Die Bekämpfung von »Störungen des Wettbewerbs« nach § 32f GWB: Verfassungsrechtliche Einordnung und Kritik
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Die Bekämpfung von »Störungen des Wettbewerbs« nach § 32f GWB: Verfassungsrechtliche Einordnung und Kritik
Tübinger Schriften zum Staats- und Verwaltungsrecht, Vol. 111
(2024)
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Abstract
Der deutsche Gesetzgeber hat im Rahmen der 11. GWB-Novelle dem Bundeskartellamt die Befugnis verliehen, gegen erhebliche und fortwährende Störungen des Wettbewerbs mit beliebigen verhaltens- oder strukturorientierten Maßnahmen einzuschreiten. Dem Amt wird damit Blick auf das gesellschaftliche Funktionssystem »Markt« und dessen Koordinationsmechanismus »Wettbewerb« ein umfassendes Steuerungsinstrument verliehen. Das deutsche Recht kennt kein verwaltungsrechtliches Instrument, das hinsichtlich der Breite (Gesamtheit eines sozialen Funktionssystems), des Regelungsansatzes (Bekämpfung jedweder Störungen durch eine Verwaltungsbehörde) und des Eingriffsinstrumentariums (beliebige Maßnahmen verhaltens- oder strukturbezogener Art) mit der in § 32f Abs. 3 i. V. m. Abs. 5 GWB begründeten Macht des BKartA vergleichbar ist. Die Untersuchung ordnet das neue Instrument verfassungsrechtlich ein und zeigt seine Bedenklichkeit auf.
Table of Contents
Section Title | Page | Action | Price |
---|---|---|---|
Inhaltsverzeichnis | 5 | ||
Gegenstand und Anlass der Studie | 9 | ||
A. Einordnung von § 32f GWB | 12 | ||
I. Marktdesign – Marktregulierung – Marktpolizei | 12 | ||
II. Von der gesetzlichen Festlegung von Verhaltensregeln zur Etablierung behördlicher Designmacht | 15 | ||
III. Staatstheoretische, politische und sozio-kulturelle Grunddifferenzen | 17 | ||
IV. Möglichkeiten und Grenzen des Ausbaus des „administrative state“ | 20 | ||
V. Aufbau und Zielrichtung der Studie | 22 | ||
B. Gesetzgebungsgeschichte | 24 | ||
I. Gesetzgebungsverfahren | 24 | ||
II. Wesentliche Inhalte von § 32f GWB | 28 | ||
1. Feststellung einer Störung des Wettbewerbs | 29 | ||
2. Anordnung von Abhilfemaßnahmen | 32 | ||
3. Verfahrensanforderungen und Rechtsschutz | 34 | ||
C. Verfassungstheoretische Einordnung und Kritik von § 32f GWB | 35 | ||
I. Institutionelle Dimension der Kritik | 35 | ||
1. Behördliche Festlegung von Mustern der Normalität und der Störung des Wettbewerbs | 35 | ||
2. Wertungsgebundenheit der Festlegung des Übergangs von Wettbewerbsnormalität zur Pathologie | 40 | ||
3. Weitreichende Verlagerung von Entscheidungsmacht auf eine Behörde | 43 | ||
4. Kein bloßer „Lückenschluss“ | 44 | ||
II. Instrumentelle Dimension der Kritik | 45 | ||
1. Verlagerung der Entscheidung über die Verhaltensregeln auf eine Behörde | 45 | ||
2. Keine Ex-ante-Erkennbarkeit des verlangten Verhaltens | 47 | ||
III. Funktionalistische Dimension der Kritik | 48 | ||
IV. Ideelle Dimension der Kritik | 51 | ||
1. Staatliche Pathologisierung der Verhältnisse in einem gesellschaftlichen Funktionssystem | 51 | ||
2. Gewährung beliebiger Eingriffsbefugnisse zur Beseitigung von „Störungen“ | 53 | ||
D. Verfassungsrechtliche Defizite | 55 | ||
I. Demokratie- und Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 GG) | 55 | ||
1. Bestimmtheitsgrundsatz | 55 | ||
a) Verfassungsrechtliche Maßstäbe | 56 | ||
aa) Kriterien der Rechtsprechung des BVerfG | 56 | ||
bb) Gesteigerte Anforderungen bei abgeschwächter institutioneller demokratischer Einbindung | 57 | ||
b) § 32f Abs. 3 S. 1 i. V. m. Abs. 5 GWB als blankettartige Ermächtigung ohne inhaltliche Steuerungsqualität | 59 | ||
aa) Befugnisse auf der Rechtsfolgenseite erzwingen einen erheblichen Bestimmtheitsgrad | 60 | ||
bb) Analyse der Steuerungsqualität von § 32f Abs. 3 S. 1 i. V. m. Abs. 5 GWB | 60 | ||
(1) Keine Legaldefinition und keine gesetzliche Konkretisierung | 60 | ||
(2) Keine greifbare tatbestandliche Eingrenzung durch die Topoi nach § 32f Abs. 5 S. 2 GWB | 61 | ||
