Die prekäre Verbindung von Menschenrechten und Frieden
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Die prekäre Verbindung von Menschenrechten und Frieden
Zur Ambivalenz des Liberalismus und der Ordnungsmuster des Völkerrechts
Beiträge zur Politischen Wissenschaft, Vol. 205
(2024)
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Abstract
Liberale Völkerrechtskonzeptionen hatten nach dem Fall des Eisernen Vorhangs Konjunktur. Kantisch inspirierte Erwartungen auf eine liberale internationale Friedensordnung sowie ein erreichtes »Ende der Geschichte« (Fukuyama), i.e. ein ideologischer Sieg der westlichen Werte der Menschenrechte, der Demokratie und der Rechtsstaatlichkeit − ein Ende der ideologischen (Klassen-)Kämpfe − sind jedoch im Zuge des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine bis auf Weiteres begraben worden. Auch wenn es spätestens seit dem Truppenabzug aus Afghanistan sowie im Hinblick auf den machtpolitischen Aufstieg Chinas wenig überzeugt, weiter unbeirrt von einem Siegeszug liberalen Denkens zu sprechen, so impliziert dies indes mitnichten die Schlussfolgerung, dass der Westen seinen Anspruch auf eine liberale Weltordnung aufgegeben hat (»the great battle for freedom: a battle between democracy and autocracy«). Der Forschungsansatz, inwieweit die Menschenrechte in einer ideologiekritischen Perspektive als Voraussetzung des Friedens gelten können, hat weiter an Berechtigung gewonnen. Eine zunehmend anthropozentrisch angereicherte internationale Rechtsordnung, die Eschatologie des Kantischen Friedensbegriffs sowie die Ambivalenz des Liberalismus, dessen Universalismusgedanke schon immer auch eine imperialistische Schlag- und Schattenseite sowie den Keim gewaltsamer Durchsetzung liberaler Ideen inkorporiert hat, sind hinsichtlich des prekären Verhältnisses von Menschenrechten und Frieden zur Disposition zu stellen.»The Precarious Connection of Human Rights and Peace. On the Ambivalence of Liberalism and the Patterns of International Law«: Considering world affairs today and the antiliberal currents within western societies (backlash), not to mention the rise of China or Russia’s ongoing war of aggression against the Ukraine, it certainly seems misguided to propagate a so-called triumph of Western values or an »end of history« as Fukuyama perceived 1992 the victory of human rights, democracy and of law itself in the course of the fall of the iron curtain. Although, this does not imply the conclusion that the West has given up its claim to a liberal world order (»the great battle for freedom: a battle between democracy and autocracy«). Following Carl Schmitt’s dictum »whoever invokes humanity wants to cheat« it thus stands to reason to take a critical look at the postulated universality of liberal values in the context of the highly complex relationship between human rights and peace as well as the ambivalence of liberalism, i.e. its universalist façade with discriminatory and imperialistic practices.
