Die institutionelle Stellung des Staatsanwalts im Strafverfahren und deren Auswirkung auf die Möglichkeit der Befangenheit
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Die institutionelle Stellung des Staatsanwalts im Strafverfahren und deren Auswirkung auf die Möglichkeit der Befangenheit
Schriften zum Prozessrecht, Vol. 304
(2024)
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Hendrik Nowak studierte Rechtswissenschaften an der Universität Osnabrück. Im Rahmen des ersten Staatsexamen spezialisierte er sich im universitären Schwerpunktfach »Deutsches und Europäisches Wirtschaftsstrafrecht«. Nach Abschluss des ersten Staatsexamens promovierte er an der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel zum Thema der institutionellen Stellung des Staatsanwalts im Strafverfahren. Hendrik Nowak war zunächst promotionsbegleitend als wissenschaftlicher Mitarbeiter in einer großen wirtschaftsberatenden Sozietät in Düsseldorf tätig und absolvierte sodann ebenfalls promotionsbegleitend sein Referendariat am Oberlandesgericht Düsseldorf. Seit 2024 ist Hendrik Nowak in einer führenden internationalen Großkanzlei als Rechtsanwalt tätig.Abstract
Die Arbeit untersucht die institutionelle Rolle und insbesondere die Objektivitätspflicht der Staatsanwaltschaft im deutschen Strafprozess. Ausgehend von der normativen Verankerung der Objektivitätspflicht, werden die Konsequenzen einer möglichen Befangenheit der Staatsanwälte thematisiert. Die Arbeit analysiert hierzu die historische Entwicklung der Staatsanwaltschaft und deren verfassungsrechtliche Stellung, wobei die psychologischen Konflikte, die durch die doppelte Rolle des Staatsanwalts als Strafverfolger und objektives Organ entstehen, herausgearbeitet werden. Durch Literatur- und Rechtsprechungsanalysen sowie Rechtsvergleiche wird verdeutlicht, dass die aktuelle Gesetzeslage die Gefahr der institutionellen Voreingenommenheit des Staatsanwalts nicht ausreichend adressiert. Abschließend zeigt die Arbeit konkrete Vorschläge zur Gesetzesreform und Verfahrensänderungen auf, die die Objektivität der Staatsanwaltschaft und somit die Fairness des Strafprozesses stärken.»The Institutional Position of the Public Prosecutor in Criminal Proceedings and Its Impact on the Possibility of Bias«: This thesis examines the dual role of public prosecutors as both prosecutors and impartial officials in criminal proceedings. It explores historical, constitutional, and psychological aspects of bias. The study also develops practical solutions to reform existing laws, aiming to enhance impartiality and fairness in criminal proceedings. The goal is to improve the integrity of judicial investigations and ensure a fair and unbiased legal process.
Table of Contents
Section Title | Page | Action | Price |
---|---|---|---|
Vorwort | 5 | ||
Inhaltsverzeichnis | 7 | ||
Einleitung und Gang der Untersuchung | 13 | ||
A. Einleitung | 13 | ||
B. Gang der Untersuchung | 14 | ||
1. Kapitel: Meinungsstand über die Annahme der Befangenheit des Staatsanwalts | 15 | ||
A. Die Pflicht des Staatsanwalts zur Wahrung der Objektivität | 15 | ||
I. Literatur | 16 | ||
II. Rechtsprechung | 17 | ||
III. Zwischenfazit | 18 | ||
B. Meinungsstand: Ausschluss und Ablehnung des befangenen Staatsanwalts | 19 | ||
I. Ausschluss und Ablehnung des Staatsanwalts in der Literatur | 19 | ||
1. Meinungsstand: Wann ist ein Staatsanwalt befangen? | 19 | ||
a) §§ 22ff. StPO analog | 20 | ||
aa) § 22 Nr. 1 bis 3 StPO | 20 | ||
bb) § 22 Nr. 4 und Nr. 5 StPO | 21 | ||
cc) § 23 StPO | 22 | ||
dd) § 24 Abs. 2 StPO | 23 | ||
