Das neue System der Beschaffung von Leistungen zur medizinischen Rehabilitation durch die Rentenversicherung
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Das neue System der Beschaffung von Leistungen zur medizinischen Rehabilitation durch die Rentenversicherung
§ 15 SGB VI auf dem Prüfstand des (EU-)Wettbewerbs- und Verfassungsrechts
Brosius-Gersdorf, Frauke | Gersdorf, Hubertus
Schriften zum Öffentlichen Recht, Vol. 1514
(2024)
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Abstract
Die Beschaffung von Leistungen zur medizinischen Rehabilitation wurde durch den neuen § 15 SGB VI zum 1. Juli 2023 grundlegend reformiert. Seither gilt ein mehrstufiges System aus Zulassung der Rehabilitationskliniken, Belegungsvertrag, Belegungsentscheidung und Vergütung. Sämtliche Beschaffungsstufen werden von der DRV Bund durch verbindliche Entscheidungen gesteuert.
Dieses neue Beschaffungssystem verstößt gegen das Wettbewerbsrecht der Europäischen Union und ist deshalb unwirksam. Das Unionsrecht (Art. 106 Abs. 1 AEUV), aber auch das nationale Kartellrecht (§ 19 Abs. 2 Nr. 1 GWB) und das Verfassungsrecht (Art. 12 Abs. 1 GG) verlangen eine Trennung von hoheitlichen Befugnissen und unternehmerischen Funktionen der Rentenversicherungsträger. Anderenfalls ist die gebotene Gleichbehandlung (Nichtdiskriminierung) der Rehabilitationskliniken freigemeinnütziger und privater Träger mit den Rehabilitationskliniken der Rentenversicherungsträger bei der Erbringung von Leistungen zur medizinischen Rehabilitation nicht gewährleistet.
Dieses Trennungsprinzip ist verletzt. Denn die Rentenversicherungsträger nehmen hoheitliche Zulassungs-, Belegungs- und Vergütungsaufgaben wahr und sind gleichzeitig unternehmerisch mit eigenen Rehabilitationseinrichtungen auf dem Markt der Erbringung von Leistungen zur medizinischen Rehabilitation tätig. Freigemeinnützige und private Rehabilitationskliniken werden auf allen Stufen der Beschaffung gegenüber den Kliniken der Rentenversicherungsträger diskriminiert. Das gilt insbesondere für die Belegungsentscheidungen der Rentenversicherungsträger, weil hierdurch systematisch eigene Kliniken gegenüber freigemeinnützigen und privaten Kliniken begünstigt werden.
Table of Contents
Section Title | Page | Action | Price |
---|---|---|---|
Inhaltsverzeichnis | 5 | ||
A. Neuregelung des Systems der Beschaffung von Leistungen zur medizinischen Rehabilitation durch die Rentenversicherungsträger zum 1. Juli 2023 (§ 15 SGB VI) | 9 | ||
I. Zulassung (§ 15 Abs. 2 bis 5 SGB VI) | 9 | ||
II. Belegungsvertrag (§ 15 Abs. 6 SGB VI) | 11 | ||
III. Belegungsentscheidung (§ 15 Abs. 6a SGB VI) | 11 | ||
IV. Vergütung (§ 15 Abs. 8 SGB VI) | 12 | ||
V. Verbindliche Entscheidungen der DRV Bund (§ 15 Abs. 9 SGB VI) | 13 | ||
1. Verbindliche Entscheidung zum Prolog (VE Prolog) | 13 | ||
2. Verbindliche Entscheidung zu den Zulassungsanforderungen (VE Zulassung) | 14 | ||
3. Verbindliche Entscheidung zum Vergütungssystem (VE Vergütung) | 15 | ||
4. Verbindliche Entscheidung zur Belegung (VE Belegung) | 16 | ||
B. Gang der Untersuchung | 19 | ||
C. Rechtliche Vorgaben für die Beschaffung von Leistungen zur medizinischen Rehabilitation | 20 | ||
I. Kartellvergaberecht | 20 | ||
1. Beschaffung von Leistungen zur medizinischen Rehabilitation ist keine nichtwirtschaftliche Tätigkeit mit der Folge der Unanwendbarkeit des Vergaberechts | 22 | ||
