ||
cc) Verhältnis der Bestimmungsmerkmale zueinander | 348 | ||
3. Effekte auf die Problemlösung | 349 | ||
a) Differenzierungsgewinn in komplexer Ausgangslage | 349 | ||
b) Verminderte Entscheidungserheblichkeit der Kategorien „Staat“ und „Gesellschaft“ | 351 | ||
c) Rezeptionsoffenheit | 354 | ||
IV. Fallgruppenbildung | 356 | ||
1. Strafprozessuale Zwangsmaßnahmen | 357 | ||
2. Verfahrensgrundrechte im gerichtlichen Forum | 360 | ||
3. Hoheitlicher Zugriff auf das Eigentum | 363 | ||
4. Stellung im Wettbewerb | 368 | ||
5. Negativbeispiel: Interessenvertretung gegenüber dem Gesetzgeber | 375 | ||
V. Zwischenergebnis | 378 | ||
Schlussbetrachtung | 381 | ||
Zusammenfassung in Thesen | 386 | ||
Literaturverzeichnis | 391 | ||
Stichwortverzeichnis | 424 |