Die Haftung für durchgangsärztliche Tätigkeiten unter Berücksichtigung ihrer Rechtsnatur
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Die Haftung für durchgangsärztliche Tätigkeiten unter Berücksichtigung ihrer Rechtsnatur
Schriften zum Gesundheitsrecht, Vol. 74
(2024)
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Noreen Schwuchow studierte Rechtswissenschaften an der Albert-Ludwigs-Universität in Freiburg i. Brsg und an der Universidade de Coimbra mit dem Schwerpunkt Arbeits- und Sozialrecht. Nach Abschluss des ersten Staatsexamens promovierte sie bei Prof. Dr. Katharina von Koppenfels-Spies und war als wissenschaftliche Mitarbeiterin in einer Kanzlei für Medizinrecht in Freiburg sowie in einer Sozietät mit gesundheitsrechtlichem Schwerpunkt in Berlin tätig. Seit November 2022 ist sie Rechtsreferendarin am Kammergericht Berlin.Abstract
Die sogenannten Durchgangsärzte (kurz: D-Ärzte) sind im System der gesetzlichen Unfallversicherung sowohl für die Durchführung der besonderen Heilbehandlung als auch für die (vorgelagerte) Entscheidung verantwortlich, welche Art der berufsgenossenschaftlichen Versorgung (allgemeine oder besondere) für den jeweiligen Arbeitsunfallverletzten erforderlich ist. Dadurch nehmen sie im berufsgenossenschaftlichen Heilverfahren eine Doppelfunktion ein: Einerseits sind sie (wie die Vertragsärzte innerhalb der GKV) ärztliche Leistungserbringer, die auf Grundlage privater Behandlungsverträge tätig werden, andererseits fungieren sie als Entscheidungsorgan der staatlichen Unfallversicherungsträger. Aus dieser Doppelfunktion ergibt sich die in dieser Arbeit untersuchte Frage, welche Rechtsnatur (private oder öffentlich-rechtliche) den Tätigkeiten des D-Arztes zukommt, und wer in der Konsequenz für seine Behandlungsfehler haftet - der Staat im Wege der Amtshaftung oder der D-Arzt selbst.»Legal Nature and Liability of the Treatment Provided by Accident Insurance Doctors«: In the accident insurance system of the state, so-called D-doctors are responsible both for providing medical treatment (like any other doctor) and for deciding what type of medical treatment (general or specific) is required for the patient in question. In latter function, they do not only act as doctors, but also as decision-makers for a state institution. This raises the question of which law (private or public) is applicable to their activities and what kind of liability follows from this.
Table of Contents
Section Title | Page | Action | Price |
---|---|---|---|
Vorwort | 7 | ||
Inhaltsverzeichnis | 9 | ||
Einführung | 15 | ||
I. Gegenstand und Ziel der Untersuchung | 15 | ||
II. Gang der Untersuchung | 19 | ||
Kapitel 1: Grundlagen der durchgangsärztlichen Haftung | 21 | ||
A. Das Durchgangsarztverfahren | 21 | ||
I. Historische Entwicklung | 21 | ||
1. Vertrauensarztsystem | 23 | ||
2. Berechtigung zur Übernahme des Heilverfahrens | 24 | ||
3. Verpflichtung zur Sachleistung | 24 | ||
4. Abschaffung der 13-wöchigen Karenzzeit | 27 | ||
5. Abschaffung der Vorleistungspflicht der Krankenkassen | 28 | ||
6. Zusammenfassung | 29 | ||
II. Das heutige Durchgangsarztverfahren | 30 | ||
1. Rechtsgrundlagen | 30 | ||
2. Voraussetzungen für die Beteiligung als Durchgangsarzt | 32 | ||
3. Ablauf des Durchgangsarztverfahrens | 32 | ||
a) Erstversorgung und Vorstellungspflicht der Vertragsärzte | 32 | ||
b) Durchgangsärztliche Aufgaben | 34 | ||
aa) Fachärztliche Untersuchung und Erstversorgung | 35 | ||
bb) Festlegung der Art der Weiterbehandlung | 36 | ||
(1) Grundsätze der allgemeinen Heilbehandlung | 37 | ||
(2) Grundsätze der besonderen Heilbehandlung | 38 | ||
cc) Nachschau | 40 | ||
III. Zwischenergebnis: Die Doppelrolle des Durchgangsarztes | 41 | ||
