Das voluntarium indirectum
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Das voluntarium indirectum
Eine Untersuchung über das Doppelwirkungsprinzip und seine Anwendbarkeit in der Rechtsdogmatik
Recht und Philosophie, Vol. 15
(2024)
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Abstract
Ist es erlaubt, den Tod eines unschuldigen Menschen herbeizuführen, wenn der Todeserfolg nicht beabsichtigt, sondern nur billigend in Kauf genommen wird? Die der scholastischen Moraltheologie entstammende Lehre vom voluntarium indirectum (Prinzip der Doppelwirkung, »PDW«) gestattet die Todesverursachung als Nebenfolge einer intrinsisch neutralen Handlung, sofern die Absicht des Akteurs ausschließlich auf den positiven Effekt gerichtet ist und das vorhergesehene Übel durch einen schwerwiegenden Grund aufgewogen wird. Die vorliegende Arbeit gelangt zum Ergebnis, dass das PDW ein philosophisch überzeugendes Konzept und ein geradezu notwendiges Korrektiv einer jeden deontologischen Ethik darstellt. Weiterhin zeigt sie auf, dass das PDW auch in der Rechtsdogmatik Anwendung finden sollte, um neuralgische Rechtsfragen in Zusammenhang mit der indirekten Sterbehilfe, dem Kollateralschaden im Krieg, dem Flugzeugabschuss und dem Lebensnotstand einer konsistenten Lösung zuzuführen.»Voluntarium indirectum«: The thesis examines the so-called Principle of Double Effect (»PDE«) based on the question whether it is permissible to cause the death of an innocent person if the death is the unintended side effect of an intrinsically neutral act. It comes to the conclusion that the PDE is a philosophically convincing concept and should also be applied in legal doctrine in order to consistently resolve cases such as indirect euthanasia, collateral damage and the shooting down of an aeroplane.
Table of Contents
Section Title | Page | Action | Price |
---|---|---|---|
Vorwort | 5 | ||
Inhaltsverzeichnis | 7 | ||
Abkürzungsverzeichnis | 13 | ||
Einleitung | 15 | ||
A. Die indirekte Sterbehilfe: ein strafrechtsdogmatischer Fremdkörper | 19 | ||
I. Der Grundsatz des absoluten Lebensschutzes | 19 | ||
1. Menschenwürdegarantie und Objektformel | 22 | ||
2. Herleitung und Dimensionen des Tötungsverbots | 25 | ||
a) Opferperspektive und Täterperspektive | 25 | ||
b) Der scholastische Ansatz: Lebensrecht als Ausfluss des Tötungsverbots | 27 | ||
3. Der Grundsatz des absoluten Lebensschutzes im Verfassungsrecht und Strafrecht | 29 | ||
4. Die faktischen Durchbrechungen | 33 | ||
II. Die dogmatische Legitimation der indirekten Sterbehilfe | 36 | ||
1. Die Aporie der Rechtfertigungslösungen | 38 | ||
a) Defekte der Notstandslösung und Einwilligungslösung | 39 | ||
aa) Die Unabwägbarkeit des Lebensrechts | 39 | ||
bb) Keine Anwendbarkeit des § 34 StGB auf denselben Rechtsgutträger | 41 | ||
cc) Hauptargumente gegen die Rechtfertigungslösungen | 44 | ||
b) Die modifizierte Einwilligungslösung nach Duttge | 46 | ||
2. Die Aporie der Tatbestandslösungen | 49 | ||
a) Erlaubtes Risiko, fehlender Tötungsvorsatz und sozialer Sinngehalt | 49 | ||
b) Defekte der Tatbestandslösung | 51 | ||
aa) Forensische Nachweisprobleme | 51 | ||
bb) Der Vorwurf der Gesinnungsstrafbarkeit | 53 | ||
cc) Die Direkt / Indirekt-Unterscheidung als dogmatischer Fremdkörper | 55 | ||
3. Indirekte Sterbehilfe und Doppelwirkungsprinzip | 57 | ||
B. Das voluntarium indirectum im scholastischen System | 62 | ||
I. Die vier Voraussetzungen | 62 | ||