Table of Contents
Section Title | Page | Action | Price |
---|---|---|---|
Vorwort | 7 | ||
Inhaltsverzeichnis | 9 | ||
Abkürzungsverzeichnis | 15 | ||
Einführung | 19 | ||
I. Eine kritische Annäherung an die Menschenrechte | 19 | ||
II. Die Bedeutung des Themas | 22 | ||
III. Zur Gliederung der Arbeit | 26 | ||
1. Teil: Zur Konnexität des Friedens und der Menschenrechte | 28 | ||
1. Kapitel: Die ideengeschichtliche Entwicklung von Menschenrechten und Frieden | 29 | ||
A. Die Entwicklung der Menschenrechtsidee | 29 | ||
B. Die ideengeschichtliche Genese des Friedensbegriffs | 34 | ||
2. Kapitel: Die normative Konnexität des Friedensbegriffs und der Verwirklichung der Menschenrechte | 39 | ||
A. Der „positive“ Friedensbegriff im Kontext der Einheit und der Universalität der Menschenrechte | 42 | ||
B. Universalität und kulturelle Partikularität | 44 | ||
3. Kapitel: Das normative Spannungsverhältnis zwischen Friedenssicherung und Menschenrechtsschutz | 48 | ||
A. Die Rückführung von Flüchtlingen und die Behandlung von Minderheiten | 49 | ||
B. Das Spannungsverhältnis von Strafverfolgung und Frieden | 52 | ||
I. Die friedensfördernde Wirkung von Amnestien | 52 | ||
II. Die Errichtung des Internationalen Strafgerichtshofs und der Vorwurf des Neokolonialismus | 54 | ||
III. Immunitätsschutz für hochrangige Regierungsvertreter bei schweren Menschenrechtsverletzungen | 55 | ||
C. Menschenrechte und Humanitäres Völkerrecht | 57 | ||
D. Die Verbindung von Frieden und dem Selbstbestimmungsrecht der Völker | 60 | ||
E. Demokratischer Frieden und demokratische Sicherheit | 62 | ||
I. Drei Dimensionen universalistischer Friedenskonzeptionen | 63 | ||
II. Das Verhältnis von Demokratie und Menschenrechten | 64 | ||
III. Das exklusive Friedensverständnis des demokratischen Friedens | 65 | ||
4. Kapitel: Die gewaltsame Durchsetzung der Menschenrechte | 68 | ||
A. Die Konfliktträchtigkeit der Menschenrechte | 69 | ||
I. Die Demokratisierung des Krieges im Kontext universalistischer Friedenstheoreme | 69 | ||
II. Die Positivierungs- und die quis iudicabit-Problematik | 72 | ||
III. Die Frage einer „effektiven“ Durchsetzung der Menschenrechte | 74 | ||
B. Gerechtigkeitstheoretische Grundpositionen | 76 | ||
C. Universalistische und partikularistische Vorstellungen vom Frieden | 78 | ||
D. Partikularistische und kosmopolitische just war-Theorien | 80 | ||
E. Militärische humanitäre Interventionen: Illegal but legitimate? | 83 | ||
I. Begriffsklärung | 83 | ||
II. Die Frage der Legalität einer militärischen humanitären Intervention i.e.S. | 84 | ||
1. Humanitäre Intervention mit UN-Sicherheitsratsbeschluss | 85 | ||
a) UNSR-Resolutionen ohne militärische Gewaltanwendung | 85 | ||
b) UNSR-Resolutionen mit militärischer Gewaltanwendung | 86 | ||
2. Humanitäre Intervention ohne UN-Sicherheitsratsbeschluss | 87 | ||
a) Verstoß gegen das Interventionsverbot | 87 | ||
b) Verstoß gegen das Gewaltverbot | 88 | ||
c) Erweiterungsversuche für unilaterale Anwendung von Gewalt | 89 | ||
d) Illegal but legitimate? | 92 | ||
e) Der politische Charakter des Völkerrechts | 93 | ||
F. Positionen in der katholischen und evangelischen Kirche | 94 | ||
I. „Gerechter Frieden“ in der katholischen Ethiklehre | 94 | ||
II. „Gerechter Frieden“ in der evangelischen Ethiklehre | 97 | ||
G. Rechtsphilosophische Positionen | 100 | ||
I. Der partikularistische Ansatz am Beispiel von Michael Walzer | 100 | ||
