Die Nebenklage im Lichte spätmoderner Herausforderungen
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Die Nebenklage im Lichte spätmoderner Herausforderungen
Vorschlag für einen Funktionswandel
Schriften zum Prozessrecht, Vol. 296
(2024)
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Gesa Ahlfeld studierte von 2013 bis 2018 mit dem Schwerpunkt Kriminologie und Strafrecht Rechtswissenschaften an der Universität in Münster. Nach Absolvierung des Ersten Staatsexamens widmete sie sich ihrer Dissertation. Seit 2022 ist sie als Referendarin am OLG Oldenburg tätig und engagiert sich parallel als ehrenamtliche Mitarbeiterin des Weißen Rings.Abstract
In den letzten Jahrzehnten haben sich die Erwartungen an den Umgang mit dem Verletzten im Strafverfahren grundlegend geändert. Gleichzeitig zeigt sich der Rechtsstaat angesichts eines weiterhin erstarkenden Populismus so verletzlich wie lange nicht. Diese beiden Herausforderungen machen es erforderlich, das Konzept der offensiven Verletztenbeteiligung in der StPO zu überdenken. Die derzeitige Ausgestaltung der Nebenklage wird dem selbstgesteckten Ziel, effektiven Schutz und eine Verringerung der Belastungen durch das Verfahren zu erreichen, nur eingeschränkt gerecht und gerät insbesondere mit dem Recht des Beschuldigten auf ein faires Verfahren in Konflikt. Auch systematisch weist das 5. Buch der StPO Unzulänglichkeiten auf. Ein Vorschlag für eine Neustrukturierung der Verfahrensrollen des aktuell und potentiell Verletzten soll einen besseren Ausgleich zwischen den gesellschaftlichen Bedingungen und den verfassungsrechtlichen Notwendigkeiten schaffen und gleichzeitig den anhaltenden Konflikt des Verletztenbegriffs in der StPO mit der Unschuldsvermutung umgehen.»The German ›Nebenklage‹ in the Light of Late Modern Societal Challenges. A Suggestion for a Rearrangement«: As a result of a fundamental change in social expectations with regard to the question how to deal with victims of crime on the one hand and a continuing threat to a criminal procedure code governed by the rule of law due to increasing populism on the other, the participation of the victim in the German criminal procedure code (Strafprozessordnung) needs to be restructured. By creating new procedural roles for the victim, both, psychological needs and constitutional requirements can be balanced in a better way.
Table of Contents
Section Title | Page | Action | Price |
---|---|---|---|
Vorwort | 7 | ||
Inhaltsverzeichnis | 9 | ||
Einführung: Herausforderungen | 15 | ||
A. Die Nebenklage im gegenwärtigen Strafverfahren | 17 | ||
I. Kreis anschlussberechtigter Nebenkläger | 19 | ||
II. Die Rechtsstellung des Nebenklägers | 21 | ||
III. Die Nebenklageregelungen im System der strafprozessualen Verletztenbeteiligung | 22 | ||
IV. Statistische Entwicklung der Nebenklagebeteiligung | 26 | ||
B. Der Umgang mit den Begriffen des „Opfers“ und des „Verletzten“ im Rahmen dieser Arbeit | 28 | ||
I. Im begrifflichen Spannungsfeld von Unschuldsvermutung und Verletzteneigenschaft | 30 | ||
II. Zum Wert der systematischen Unabhängigkeit von Schuldigen- und Verletztenstatus | 32 | ||
III. § 373b StPO als geeigneter Ausweg? | 34 | ||
IV. Vorschlag für eine Vermeidung des Verletztenbegriffs | 36 | ||
1. Teil: Nebenklage und Gesellschaft | 39 | ||
A. Überblick über die historische Entwicklung der Nebenklage im sozialen Kontext – die Geschichte einer (Wieder-)Entdeckung des Individuums im Strafverfahren? | 39 | ||
I. Die Befriedung zwischenmenschlicher Konflikte: Aus einem privaten Interesse wird eine öffentliche Angelegenheit | 41 | ||
1. Das Kollektiv der Sippe als Opfer oder Täter im germanischen Zeitalter | 42 | ||
2. Ein neues Kollektiv entsteht und fühlt sich durch Normübertretungen verletzt | 44 | ||
3. Der zweite Individualisierungsimpuls im Hoch- und Spätmittelalter trifft auf die nun nachhaltige Etablierung eines öffentlichen Strafrechtsverständnisses | 48 | ||