II. Die historischen Ursprünge bei Thomas von Aquin | 67 | ||
1. Die Quellen der Moralität: Objekt, Umstände, Zweck | 67 | ||
a) Der actus humanus als Grundbedingung der Moralität | 67 | ||
b) Die moralische und ontische Dimension des actus humanus | 73 | ||
aa) Ontologische und ontische Qualitäten | 73 | ||
bb) Der finis naturalis im menschlichen Lebensvollzug | 75 | ||
cc) Technische Qualitäten | 76 | ||
c) Die wesenskonstitutive Funktion des Handlungsobjekts | 78 | ||
aa) Objekt und Umstände, Substanzen und Akzidenzien | 79 | ||
bb) Die Abgrenzung von Objekt und Umstand | 81 | ||
cc) Finis operis und finis operantis | 84 | ||
dd) Der äußere Handlungsvollzug als Indikator des finis operis | 89 | ||
d) Die physizistische Fehldeutung des Handlungsobjekts | 91 | ||
aa) Die Verdinglichung des Handlungsobjekts | 91 | ||
bb) Die Gleichsetzung von finis operis, finis naturalis und operatum | 97 | ||
cc) Die Verengung des finis auf den finis operantis in der Tradition Abaelards | 102 | ||
e) Die sittliche Relevanz der Umstände und Nebenwirkungen | 107 | ||
f) Die Moralität der Handlung in sämtlichen Elementen | 110 | ||
2. Das Notwehrbeispiel | 114 | ||
a) Die intrinsische Immoralität der Tötungshandlung | 114 | ||
b) Notwehrtötung als indirekte Todesverursachung? | 121 | ||
III. Der Streit um die naturnotwendigen Handlungsfolgen | 127 | ||
1. Die Methode der Mentalrestriktion | 127 | ||
a) Varianten der Mentalrestriktion bei Cajetan, Kramer und Grisez | 128 | ||
b) Gegenargumente bei Thomas von Aquin | 134 | ||
c) Tradition und Lehramt | 139 | ||
2. Die Objektzugehörigkeit der naturnotwendigen Handlungsfolgen in Anwendung auf das Notwehrbeispiel | 145 | ||
a) Die Natur der Abwehrhandlung | 145 | ||
b) Perspektiven der direkten Notwehrtötung | 147 | ||
c) Mentalrestriktion bei Rhonheimer | 150 | ||
3. Der Umfang der naturnotwendigen Handlungsfolgen | 152 | ||
a) Die Anknüpfung an die Handlungsgattung oder die individuelle Handlung | 152 | ||
b) Der Einbezug einzelfallbedingter Effekte in das Handlungsobjekt bei Scholz | 156 | ||
c) Das Handlungsobjekt zwischen Intention und Wesenswirkung | 160 | ||
IV. Die vier Voraussetzungen im Lichte der scholastischen Handlungstheorie | 164 | ||
1. Die indirekten Nebenfolgen der aktiven Handlung | 164 | ||
a) Erste Voraussetzung: die Handlung „in sich“ | 165 | ||
b) Zweite Voraussetzung: die Intention | 168 | ||
c) Dritte Voraussetzung: die Zweck-Mittel-Relation | 172 | ||
d) Vierte Voraussetzung: die Abwägung der Handlungsfolgen | 176 | ||
e) Die Erfüllung der vier Voraussetzungen | 179 | ||
2. Die indirekten Nebenfolgen der Unterlassung | 182 | ||
a) Voraussetzungen der Unterlassung | 182 | ||
b) Die Unterlassung als Akzidens der aktiven Handlung | 187 | ||
c) Sonderfragen der Unterlassung | 191 | ||
aa) Unterlassen durch Tun | 191 | ||
bb) Sittliche Mindergravidität der Unterlassung | 192 | ||
3. Grenzfälle des indirekten Handelns | 194 | ||
a) Die Behandlung der Eileiterschwangerschaft | 196 | ||
aa) Die Rechtfertigung der Salpingektomie durch Bouscaren | 196 | ||
bb) Die tugendethische Ansatz Rhonheimers | 201 | ||
b) Auswege aus dem doppelten Lebensnotstand | 205 | ||
aa) Das Kind als ungerechter Angreifer | 205 | ||
bb) Die Anwendung des Totalitätsprinzips | 207 | ||
c) Die Hingabe des eigenen Lebens | 209 | ||
aa) Die Überdehnung der indirekten Selbsttötung | 210 | ||
bb) Die intrinsische Qualität des Lebensopfers | 213 | ||