II. Der kosmopolitische Ansatz am Beispiel von Fernando Tesón | 102 | ||
III. Die liberale Gerechtigkeitskonzeption John Rawls | 103 | ||
2. Teil: Die Ambivalenz des Liberalismus: The dark sides of human rights | 106 | ||
5. Kapitel: Kritische Menschenrechts- und Völkerrechtstheorien | 109 | ||
A. Die Crits | 109 | ||
B. Postkoloniale Kritiken | 114 | ||
I. „The Holy Trinity“ | 116 | ||
II. Makau Mutua und die „savages-victims-saviors metaphor of human rights“ | 119 | ||
1. Die Verwurzelung der Menschenrechte im kolonialen Erbe | 119 | ||
2. Die hierarchische Struktur des Menschenrechtsdiskurses | 120 | ||
3. Menschenrechte als imperialistische Interventionstitel | 122 | ||
III. Ratna Kapur und die „diskriminierende Universalität“ der Menschenrechte | 123 | ||
C. Feministische Kritiken | 125 | ||
I. Der gender bias des Völkerrechts | 125 | ||
II. Der Androzentrismus der Menschenrechte | 127 | ||
III. „Apocryphal jurisprudence“ | 128 | ||
IV. Androzentrische Interventionsnarrative | 129 | ||
1. „The new human rights warriors“ | 129 | ||
2. Zeitliche und räumliche Narrationsebenen | 131 | ||
3. Fragile Identitätskonstruktionen | 132 | ||
D. Pragmatische Kritiken | 134 | ||
I. David Kennedy und das humanitäre Selbstverständnis | 134 | ||
II. Die Vermischung des humanitären, politischen und militärischen Diskurses | 136 | ||
III. Die Ausweitung „gerechter“ Kriegsgründe | 138 | ||
IV. Die Aushöhlung etablierte kriegsrechtlicher Regelwerke | 139 | ||
E. Der ambivalente Charakter kritischer Völkerrechtstheorien | 140 | ||
I. Zur Relevanz der Schmittschen Argumente | 140 | ||
II. Die Humanisierung des Völkerrechts | 143 | ||
III. Der shift von „Formalismus zu Realismus“ in der Evolution des Kriegsrechts | 144 | ||
IV. Die „kolonialen Ursprünge des Völkerrechts“ | 145 | ||
F. Dekonstruktion als ein intellektuelles Glasperlenspiel? Der Umgang mit dem Erbe der Crits („The Critical Heritage“) | 147 | ||
3. Teil: Menschenrechte im Kontext der Ordnungsmuster des Völkerrechts | 153 | ||
6. Kapitel: Kosmopolitische und „realistische“ Haltungen zum internationalen System: „Visions of World Order“ | 153 | ||
A. (Kantische) Universalistische Strömungen | 155 | ||
B. (Hobbesianische) „Realistische“ Strömungen | 157 | ||
C. Die (Grotianische) International Community School | 158 | ||
I. Der Rekurs auf die internationale Gemeinschaft als eine „regulative Idee“ | 160 | ||
II. Humanistisch motiviertes Wertordnungsdenken und die Aufhebung der Staatensouveränität | 161 | ||
7. Kapitel: Ambivalenzen und Kollisionen normativer Systeme und die Ordnungsmuster des Völkerrechts | 163 | ||
A. Dianne Otto und die contested „knowledges of modernity“ | 163 | ||
I. „Modern knowledges [as] the product of power“ | 163 | ||
II. Epistemologische Aporien im modernen Menschenrechtsdiskurs | 166 | ||
B. Das Verhältnis von Völkerrecht und politischer Ökonomie | 168 | ||
I. Die Eigenlogiken spezieller Teilregime des Völkerrechts: Die Verfestigung struktureller Machtasymmetrien im Wirtschaftsvölkerrecht | 168 | ||
II. Das Völkerrecht als Plattform ökonomischer Verteilungskämpfe | 169 | ||
III. „The dark sides of capitalism“ | 170 | ||
IV. Die Blindschaltung des präferierten makroökonomischen Modells | 172 | ||
V. Der „imperialism of free trade“ | 174 | ||
VI. „Positiver“ und „negativer“ Friedensbegriff als Ausdruck des globalen Nord-Süd-Konflikts | 175 | ||