b) Begründung über das Verwaltungsverfahrensgesetz nach §§ 20ff. VwVfG | 26 | ||
c) Angepasster Katalog nach § 7 NdsAGGVG | 27 | ||
d) Angepasster Katalog nach §§ 22ff. StPO | 28 | ||
e) Zwischenfazit – Uneinheitliches Meinungsbild mit Klärungsbedarf | 29 | ||
2. Meinungsstand: Gibt es einen verfahrensrechtlichen Anspruch auf die Beendigung der Mitwirkung eines befangenen Staatsanwalts? | 30 | ||
a) Kein subjektiver Anspruch | 30 | ||
b) Subjektiver Anspruch des Betroffenen auf Auswechslung | 30 | ||
3. Geltendmachung und Durchsetzung des subjektiven Anspruchs | 32 | ||
a) Anwendung der §§ 22ff. StPO | 32 | ||
b) Meldung zum Dienstvorgesetzten | 34 | ||
aa) Keine gerichtliche Überprüfungsmöglichkeit der Entscheidung des Dienstvorgesetzten | 35 | ||
bb) Pro Rechtsweg über §§ 23ff. EGGVG | 37 | ||
cc) Lösung über das VwVfG | 39 | ||
c) Zwischenfazit – Uneinigkeit bei Abwehrmöglichkeiten | 39 | ||
II. Ausschluss und Ablehnung des Staatsanwalts in der Rechtsprechung | 40 | ||
1. BGH-Entscheidungen in den 60er Jahren | 40 | ||
2. OLG Hamm, Beschl. v. 24.10.1968 ‒ 1 VAs 142/68 | 41 | ||
3. OLG Stuttgart, Urteil v. 01.04.1974 ‒ 3 Ss 33/74 | 42 | ||
4. OLG Karlsruhe, Beschl. v. 11.01.1974–3 VAs 18/73 | 43 | ||
5. BVerfG, Beschl. v. 24.04.1978–1 BvR 425/77 | 44 | ||
6. BGH, Urteil v. 25.09.1979 ‒ 1 StR 702/78 | 44 | ||
7. Landgericht Mönchengladbach, Beschl. v. 27.03.1987 ‒ 12 KLs 12/85 | 45 | ||
8. Die Rechtsprechung seit 2000 bis heute | 46 | ||
9. Zusammenfassung der Rechtsprechung | 46 | ||
III. Gesetzesentwürfe und Vorschläge | 48 | ||
1. Niedersachsen | 48 | ||
2. Baden-Württemberg | 49 | ||
3. Berlin | 49 | ||
4. Sachsen-Anhalt | 50 | ||
5. Zwischenfazit | 51 | ||
C. Zusammenfassung und Bewertung der aktuellen Behandlung der Befangenheit des Staatsanwalts | 52 | ||
2. Kapitel: Die Entwicklung der institutionellen Verfahrensrolle des Staatsanwalts und ihre heutige Einordnung | 55 | ||
A. Entwicklung der Staatsanwaltschaft in Deutschland bis zur NS-Zeit | 55 | ||
I. Der Inquisitionsprozess | 55 | ||
II. Der Anfang der Staatsanwaltschaft | 57 | ||
III. Deutsches Reich 1871 | 60 | ||
1. Entwürfe der Reichsstrafprozessordnung | 60 | ||
2. Umsetzung der Reichsstrafprozessordnung | 61 | ||
3. Entwurf und Umsetzung des GVG | 63 | ||
IV. Die Entwicklungen durch die Strafrechtsreformkommission 1905 | 64 | ||
V. Entwurf der neuen StPO 1909 | 65 | ||
VI. Reformpläne 1918 bis 1923 | 66 | ||
VII. Emminger-Verordnung 1924 | 67 | ||
VIII. Die Diskussion Ende der zwanziger Jahre | 68 | ||
B. Die Rolle des Staatsanwalts im Nationalsozialismus | 70 | ||
C. Die Entwicklung des Staatsanwalts in der Bundesrepublik Deutschland | 73 | ||
I. Vereinheitlichungsgesetz von 1950 | 73 | ||
II. Strafprozessreform 1975 | 74 | ||
D. Fazit: Die Staatsanwaltschaft als Korrektiv zur Objektivitäts- und Fairnesswahrung | 75 | ||
3. Kapitel: Die verfassungsrechtliche Stellung des Staatsanwalts und die daraus resultierende Stellung im Strafprozess | 77 | ||
A. Einordnung der Staatsanwaltschaft im Rahmen der Gewaltenteilung | 77 | ||
I. Einordnung auf der Grundlage eines materiellen Verständnisses | 78 | ||
1. Einordnung in die Judikative | 78 | ||
2. Einordnung in die Exekutive | 79 | ||
a) Rechtsprechung | 79 | ||
b) Literatur | 80 | ||
c) Einordnung in die Exekutive als Organ „sui generis“ | 81 | ||
II. Einordnung auf der Grundlage des strukturellen Verständnisses (Koller) | 82 | ||
III. Das strukturelle Verständnis als geeignetes Einordnungskriterium | 83 | ||
IV. Die Auswirkungen der verfassungsrechtlichen Stellung auf die Pflichten des Staatsanwalts auf Ermittlungs- und Hauptverfahren | 84 | ||