2. Öffentliche Auftragsvergabe als Gegenstand des Vergaberechts | 23 | ||
3. Zulassung, Belegungsvertrag, Vergütungsvertrag und verbindliche Entscheidungen der DRV Bund sind keine öffentlichen Aufträge | 25 | ||
4. Belegungsentscheidung der Träger der Rentenversicherung gem. § 15 Abs. 6a SGB VI ist öffentlicher Auftrag | 28 | ||
a) Öffentlicher Auftrag nur bei privatrechtlichem Vertrag? | 28 | ||
b) Kein öffentlicher Auftrag, weil die Belegungsentscheidung nach objektiven sozialmedizinischen Kriterien erfolgen muss? | 29 | ||
c) Kein öffentlicher Auftrag wegen Besonderheit des sozialrechtlichen Dreiecksverhältnisses? | 32 | ||
aa) Belegungsentscheidung des Rentenversicherungsträgers aufgrund des Vorschlags oder der Auswahl des Versicherten | 33 | ||
bb) Belegungsentscheidung des Rentenversicherungsträgers bei fehlendem Vorschlag und fehlender Auswahl des Versicherten | 36 | ||
d) Unanwendbarkeit des Kartellvergaberechts bei Unterschreitung der Schwellenwerte | 37 | ||
II. Allgemeines EU-Wettbewerbsrecht (Art. 106 Abs. 1 AEUV) | 39 | ||
1. Rentenversicherungsträger sind bei Beschaffungstätigkeit Unternehmen i.S.d. Art. 106 Abs. 1 AEUV | 40 | ||
a) FENIN-Urteile des Gerichts Erster Instanz und des Europäischen Gerichtshofes: Sozialversicherungsträger sind bei Beschaffungstätigkeit keine Unternehmen | 42 | ||
b) Grundsätzliche Kritik an der FENIN-Rechtsprechung | 44 | ||
c) Unanwendbarkeit der FENIN-Rechtsprechung auf die Beschaffung von Leistungen zur medizinischen Rehabilitation durch die Rentenversicherungsträger | 47 | ||
aa) Besondere Verantwortung der Rentenversicherungsträger gegenüber den Rehabilitationseinrichtungen wegen des Struktursicherungsauftrages gem. § 36 Abs. 1 SGB IX | 47 | ||
bb) System der Erbringung von Leistungen zur medizinischen Rehabilitation beruht auf Wettbewerbsprinzip | 48 | ||
cc) Ausbeutungs- und Diskriminierungspotenzial wegen Doppelfunktion der Rentenversicherungsträger als Leistungsträger und Leistungserbringer | 49 | ||
dd) Missbrauchspotenzial wegen fehlender Trennung von hoheitlichen und unternehmerischen Funktionen der Rentenversicherungsträger | 52 | ||
d) Fazit | 54 | ||
2. Rentenversicherungsträger sind öffentliche Unternehmen i.S.d. Art. 106 Abs. 1 AEUV | 56 | ||
3. Fehlende Trennung von hoheitlichen und unternehmerischen Funktionen verstößt gegen unionsrechtliches Diskriminierungsverbot | 56 | ||
4. Verpflichtung der öffentlichen Unternehmen zur Wahrung des Diskriminierungsverbotes | 58 | ||
5. Keine Ausnahme nach Art. 106 Abs. 2 AEUV | 58 | ||
III. Nationales Wettbewerbsrecht (GWB) | 60 | ||
IV. Verfassungsrecht | 63 | ||
1. Verfassungsrechtliches Gebot der Trennung von hoheitlichen und unternehmerischen Funktionen der Rentenversicherungsträger | 63 | ||
2. Verfassungsrechtliche Vorgaben für das Federführerprinzip gem. § 15 SGB VI | 65 | ||
3. Verfassungsrechtliche Maßgaben für die Vereinheitlichung des Gesetzesvollzugs durch verbindliche Entscheidungen der DRV Bund (§ 15 Abs. 9 SGB VI) | 71 | ||
D. Unionsrechts- und Verfassungswidrigkeit des § 15 SGB VI | 74 | ||
I. § 15 SGB VI verstößt gegen Art. 106 Abs. 1 AEUV | 74 | ||
1. Diskriminierungsgefahr im Zulassungsregime | 75 | ||
a) Zulassungsprüfung | 76 | ||
b) Zulassungsentscheidung versus fiktive Zulassung | 76 | ||
c) Widerruf der Zulassung | 77 | ||
d) Einseitige Ausgestaltung der Zulassungsvoraussetzungen durch verbindliche Entscheidungen der DRV Bund | 78 | ||