C. Die Normalisierung hegemonialer Ideologie: Die Erzeugung „blinder Flecken“ und die Reproduktion „europäischen Wissens“ | 176 | ||
I. Die ideologisch-idealisierte Stellung des Völkerrechts | 180 | ||
II. Die Blindschaltung des inhärenten Gewaltaspekts des Völkerrechts | 181 | ||
D. Ambivalenzen hinter der Entstehung und Anwendung des ius contra bellum sowie des ius in bello-Regimes | 185 | ||
I. Der Krieg als ein „historisch positiv besetzter Kreislauf“ | 185 | ||
II. Die rechtliche Fixierung des Kombattantenstatus zur Gewährleistung der fortwährenden Kriegsbereitschaft der Bürgerschaft | 189 | ||
III. Völkerrechtliche Friedenspakte als das rationalisierte-universalisierte Produkt dominierender machtpolitischer Interessen | 191 | ||
IV. Die Rekrudeszenz des diskriminierenden Kriegsbegriffs und die Entgrenzung des Krieges | 192 | ||
V. Ambivalenzen in der Verrechtlichung des Krieges | 196 | ||
E. Die Ambivalenz der „Vervölkerrechtlichung“ humanitärer Wertvorstellungen | 198 | ||
I. Die europäische „mission civilisatrice“ | 199 | ||
II. Eine „Anti-Zivilisation in den eigenen Reihen“: Die Kongokrise (1906–1908) | 201 | ||
III. Die Abschaffung des Sklavenhandels | 202 | ||
IV. Die Williams thesis | 204 | ||
F. Wertordnungsdenken und die „Entformalisierung“ des Rechts | 205 | ||
I. Implied powers und Functionalism | 205 | ||
II. Liberal-imperialistisches Wertordnungsdenken | 209 | ||
III. Menschenrechte als „bureaucratic small-change“ | 212 | ||
IV. Die Menschenrechtsidee im Kontext praktischer Konkordanz | 213 | ||
V. Die Wahl der Methode als Mittel zum Transport politischer Ansichten | 215 | ||
VI. Die „Entformalisierung“ des Völkerrechts durch materielle Werte | 216 | ||
VII. Frieden als polemisches Konzept | 220 | ||
1. Die inhaltliche Aushöhlung des Kriegsbegriffs | 221 | ||
2. Die pauschale Verrechnung von Sicherheitsrisiken | 222 | ||
3. Der inflationäre Gebrauch des Friedensbegriffs | 223 | ||
G. Samuel Moyn und die letzte politische Utopie | 225 | ||
H. Epilegomena zur Eschatologie des Kantischen Friedensbegriffs und der Menschenrechte | 229 | ||
I. Konkurrierende Universalismen | 231 | ||
II. Zhao Tingyang und der ordnungspolitische Leitbegriff des Tianxia | 232 | ||
III. Menschenrechte als globale Ideologie und als „lingua franca of global moral thought“ | 235 | ||
IV. Fortschrittsnarrative | 237 | ||
4. Teil: Menschenrechte im Kontext der Ambivalenzen der Moderne | 241 | ||
8. Kapitel: Epistemologische Aporien | 242 | ||
A. Entfremdungszusammenhänge | 242 | ||
B. „Blinde Flecken“ der Menschenrechtsentwicklung | 243 | ||
C. Der „redemptive move“ zeitgenössischer Menschenrechtskritiken | 246 | ||
D. Die Zweideutigkeit der Moderne und die Suche nach Identität | 248 | ||
E. Die Reproduktion politischer und sozialer Hierarchien | 251 | ||
F. Die Gleichzeitigkeit von Zivilisation und Barbarei in der Moderne | 253 | ||
9. Kapitel: Schlussbetrachtung | 261 | ||
A. Das prekäre Gleichgewicht zwischen „Werten als Boten der Humanität und als Apologeten der Hegemonie“ | 261 | ||
B. Die Zirkularität der Kosmopolitismus–Partikularismus-Debatte und der moderne „Polytheismus“ der Werte | 264 | ||
C. Backlash: Liberalismus und Multikulturalismus als ideologische Feindbilder | 266 | ||
D. Der Wettstreit um die Zukunft der internationalen Ordnung im Kontext des russischen Angriffskrieges auf die Ukraine und des machtpolitischen Aufstiegs Chinas | 271 | ||
Zusammenfassung | 278 | ||
Literaturverzeichnis | 286 | ||
Stichwortverzeichnis | 316 |