C. Das voluntarium indirectum in der teleologischen Moraltheologie | 215 | ||
I. Das Naturrecht in teleologischer Kritik | 215 | ||
1. Absolute und relative Verbotsnormen | 216 | ||
2. Die historische Dekonstruktion | 219 | ||
3. Die ontische Gütermaximierung als Grundprinzip der Ethik | 222 | ||
a) Die Negation des „intrinsece malum“ | 222 | ||
b) Das Kriterium der Selbstwidersprüchlichkeit als Schwundstufe der intrinsischen Moralität | 228 | ||
c) Die Relevanz von Intention und Gesinnung | 233 | ||
4. Das „rechtverstandene Prinzip der Doppelwirkung“ nach Knauer | 237 | ||
a) Die Knauersche Umdeutung der Begriffe | 237 | ||
aa) Finis operis und finis operantis | 237 | ||
bb) Direkt und indirekt | 241 | ||
b) Eckpfeiler des Knauerschen Doppelwirkungsprinzips | 243 | ||
aa) Das Doppelwirkungsprinzip als Universalprinzip | 244 | ||
bb) Selbstwidersprüchlichkeit statt Güterabwägung | 245 | ||
II. Naturwidrigkeit und Vernunftwidrigkeit als Kriterien der intrinsischen Immoralität | 248 | ||
1. Sittlichkeit als ontische Vollkommenheit der Person | 249 | ||
2. Die natürliche Erkennbarkeit des Sittengesetzes | 251 | ||
3. Grenzen der spekulativen Selbstanalyse | 254 | ||
4. Der unmittelbare Zugang zum natürlichen Sittengesetz | 259 | ||
a) Die normative Kraft der inclinationes naturales und die Erkenntnis des spezifisch Humanen | 260 | ||
b) Die Engführung der Neuen Naturrechtstheorie | 265 | ||
5. Antworten auf den Essentialismus-Vorwurf | 272 | ||
a) Die einfache und doppelte Naturwidrigkeit bei Thomas von Aquin | 272 | ||
b) Die Enzyklika „Veritatis splendor“ | 275 | ||
6. Das autonomistische Paradoxon | 277 | ||
a) Grundzüge der autonomen Moral | 277 | ||
b) Teleologische Moral als verkappter Essentialismus | 281 | ||
D. Die Rezeption des Doppelwirkungsprinzips in der säkularen Ethik | 286 | ||
I. Die Trolley-Kasuistik | 286 | ||
1. Die Originalfassung von Foot | 287 | ||
2. Die Variationen von Thomson | 290 | ||
II. Die Verkennung des Handlungsobjekts | 294 | ||
1. Die Unsicherheiten des Closeness-Kriteriums: Bennett, Davis und Marquis | 294 | ||
2. Das kausalmechanistische Fehlverständnis der Direkt-Indirekt-Unterscheidung: Birnbacher, Kuhse und Hart | 298 | ||
3. Die Überbetonung der Intention: Bennett und Steinhoff | 302 | ||
III. Di Nuccis „Ethics without Intention“ | 307 | ||
1. Die Verwechslung von Handlung und Geschehensablauf | 308 | ||
2. Die Abgrenzung von Handlung und Handlungsfolge | 309 | ||
a) Der „conterfactual test“ | 309 | ||
b) Untaugliche Lösungen für das Closeness-Problem: Bennett und Bratman | 311 | ||
3. Das geringfügig schlechte Mittel zum Zweck | 313 | ||
IV. Das Doppelwirkungsprinzip und der Kantianismus | 315 | ||
1. Das Doppelwirkungsprinzip als praktischer Kantianismus: Quinn | 316 | ||
a) Verzweckungsverbot und Selbstzweckhaftigkeit | 316 | ||
b) Kritik bei Marquis und von der Pfordten | 318 | ||
2. Das Verbot der indirekten Instrumentalisierung | 321 | ||
E. Die philosophische Berechtigung des Doppelwirkungsprinzips | 325 | ||
I. Konsistenz | 325 | ||
II. Ein Mittelweg zwischen Konsequentialismus und Kantianismus | 326 | ||
1. Defekte des Konsequentialismus | 328 | ||
2. Das deontologische Paradoxon | 330 | ||
III. Jenseits der Handlungsfolgen | 331 | ||
F. Die Anwendung des voluntarium indirectum in der Rechtsdogmatik | 334 | ||
I. Der Kollateralschaden im Kriegsvölkerrecht | 334 | ||
1. Diskriminierungsprinzip und Proportionalitätsprinzip | 336 | ||
2. Merkmale der unerlaubten Kampfhandlung | 339 | ||