(3) Keine Eingrenzung der Entscheidungskompetenz nach § 32f Abs. 3 S. 1 GWB durch Regelbeispiele nach § 32f Abs. 5 S. 1 GWB | 63 | ||
(4) Kein wissenschaftlicher Konsens und keine vorfindlichen normativen Standards | 64 | ||
(5) Keine Ex-ante-Orientierungssicherheit durch das Erheblichkeitskriterium | 66 | ||
cc) Verfassungsrechtliche Bewertung | 66 | ||
(1) Fehlende Orientierungssicherheit der Unternehmen schadet dem gesetzgeberischen Ziel | 67 | ||
(2) Höhere Bestimmtheit gesetzgebungstechnisch möglich | 68 | ||
(a) Beschränkung auf enumerativ aufgezählte und belegbar schädliche Szenarien | 68 | ||
(b) Legislative Festlegung qualitativer und quantitativer Maßstäbe eines Schädlichkeitskonzepts („theory of harm“) | 69 | ||
2. Gesetzes- bzw. Wesentlichkeitsvorbehalt | 70 | ||
a) Verfassungsrechtliche Maßstäbe | 70 | ||
b) Wesentlichkeit der Bekämpfung von „Störungen“ des Wettbewerbs im Markt | 72 | ||
c) Gesetzliche Regelungsdichte genügt nicht den Anforderungen des Gesetzesvorbehalts | 73 | ||
aa) Gesetzgeber hätte das Vorliegen einer „Störung“ des Wettbewerbs genauer definieren müssen | 73 | ||
bb) Insbesondere: Gesetzgeber hätte näher festlegen müssen, wann mit Marktmacht eine Störung verbunden ist | 74 | ||
cc) Auswahlentscheidung nach § 32f Abs. 3 S. 2 bis S. 4 GWB hätte normativ determiniert werden müssen | 75 | ||
dd) Gesetzesvorbehalt und Beliebigkeit der in § 32f Abs. 3 S. 6 GWB begründeten Zwangsbefugnisse | 76 | ||
II. Grundrechtliche Freiheitsrechte | 77 | ||
1. Eigentumsgarantie (Art. 14 GG) | 79 | ||
a) Eingriffswirkung der Maßnahmen nach § 32f Abs. 3 GWB | 79 | ||
aa) Gewährleistungsgehalt von Art. 14 Abs. 1 GG | 79 | ||
bb) Zweistufige Grundrechtsbeeinträchtigung | 81 | ||
(1) Designation als potentieller Maßnahmenadressat (§ 32f Abs. 3 S. 2 GWB) | 81 | ||
(2) Erlass von Verpflichtungen nach § 32f Abs. 3 S. 6 und S. 7 GWB | 81 | ||
bb) Maßnahmen nach § 32f Abs. 3 S. 2 GWB und § 32f Abs. 3 S. 6 und S. 7 GWB als Inhaltsbestimmung | 82 | ||
b) Grundrechtswidrigkeit wegen Verletzung des Bestimmtheitsgebots und des Gesetzesvorbehalts | 83 | ||
c) Fehlende Verhältnismäßigkeit | 84 | ||
aa) Unbestimmtheit des gesetzgeberischen Ziels | 85 | ||
bb) Legitimität einer allgemeinen Normalisierung bzw. Pathologisierung gesellschaftlicher Funktionssysteme? | 88 | ||
cc) Bedenken gegen die Regelung über die Designation als potentieller Maßnahmenadressat (§ 32f Abs. 3 S. 2 GWB) | 89 | ||
dd) Unverhältnismäßigkeit der Eingriffs- und Steuerungsbefugnisse nach § 32f Abs. 3 S. 6 und S. 7 GWB | 90 | ||
ee) Unangemessenheit der Regelungen über die Maßnahmenadressaten | 94 | ||
(1) Unangemessene Freiheitsbeeinträchtigung mangels Ex-ante-Erkennbarkeit des verlangten Verhaltens | 95 | ||
(2) Inanspruchnahme aufgrund bloßer Marktmacht | 96 | ||
(3) Inanspruchnahme ohne normative Verantwortlichkeit | 96 | ||
(a) Ausgewählte Fallgruppen einer Inanspruchnahme von Unternehmen ohne normative Verantwortlichkeit | 97 | ||
(b) § 32f Abs. 3 S. 6 und S. 7 GWB erfassen Aufopferungskonstellationen | 99 | ||
(c) § 32f Abs. 3 S. 6 und S. 7 GWB enthält keine Schutzvorkehrungen zugunsten „nicht verantwortlicher“ Unternehmen | 99 | ||
(4) Keine Entschädigungsregel im Fall der Inanspruchnahme nicht verantwortlicher Unternehmen | 100 | ||
2. Unternehmerische Freiheit (Art. 12 GG) | 102 | ||
a) Gewährleistungsbereich des Art. 12 GG | 102 | ||
b) Eingriff | 103 | ||
c) Grundrechtswidrigkeit wegen Verletzung des Bestimmtheitsgebots und des Gesetzesvorbehalts | 105 | ||
d) Möglichkeit der Rechtfertigung | 105 | ||
aa) Verfassungsgerichtliche Maßstäbe | 105 | ||
bb) Designation als potentieller Maßnahmenadressat (§ 32f Abs. 3 S. 2 GWB) | 106 | ||
cc) Unangemessenheit des Eingriffsinstrumentariums des § 32f Abs. 3 S. 6 und S. 7 GWB | 106 | ||
Zusammenfassung der Ergebnisse | 107 | ||
Literaturverzeichnis | 111 | ||
Sachwortverzeichnis | 116 |