B. Anwendbarkeit der Amtshaftung für das Fehlverhalten Privater | 43 | ||
I. Der Anwendungsbereich des § 839 Abs. 1 S. 1 BGB i.V.m. Art. 34 GG | 43 | ||
1. Ausübung eines öffentlichen Amts durch eine Privatperson | 46 | ||
a) Materieller Ansatz: Erfüllung einer staatlichen Aufgabe | 46 | ||
b) Formeller Ansatz: Handeln in öffentlicher Rechtsform | 47 | ||
2. Zwischenergebnis: Abhängigkeit des Amtshaftungsanspruchs von der Rechtsnatur der schädigenden Handlung | 51 | ||
II. Konsequenz für die Untersuchung der durchgangsärztlichen Haftung | 52 | ||
Kapitel 2: Die Rechtsnatur der durchgangsärztlichen Weiterbehandlung | 54 | ||
A. Die Bestimmung der Rechtsnatur der ärztlichen Tätigkeit (Regel-Ausnahme-Prinzip) | 55 | ||
I. Regel: Die ärztliche Heilbehandlung als privatrechtliche Betätigung | 57 | ||
1. Die Entwicklung eines partnerschaftlichen Arzt-Patienten-Verhältnisses | 57 | ||
2. Die ärztliche Freiberuflichkeit und ihre öffentlich-rechtliche Funktion | 58 | ||
3. Die Kodifizierung des Behandlungsvertrags | 61 | ||
4. Die Heilbehandlung in öffentlich-rechtlichen Krankenanstalten | 62 | ||
II. Ausnahme: Die Heilbehandlung in Ausübung eines öffentlichen Amtes | 62 | ||
1. Zwangsbehandlungen | 63 | ||
2. Heilbehandlungen in „Sonderrechtsverhältnissen“ | 64 | ||
3. Notärztliche Behandlung | 66 | ||
4. Amtsärztliche und „vertrauensärztliche“ Tätigkeit | 68 | ||
III. Zwischenergebnis | 71 | ||
B. Die Rechtsnatur der Heilbehandlung als sozialversicherungsrechtliche Leistung | 72 | ||
I. Die Rechtsnatur der vertragsärztlichen Leistungserbringung | 73 | ||
1. Inhalt der Sachleistungspflicht | 74 | ||
a) Wortlaut und Gesetzessystematik: echte Dienstleistungspflicht | 74 | ||
b) Historisch bedingte teleologische Reduktion der Sachleistungspflicht? | 75 | ||
aa) Vom Einzelvertragssystem zum Kollektivvertragssystem | 76 | ||
bb) Die Kassenarztkrise in den 30er Jahren – Schaffung der kassenärztlichen Vereinigungen | 79 | ||
cc) Das System der „organisiert freien Arztwahl“ | 81 | ||
c) Zwischenergebnis: Vertragsarztsystem als Festlegung einer Erfüllungsmodalität | 82 | ||
2. Rechtsform der Erfüllung der vertragsärztlichen Leistung | 83 | ||
a) Vertragsärzte als Beamte oder als Beliehene? | 83 | ||
b) Vertragsärztliche Tätigkeit als hoheitliche Leistungskonkretisierung? | 86 | ||
c) Vertragsärztliche Tätigkeit als Verwaltungssubstitution | 87 | ||
3. Verhältnis zu § 76 Abs. 4 SGB V | 89 | ||
a) Meinungsstreit um die Auslegung des § 76 Abs. 4 SGB V | 89 | ||
b) Relevanz des Meinungsstreits für die vorliegende Untersuchung | 91 | ||
c) Stellungnahme | 92 | ||
aa) Rechtshistorische Bedeutung des § 76 Abs. 4 SGB V | 92 | ||
bb) Therapiefreiheit des Vertragsarztes und Selbstbestimmungsrecht des Vertragspatienten | 96 | ||
4. Zwischenergebnis: Behandlungsvertrag zwischen Vertragsarzt und Vertragspatient | 99 | ||
II. Gemeinsamkeiten und Unterschiede der vertragsärztlichen und durchgangsärztlichen Leistungserbringung | 101 | ||
1. Unfallversicherungsträger als „Herren“ des Verfahrens | 101 | ||
2. Rechtliche Stellung der Durchgangsärzte gegenüber den Unfallversicherungsträgern | 104 | ||
a) Durchgangsärzte als Beamte oder Angestellte der Unfallversicherungsträger? | 105 | ||
b) Einschränkung der durchgangsärztlichen Therapiefreiheit gem. § 26 Abs. 5 SGB VII ? | 108 | ||
c) Durchgangsärzte als Freiberufler | 112 | ||
3. Einschränkung der freien Arztwahl | 113 | ||
C. Ergebnis | 117 | ||
Kapitel 3: Die Rechtsnatur der durchgangsärztlichen Erstbehandlung | 119 | ||
A. Die Rechtsnatur der Entscheidung des Durchgangsarztes | 120 | ||
I. Die Entscheidung des Durchgangsarztes als Erfüllung einer öffentlichen Rechtspflicht | 120 | ||
1. Entscheidung als „Maßnahme“ i. S. d. § 34 Abs. 1 S. 1 SGB VII | 121 | ||