4. „Man soll jn fragen, auß was vrsachen er die thatt gethan“ – die Constitutio Criminalis Carolina versucht den Blick ins Innere des Menschen | 53 | ||
II. „Der Ausgang des Opfers aus der Unmündigkeit“ – aufklärerisches und liberales Gedankengut ebnen den Weg zu mehr Verletztenbeteiligung in der RStPO | 58 | ||
1. Individualisierung im Privaten und im Politischen: Die Rolle des Einzelnen in der aufgeklärten Gesellschaft | 59 | ||
2. Die Individualisierung erreicht das Strafprozessrecht | 62 | ||
a) Das verletzte Individuum klagt an – die Entstehung der prinzipalen Privatklage | 64 | ||
b) Der „liberale () Teilerfolg“ der Einführung des Klageerzwingungsverfahrens | 68 | ||
c) Die Nebenklage als Annex von Privatklage und Klageerzwingungsverfahren | 70 | ||
aa) Von der Unterstützung der Staatsanwaltschaft bis zu ihrer Kontrolle – die vielfältigen Intentionen des Gesetzgebers bei der Einführung der Nebenklage | 72 | ||
bb) Weitergehende Diskussion des Für und Wider der Einführung eines Nebenklagerechts | 73 | ||
cc) Die Bedeutung der Genugtuungsinteressen des Verletzten im Gesetzgebungsverfahren – Wie weit reichte der Einfluss der Individualisierung? | 74 | ||
dd) Die Nebenklage der RStPO – letztlich nicht mehr als ein Zufallsprodukt ohne zugrundeliegendes Konzept? | 78 | ||
III. Moderner Kollektivismus und Verletztenbeteiligung im Strafverfahren | 79 | ||
1. Das Individuum in Gesellschaft und Strafverfahren bis 1945 | 80 | ||
a) Der Verletzte bleibt Teil der Debatte | 81 | ||
b) „Die Schranken unseres Ich durchbrachen“ – Der Weg in die nationalsozialistische Diktatur aus individualisierungsgeschichtlicher Perspektive | 83 | ||
c) Aktive Verfahrensbeteiligung des Verletzten und nationalsozialistische Ideologie | 88 | ||
2. Verletztenrechte im Strafverfahren der DDR | 91 | ||
3. Kollektivistisches deutsches Strafverfahren im 20. Jahrhundert – nicht ohne Widersprüche | 96 | ||
IV. Resümee: Nebenklage und historische Gesellschaft | 97 | ||
B. Rahmenbedingungen für eine zeitgemäße Ausgestaltung der Rolle des Verletzten im Strafverfahren | 100 | ||
I. Vom Rande der gesellschaftlichen Aufmerksamkeit in deren Mittelpunkt – das Opfer in der Bundesrepublik | 100 | ||
1. Spätmoderne Individualisierung und viktimäre Gesellschaft | 100 | ||
a) Ein letzter möglicher Herauslösungsprozess | 101 | ||
b) Neue Abhängigkeiten | 102 | ||
c) Die Umdeutung der Opferschaft | 104 | ||
2. Das Strafverfahren verändert seinen Charakter | 107 | ||
II. Rechtsstaat unter Druck – Gefahr populistischer Politik mit dem Opfer | 112 | ||
C. Ergebnis: Nebenklage und Gesellschaft bis heute | 116 | ||
2. Teil: Nebenklage als Problem | 119 | ||
A. Die Nebenklage im Lichte der Ansprüche der individualisierten Gesellschaft | 119 | ||
I. Erwartungen | 120 | ||
1. Erwartungen an die Ausgestaltung des Strafverfahrens | 121 | ||
2. Erwartungen an den Ausgang des Verfahrens | 123 | ||
3. Kompatibilität individueller und sozialer Erwartungshaltungen | 126 | ||
II. Die Nebenklage als Schutzfaktor im psychologischen Bewältigungsprozess? | 128 | ||
1. Bewältigung krimineller Viktimisierungen | 130 | ||
a) Psychische Auswirkungen einer Viktimisierung | 131 | ||
b) Voraussetzungen der Bewältigung | 132 | ||
2. Potentiell schützende Wirkungen der Nebenklage | 138 | ||
a) Schutz durch emotionalen Beistand | 138 | ||
b) Schutz vor Schuldzuweisungen und abwertenden Reaktionen | 139 | ||
c) Schutz durch das Gewähren einer Stimme | 141 | ||
d) Schutz vor sekundärer Viktimisierung | 141 | ||
3. Selbst(un)wirksamkeitswahrnehmung stärken? – Anhaltspunkte für negative Wirkungen einer Beteiligung als Nebenkläger | 142 | ||
a) Selbstwirksamkeit und Freispruch | 142 | ||
b) Erhöhte Belastung durch eine langfristige Aufrechterhaltung der Schuldfrage | 143 | ||
c) Erkenntnisse über die Wirkungen realisierter Rachebedürfnisse | 144 | ||
d) Risikoerhöhung durch eine Emotionalisierung des Strafverfahrens | 145 | ||
4. Resümee: Als Schutzfaktor im Bewältigungsprozess überschätzt, aber nicht untauglich | 145 | ||