1. Die Begründung der Objektivitätspflicht im Ermittlungsverfahren gem. § 160 Abs. 2 StPO | 84 | ||
2. Begründung der Objektivitätspflicht auch im Hauptverfahren | 85 | ||
a) Objektivitätspflicht aus der Strafprozessordnung | 85 | ||
b) Objektivitätspflicht aus allgemeinen Verfahrensgrundsätzen | 86 | ||
c) Stellungnahme: Keine Herleitung aus der StPO und kein Rückgriff auf verfassungsrechtliche Grundsätze | 87 | ||
d) Die Anwendbarkeit von § 33 BeamtStG bzw. § 60 BBG | 89 | ||
aa) Die dienstrechtliche Stellung des Staatsanwalts | 89 | ||
bb) Anwendungsbereich und Regelungsgehalt der § 33 BeamtStG bzw. § 60 BBG | 90 | ||
cc) Auswirkungen auf die Pflichten des Staatsanwalts | 91 | ||
3. Fazit: Der Staatsanwalt als stets zur Objektivität verpflichteter Exekutivbeamter | 93 | ||
B. Objektivitätspflicht im Konflikt: Die Doppelrolle des Staatsanwalts | 94 | ||
I. Die Stellung des Staatsanwalts im Strafverfahren | 94 | ||
1. Die Stellung als Herrin des Verfahrens im Ermittlungsverfahren | 95 | ||
a) Einstellungsmöglichkeiten der Staatsanwaltschaft | 95 | ||
b) Ermittlungsbefugnisse der Staatsanwaltschaft | 96 | ||
2. Der Staatsanwalt als Anklagevertreter im Hauptverfahren | 96 | ||
II. Die Objektivitätspflicht im Konflikt mit der institutionellen Voreingenommenheit – der Strafprozess als faktischer Parteiprozess? | 98 | ||
1. Psychologische Einflussnahme durch Verlesen und Vertreten der Anklage unter Berücksichtigung der alleinigen Entscheidungsmacht des Richters | 99 | ||
2. Die institutionelle Perspektivität als Konsequenz der Ausgestaltung des Hauptverfahrens | 100 | ||
3. Der Strafprozess im Vergleich zwischen der normativen „Ist-Situation“ und der tatsächlichen „Ist-Situation“ des Staatsanwalts | 101 | ||
a) Die normative „Ist-Situation“ des Strafprozesses | 101 | ||
b) Die Analyse der tatsächlichen „Ist-Situation“ des Strafprozesses vor dem Hintergrund der möglichen institutionellen Parteistellung des Staatsanwalts | 104 | ||
aa) Der Parteiprozess allgemein | 104 | ||
bb) Einordnung des Zivilprozesses | 105 | ||
cc) Einordnung des Verwaltungsprozesses | 106 | ||
dd) Einordnung des Strafprozesses | 106 | ||
(1) Grundlagen des Strafprozesses | 106 | ||
(2) Ablauf des Strafprozesses | 107 | ||
(3) Ziele des Strafprozesses | 108 | ||
(4) Zwischenfazit | 109 | ||
ee) Der Strafprozess im Vergleich zum Zivilprozess | 110 | ||
(1) Unterschiedliches Ziel und unterschiedlicher Gegenstand | 110 | ||
(2) Der Staat als Leitfigur des Strafprozesses | 111 | ||
(3) Keine Disposition | 111 | ||
(4) Zwischenfazit | 112 | ||
ff) Der Strafprozess im Vergleich zum Verwaltungsprozess | 112 | ||
c) Zwischenfazit: Der Strafprozesses ist kein Parteiprozess | 113 | ||
4. Der Inertia-Effekt: Die Unmöglichkeit der Umsetzung der dem Staatsanwalt normativ zugeschriebenen Rolle als objektiver Strafverfolger | 114 | ||
a) Der Inertia-Effekt | 114 | ||
b) Die Übertragbarkeit des Inertia-Effektes auf die Tätigkeit des Staatsanwalts | 115 | ||
c) Der Inertia-Effekt in der juristischen Literatur | 117 | ||
d) Auswirkung auf die aktuelle Gesetzeslage | 118 | ||
5. Rechtsvergleich | 120 | ||
a) Rechtsvergleich mit der Schweiz | 120 | ||
b) Rechtsvergleich mit den USA | 122 | ||
aa) Stellung des Staatsanwalts im amerikanischen Strafprozess | 122 | ||
bb) Die Befangenheit des Staatsanwalts im amerikanischen Strafprozess | 122 | ||
cc) Fazit: Keine Duldung der Befangenheit trotz adversatorischer Prozessgestaltung | 124 | ||