II. Problemkreise der Strafrechtsdogmatik | 342 | ||
1. Die Gleichwertigkeit der strafrechtlichen Vorsatzformen | 343 | ||
a) Die Weite des strafrechtlichen Vorsatzbegriffs und ihre Defekte | 344 | ||
aa) Der Lacmannsche Schießbudenfall und die Vorsätzlichkeit des unerwünschten Handlungseffekts | 345 | ||
bb) Der eventualvorsätzliche Versuch | 347 | ||
cc) Die Vorsätzlichkeit des voluntarium indirectum | 349 | ||
b) Der dolus indirectus und seine Nutzbarkeit für die Abgrenzung von Vorsatz und Fahrlässigkeit | 351 | ||
aa) Historische Bedeutung und moderne Rezeption des dolus indirectus in der Lehre von der Vorsatzgefahr | 351 | ||
bb) Nutzbarkeit des dolus indirectus für die Abgrenzung von Vorsatz und Fahrlässigkeit? | 355 | ||
2. Die Restriktionen der objektiven Zurechnung bei sozialadäquaten Tathandlungen | 358 | ||
a) Unglück und Unrecht | 359 | ||
b) Erlaubtes Risiko | 361 | ||
aa) Erlaubtes Risiko und statistische Gefährlichkeit | 362 | ||
bb) Sozialadäquanz trotz Schädigungsabsicht? | 364 | ||
c) Risikoverringerung | 367 | ||
aa) Risikoverringerung und Einwilligung bei indisponiblen Rechtsgütern | 367 | ||
bb) Die Berücksichtigung von Reserveursachen | 370 | ||
d) Beihilfe durch neutrales Verhalten | 373 | ||
3. Die normative Differenz zwischen Handlung und Unterlassung | 378 | ||
a) Die rechtfertigende Einwilligung in das Sterbenlassen | 381 | ||
b) Die Durchbrechung des Abwägungsverbots am Lebensende | 385 | ||
c) Der Vorrang der Unterlassungspflicht im Rahmen der Pflichtenkollision | 388 | ||
aa) Die rechtfertigende Pflichtenkollision im Deliktsaufbau | 388 | ||
bb) Der Vorrang des Tötungsverbots vor der Rettungspflicht | 392 | ||
d) Unterlassen durch Tun | 394 | ||
aa) Die Abschaltung des Beatmungsgeräts | 395 | ||
bb) Die Ex-post-Triage | 399 | ||
4. Zwischenergebnis: Die Restriktionen des subjektiven und objektiven Tatbestandes | 402 | ||
5. Auswege aus dem Lebensnotstand | 404 | ||
a) Die Abwägung „Leben gegen Leben“ | 405 | ||
aa) Symmetrische und asymmetrische Gefahrengemeinschaften | 406 | ||
bb) Reduziertes Lebensinteresse und mutmaßliche Einwilligung | 408 | ||
b) Die Ausweitung des Notwehrrechts: Defensivnotstand und Verstrickung | 411 | ||
aa) Der Defensivnotstand | 411 | ||
bb) Der Kollateralschaden der Notwehrhandlung | 416 | ||
c) Die Ausweitung der normativen Unterlassung | 421 | ||
III. Der Flugzeugabschuss | 424 | ||
1. Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts | 425 | ||
a) Die kollidierenden Pflichten des Hoheitsträgers | 426 | ||
b) Strafrechtsdogmatische Notstandserwägungen | 427 | ||
aa) „Teil der Waffe“ | 427 | ||
bb) Reduziertes Lebensinteresse und freiwilliges Lebensopfer | 429 | ||
2. Der Flugzeugabschuss als zulässiger Kollateralschaden | 432 | ||
a) Die Wertungen des Kriegsvölkerrechts | 432 | ||
b) Der Flugzeugabschuss im Lichte des Doppelwirkungsprinzips | 433 | ||
aa) Der Tod der Passagiere als „Mittel“ der Rettung | 434 | ||
bb) Die Zweckentfremdung des Zivilflugzeugs | 435 | ||
c) Die Engführung bei von Schirach | 438 | ||
G. Zusammenfassung und Ausblick: Die Integration des voluntarium indirectum | 440 | ||
I. Eine subjektive Komponente? | 440 | ||
II. Vorteile und Anwendungsbereiche des Doppelwirkungsprinzip | 442 | ||
1. Der Lebensnotstand | 442 | ||
2. Die Glättung strafrechtsdogmatischer Friktionen | 444 | ||
III. Das Doppelwirkungsprinzip im Deliktsaufbau | 447 | ||
Literaturverzeichnis | 449 | ||
Sachwortverzeichnis | 483 |