III. Genugtuung, Zufriedenheit und Wiederbelebung des Vertrauens in die Rechtsordnung für Nebenkläger: Der Verfahrensausgang entscheidet | 147 | ||
B. Die Nebenklage im Rechtsstaat | 151 | ||
I. Verfassungs- und Europarechtskonformität eines Strafverfahrens mit und ohne Nebenklage | 152 | ||
1. Untergrenze zwingend zu gewährender Verletztenrechte | 152 | ||
a) Ein verfassungsrechtlicher Anspruch auf effektive Strafverfolgung? | 152 | ||
aa) Anspruch auf effektive Strafverfolgung erheblicher Delikte, deren Nichtverfolgung das gesellschaftliche Klima schädigen kann | 156 | ||
bb) Anspruch auf effektive Strafverfolgung im Rahmen besonderer Gewaltverhältnisse | 159 | ||
cc) Anspruch auf effektive Strafverfolgung von Amtsträgern | 160 | ||
dd) Das Allgemeine Persönlichkeitsrecht als Grundlage | 161 | ||
ee) Zwischenergebnis: Zukünftige statt aktuelle Opfer im Fokus des Bundesverfassungsgerichts | 164 | ||
b) Gebote des Rechtsstaatsprinzips | 166 | ||
aa) Recht des Verletzten auf Gehör | 166 | ||
(1) Art. 103 I GG: Rechte und Berechtigte | 167 | ||
(2) Übertragung der Grundsätze auf die Person des Verletzten | 170 | ||
bb) Verfahrensfairness für Verletzte? | 172 | ||
(1) Bedingungen für die Herleitung eines Rechts auf ein faires Verfahren in der bundesverfassungsgerichtlichen Rechtsprechung | 173 | ||
(2) Übertragung der Grundsätze auf die Person des Verletzten | 175 | ||
(a) Verletzte als Inhaber eines Rechts auf ein faires Verfahren | 175 | ||
(aa) in ihrer Eigenschaft als Zeuge | 175 | ||
(bb) jenseits ihrer Zeugeneigenschaft | 176 | ||
(b) Reichweite eines Rechts auf Verfahrensfairness für Verletzte | 177 | ||
(aa) als Zeugen | 177 | ||
(bb) unabhängig von ihrer Zeugenrolle | 178 | ||
cc) Gerechtigkeit und Rechtsfrieden – nicht mehr ohne den Verletzten | 180 | ||
c) Verletzte im Sozialstaat – staatliche Fürsorge genügt jenseits des Strafverfahrens | 183 | ||
d) Unionsrechtliche Grenzen | 184 | ||
aa) Grenzen hinsichtlich der Teilnahme am Strafverfahren | 185 | ||
bb) Schutz des Verletzten nach der Opferschutzrichtlinie | 186 | ||
cc) Zwingend zu gewährende Informationsrechte | 188 | ||
dd) Resümee: Allenfalls das Unionsrecht fordert Rechte primär offensiven Charakters | 188 | ||
2. Obergrenze der Verletztenbeteiligung | 189 | ||
a) Grenzziehung durch die Unschuldsvermutung | 189 | ||
b) Das Recht des Beschuldigten auf ein faires Verfahren – „Die Rechtslage wird zur Schieflage“ | 190 | ||
aa) Verfahrensbalance im Verhältnis zu dem Gegenüber der Staatsanwaltschaft | 193 | ||
bb) Wirkungen der Ausweitung der Strafverfolgungsposition durch den Anschluss eines Nebenklägers | 198 | ||
cc) Exkurs: Verfahrensbalance in Großverfahren mit zahlreichen Nebenklägern | 205 | ||
c) Nebenklageanschluss und Wahrheitsfindung | 206 | ||
II. Die Nebenklage im Kontext der Ziele des Straf(verfahr)ens | 211 | ||
1. Strafverfahrensziele | 211 | ||
2. Bestrafen für das Opfer? | 214 | ||
III. Systematische Qualität der Nebenklageregelungen | 217 | ||
C. Ergebnis: Unzulänglichkeiten in der derzeitigen Ausgestaltung der Nebenklage | 220 | ||
I. Individualistischer Anspruch und psychologische Realität | 221 | ||
II. Die Nebenklage als Schwachstelle eines rechtsstaatlichen Strafverfahrens | 223 | ||
Schluss: Neue alte Nebenklage | 229 | ||
A. Grenzen | 229 | ||
B. Jenseits der „Nullsummenspiele“ | 232 | ||
I. Effektiver Opferschutz ohne Nebenklage | 233 | ||
1. Der schutzberechtigte Zeuge | 233 | ||
2. Der Nebenbeteiligte – Elemente einer neuen Verfahrensrolle | 234 | ||
a) Erklärung | 235 | ||
b) Information | 236 | ||
c) Rechtsanwaltlicher Beistand | 237 | ||
d) Beweisanregung | 238 | ||
e) Emotionaler Beistand | 239 | ||
3. Allgemeiner gesetzgeberischer Handlungsbedarf | 239 | ||
II. Stabilisierung statt Schwächung des Rechtsstaates durch eine Wiederbelebung der Kontrollfunktion von Klageerzwingungsverfahren und Nebenklage | 240 | ||
1. Der Beschwerde- und Antragssteller nach § 172 StPO | 241 | ||
2. Der Bürgerkläger | 243 | ||
Literaturverzeichnis | 246 | ||
Stichwortverzeichnis | 274 |