C. Zusammenfassung: der Staatsanwalt als theoretisches Idealbild unter Vernachlässigung der tatsächlichen „Ist-Situation“ | 125 | ||
4. Kapitel: Lösungsvorschlag zur praktischen Handhabung des befangenen Staatsanwalts | 127 | ||
A. Gesetzliche Anknüpfungspunkte zur Bewertung eines befangenen oder befangen erscheinenden Staatsanwalts | 127 | ||
I. Eingeschränkte Übertragbarkeit der §§ 22ff. StPO | 127 | ||
1. Maßstab der §§ 22ff. StPO | 128 | ||
a) § 22 Nr. 1 bis 3 StPO | 129 | ||
b) Vortätigkeit des Richters nach § 22 Nr. 4 StPO | 131 | ||
c) Vernehmung als Zeuge oder Sachverständiger, § 22 Nr. 5 StPO | 133 | ||
d) Ausschließung eines Richters wegen Mitwirkung an der angefochtenen Entscheidung, § 23 StPO | 134 | ||
2. (Besorgnis der) Befangenheit nach § 24 StPO | 135 | ||
a) Objektive Umstände | 135 | ||
b) Subjektive Umstände | 136 | ||
aa) Persönliche Einstellungen des Richters | 136 | ||
bb) Vorbefassung und Wertung | 137 | ||
cc) Äußerungen und weiteres Verhalten | 138 | ||
c) Übertragung auf den Staatsanwalt | 139 | ||
aa) Struktureller Unterschied zwischen Judikative und Exekutive | 139 | ||
bb) Übertragung des § 24 Abs. 2 StPO auf den Staatsanwalt unter Berücksichtigung der strukturellen Unterschiede zwischen Judikative und Exekutive | 140 | ||
II. Fazit: Eingeschränkte Übertragbarkeit der §§ 22ff. StPO als Indikator für einen neuen Lösungsweg | 141 | ||
B. Appell an den Gesetzgeber: Schaffung gesetzlicher Befangenheitsregelungen | 142 | ||
C. Verfahrensänderungen im Ermittlungs- und Hauptverfahren | 143 | ||
I. Die Sicherstellung eines objektiven Ermittlungsverfahren durch Anpassung der Verfahrensstruktur | 143 | ||
1. Änderung der Verfahrensstruktur aufgrund des Prinzips der Waffengleichheit gem. Art. 6 Abs. 1 EMRK | 144 | ||
a) Prinzip der Waffengleichheit allgemein | 144 | ||
aa) Gleichwertige Verteidigerrechte | 145 | ||
bb) Erweiterung der Rechte bei Zeugenvernehmungen | 146 | ||
(1) Aktuelle Situation | 147 | ||
(2) Verbesserung durch kontradiktorische Vernehmung | 148 | ||
(3) Befugnis zum Aussagezwang | 150 | ||
cc) Stärkung des Beweisantragsrechts | 151 | ||
b) Zwischenfazit: Die Stärkung der Verteidigerrechte als notwendiges Korrelat zur aktuellen Verfahrensgestaltung | 152 | ||
2. Anpassung der Richterrolle im Ermittlungsverfahren | 153 | ||
Exkurs: Anpassung an die Europäische Staatsanwaltschaft | 154 | ||
3. Fazit: Herstellung einer Balance zwischen Staatsanwalt und Verteidiger im Sinn des fairen Verfahrens | 155 | ||
II. Verfahrensänderungen für das Hauptverfahren | 156 | ||
1. Parteiähnliche Stellung im Hauptverfahren | 157 | ||
2. Bestehende Prozessgrundsätze vor dem Hintergrund des adversatorischen Ermittlungsverfahrens | 157 | ||
a) Recht auf ein faires Verfahren gem. Art. 6 Abs. 1 EMRK, Art. 20 Abs. 3 GG | 158 | ||
aa) Das Recht auf ein faires Verfahren allgemein | 158 | ||
bb) Konkretisierung durch die Objektivitätspflicht des Staatsanwalts | 159 | ||
b) Materielle Wahrheitsfindung | 160 | ||
3. Gestaltungsvorschlag | 161 | ||
a) Kontradiktorische Beweisaufnahme durch Staatsanwalt und Verteidiger | 161 | ||
aa) Rolle des Staatsanwalts durch gesetzlich legitimierte Einseitigkeit | 162 | ||
bb) Inquisitorische Handlungsmöglichkeiten des Richters | 163 | ||
b) Vernehmung des Angeklagten | 164 | ||
c) Die Eignung des Vorschlags für das strafprozessuale Ziel der Wahrheitsfindung | 166 | ||
III. Zwischenfazit: Verfahrensoptimierung durch das Zusammenbringen von inquisitorischer und adversatorischer Prozessform | 167 | ||
D. Gesamtfazit | 168 | ||
E. Ausblick | 169 | ||
Literaturverzeichnis | 171 | ||
Anhang | 183 | ||
Sachwortverzeichnis | 199 |