2. Andere Bewertung durch Einführung des § 11 Abs. 5 SGB V? | 122 | ||
3. Entscheidung als Bestimmung i. S. d. § 26 Abs. 5 SGB VII | 124 | ||
II. Rechtsform der Erfüllung dieser öffentlichen Rechtspflicht | 125 | ||
1. Durchgangsärztliche Entscheidung als Beleihung? | 125 | ||
2. Durchgangsärztliche Entscheidung als vertrauensärztliche Begutachtung | 127 | ||
III. Zwischenergebnis | 128 | ||
B. Auswirkungen auf die Rechtsnatur der entscheidungsvorbereitenden Heilbehandlungsmaßnahmen | 130 | ||
I. Standpunkte der Rechtsprechung | 130 | ||
1. „Rechtsprechung der doppelten Zielrichtung“ (1974–2008) | 131 | ||
a) Urteil des BGH vom 09.12.1974 (III ZR 131/72) | 131 | ||
b) Urteil des BGH vom 28.06.1994 (VI ZR 153/93) | 132 | ||
c) Beschluss des BGH vom 04.03.2008 (VI ZR 101/07) und Urteil des BGH vom 09.12.2008 (VI ZR 277/07) | 132 | ||
d) Zusammenfassung der Rechtsprechungsgrundsätze | 133 | ||
2. Rechtsprechungsänderung (2016–2020) | 133 | ||
a) Urteile des BGH vom 29.11.2016 (VI ZR 208/15) und vom 20.12.2016 (VI ZR 395/15) | 134 | ||
b) Urteil des BGH vom 10.03.2020 (VI ZR 281/19) | 136 | ||
3. Zusammenfassung und Analyse der geänderten Rechtsprechungsargumentation | 137 | ||
II. Kritische Würdigung der Rechtsprechung | 138 | ||
1. Durchgangsärztliche Erstbehandlung als Erfüllung einer eigenständigen öffentlichen Rechtspflicht | 138 | ||
a) Gesonderte Nennung der „Erstversorgung“ im SGB VII und im Ärztevertrag | 139 | ||
b) D-ärztliche Erstbehandlung als „Maßnahme“ i. S. d. § 34 Abs. 1 S. 1 SGB VII? | 141 | ||
aa) Aufgrund der besonderen Qualifikation des Durchgangsarztes? | 141 | ||
bb) Aufgrund der Beschränkung der freien Arztwahl? | 142 | ||
cc) „Maßnahmen“ i. S. d. § 34 Abs. 1 Satz 1 SGB VII sind rein organisatorischer und verfahrensrechtlicher Art | 143 | ||
c) Zwischenergebnis | 143 | ||
2. Zurechnung der Heilbehandlungsmaßnahmen zur Amtsausübung? | 144 | ||
a) Die Theorie des Sachzusammenhangs | 144 | ||
aa) Hintergrund der Sachzusammenhangstheorie | 145 | ||
(1) Die „Abgrenzung“ von Regelungen und die „Zuordnung“ von schlichten Handlungen | 145 | ||
(2) Zuordnung von Handlungen nach ihrer Zielrichtung | 146 | ||
bb) Kritik an der Formel des „Sachzusammenhangs“ | 147 | ||
b) Rechtsfigur des einheitlichen Haftungsregimes | 148 | ||
aa) Dogmatische Begründung? | 149 | ||
bb) Teleologische Begründung? | 150 | ||
c) Zwischenergebnis | 154 | ||
3. Eigener Ansatz: Inhaltliche Abgrenzung der Pflichtenkreise | 154 | ||
a) Umfang der vom D-Arzt mit der Entscheidung übernommenen Amtspflicht | 155 | ||
aa) Schutzzweck der durchgangsärztlichen Entscheidung | 156 | ||
bb) Missachtung des Schutzzweckzusammenhangs durch Annahme einer „zeitlichen Zäsur“ | 158 | ||
b) Zwischenergebnis | 160 | ||
4. Rechtsfolgenbetrachtung | 161 | ||
a) Konflikt mit arzthaftungsrechtlichen Zurechnungsgrundsätzen | 161 | ||
aa) Wechselwirkung von Befunderhebungs- und Diagnosefehlern | 161 | ||
bb) Unanwendbarkeit des Vertrauensgrundsatzes | 163 | ||
cc) Keine Gesamtschuldnerhaftung infolge des § 839 Abs. 1 S. 2 BGB | 166 | ||
b) Verstoß gegen unfallversicherungsrechtliche Zurechnungsgrundsätze | 168 | ||
aa) Amtshaftung für Behandlungsfehler bei unfallfremden Verletzungen | 168 | ||
bb) Amtshaftung für Behandlungsfehler nicht vertretungsberechtigter Ärzte | 170 | ||
c) Spaltung des Rechtswegs im Regressfall | 171 | ||
aa) Regress gem. Art. 34 Satz 2 GG – Ordentliche Gerichtsbarkeit | 171 | ||
bb) Ersatz der Eigenschäden aus notwendigem Behandlungsmehraufwand – Sozialgerichtsbarkeit | 173 | ||
cc) Keine Gesamtzuständigkeit gem. § 17 Abs. 2 Satz 1 GVG | 174 | ||
d) Zusammenfassung | 174 | ||
5. Fazit | 175 | ||
C. Ergebnis | 176 | ||
Kapitel 4: Zusammenfassung der Ergebnisse | 178 | ||
Literaturverzeichnis | 182 | ||
Stichwortverzeichnis | 192 |