2. Diskriminierungsgefahr durch Belegungsvertrag | 80 | ||
3. Diskriminierungsgefahr durch Belegungsentscheidung | 83 | ||
a) Belegung nach Ausübung des Vorschlagsrechts des Versicherten | 86 | ||
b) Belegung mit Ausübung des Auswahlrechts des Versicherten | 88 | ||
c) Belegung ohne Vorschlag und Auswahl des Versicherten | 89 | ||
d) Rechtsschutzdefizite | 89 | ||
4. Ausbeutungs- und Diskriminierungsgefahr durch Vergütungsvertrag | 90 | ||
5. Diskriminierungsgefahr durch Befugnis der DRV Bund zur Herbeiführung verbindlicher Entscheidungen | 94 | ||
6. Fazit | 96 | ||
II. § 15 SGB VI verstößt gegen Art. 83f. GG | 97 | ||
1. Federführerprinzip gem. § 15 SGB VI verstößt gegen Art. 83f. GG | 97 | ||
2. Herbeiführung verbindlicher Entscheidungen durch die DRV Bund (§ 15 Abs. 9 SGB VI) | 100 | ||
a) Verstoß gegen Art. 84 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 GG wegen gesetzlicher Ermächtigung zum Erlass materiell-rechtlicher Regelungen | 100 | ||
b) Verstoß gegen Art. 84 Abs. 1 Satz 1 GG wegen gesetzlicher Ermächtigung der DRV Bund zu Verfahrensregelungen? | 101 | ||
E. Unionsrechts- und Verfassungswidrigkeit der auf der Grundlage von § 15 SGB VI getroffenen hoheitlichen Entscheidungen der Rentenversicherungsträger | 103 | ||
I. Unwirksamkeit der verbindlichen Entscheidungen der DRV Bund wegen fehlender gesetzlicher Ermächtigungsgrundlage | 103 | ||
II. Unwirksamkeit der verbindlichen Entscheidungen der DRV Bund wegen ihres Inhalts | 104 | ||
1. Verbindliche Entscheidung zu den Zulassungsanforderungen (VE Zulassung) | 105 | ||
2. Verbindliche Entscheidung zum Vergütungssystem (VE Vergütung) | 107 | ||
a) Einrichtungsübergreifende Vergütungskomponente | 107 | ||
b) Einrichtungsspezifische Vergütungskomponente | 110 | ||
3. Verbindliche Entscheidung zur Belegung (VE Belegung) | 113 | ||
a) Versicherter hat Vorschlagsrecht ausgeübt (§ 15 Abs. 6a Satz 1 bis 3 SGB VI) | 114 | ||
b) Versicherter hat Vorschlagsrecht nicht ausgeübt oder dem Vorschlag kann nicht entsprochen werden (§ 15 Abs. 6a Satz 4 und 5 SGB VI) | 116 | ||
III. Unwirksamkeit des Belegungsvertrags | 119 | ||
F. Reformvorschläge | 124 | ||
I. Wahrnehmung der hoheitlichen Aufgaben i.S.d. § 15 SGB VI durch eine unabhängige Regulierungsbehörde außerhalb der Rentenversicherung? | 125 | ||
II. Wahrnehmung der hoheitlichen Aufgaben i.S.d. § 15 SGB VI durch eine unabhängige Stelle innerhalb der Rentenversicherung? | 128 | ||
III. Wahrnehmung der hoheitlichen Funktionen i.S.d. § 15 SGB VI durch ein gemeinsames Entscheidungsgremium aus Rentenversicherungsträgern und Vertragseinrichtungen | 130 | ||
1. Gemeinsames Entscheidungsgremium aus DRV Bund, Regionalträgern und Rehabilitationseinrichtungen | 131 | ||
2. Zuständigkeit des gemeinsamen Entscheidungsgremiums für verbindliche Entscheidungen, Zulassung, Belegung und Vergütung | 133 | ||
a) Verbindliche Entscheidungen (§ 15 Abs. 9 SGB VI) | 134 | ||
b) Zulassung, Belegungsvertrag, Vergütungsvertrag, Belegung | 134 | ||
aa) Belegungsvertrag (§ 15 Abs. 6 SGB VI) | 134 | ||
bb) Einrichtungsübergreifende Vergütung (§ 15 Abs. 8 SGB VI) | 135 | ||
cc) Zulassung (§ 15 Abs. 2 bis 5 SGB VI), Belegungsentscheidung (§ 15 Abs. 6a SGB VI) und einrichtungsspezifische Vergütung (§ 15 Abs. 8 SGB VI) | 136 | ||
G. Ergebnisse | 139 | ||
Literaturverzeichnis | 158 | ||
Sachverzeichnis | 163 |