Der Schutz von Rechtsgütersicherheit als Leitgedanke bei der Auflösung von Lebensnotstandskonstellationen
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Der Schutz von Rechtsgütersicherheit als Leitgedanke bei der Auflösung von Lebensnotstandskonstellationen
Strafrechtliche Abhandlungen. Neue Folge, Vol. 325
(2025)
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Marius Kottmann studierte Rechtswissenschaft mit Schwerpunkt im Strafrecht an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf (HHU). Nach Abschluss des ersten Staatsexamens im Jahr 2017 arbeitete er als Wissenschaftlicher Mitarbeiter und Doktorand am Lehrstuhl für Strafrecht und Strafprozessrecht von Prof. Dr. Helmut Frister in Düsseldorf. Im August 2022 nahm er den juristischen Vorbereitungsdienst im Bezirk des OLG Düsseldorf auf, mit Stationen beim Landgericht Wuppertal, der Staatsanwaltschaft Wuppertal, der NRW.BANK sowie in den Kanzleien Freshfields Bruckhaus Deringer und PARK Wirtschaftsstrafrecht.Abstract
Noch immer wird die Rechtfertigung aktiver Rettungstötungen »Unschuldiger« im Lebensnotstand verbreitet kategorisch abgelehnt. Stutzig machen anschließend überaus bereitwillig erklärte Zugeständnisse von Straflosigkeit. Teils werden kurz zuvor für rechtswidrig erklärte Rettungstötungen, in sich widersprüchlich, für wünschenswert erklärt. Rechtfertigungslösungen kranken teils daran, dass unausgesprochene Prämissen der Gegenansicht nicht grundlegend genug hinterfragt werden. Nur wenn ermittelt wird, weshalb ein Unterlassen in Notstandslagen regelmäßig deutlich eher gerechtfertigt wird als ein aktives Eingreifen, kann eine überzeugende Lösung gelingen. Metaphysisch geprägte Hybrisargumente, nach denen Schicksal nicht manipuliert werden dürfe, liefern keine zufriedenstellende Erklärung. Es ist das schützenswerte Vertrauen nicht schicksalhaft Bedrohter, von Gefahren für ihre Rechtsgüter verschont zu bleiben, das ihre Privilegierung in Notstandslagen - im Normalfall - rechtfertigt.»The Protection of the Security of Legal Interests as a Guiding Idea of Necessity in Life-Threatening Situations«: The refusal to justify the saving of human lives at the cost of human life is self-contradictory, whenever it is accompanied by the endorsement of such acts. A convincing justification of such acts requires an analysis of the reason for the privileged status of omission opposed to active intervention in constellations of necessity. This reason is the positive effect that the protection of the security of legal interests has on the wellbeing of those who are subject to the law.
Table of Contents
Section Title | Page | Action | Price |
---|---|---|---|
Vorwort | 5 | ||
Inhaltsverzeichnis | 7 | ||
I. Einleitung | 13 | ||
1. Vorgehensweise | 13 | ||
2. Grundlagen des weiteren Vorgehens | 16 | ||
a) Fallgruppen | 16 | ||
aa) Gefahrengemeinschaft mit einseitiger Rettungschance | 16 | ||
(1) 9/11-Fall | 17 | ||
(2) Bergsteigerfall | 18 | ||
bb) Gefahrgemeinschaft mit beidseitiger Rettungschance | 18 | ||
(1) Anstaltsfall | 19 | ||
(2) Das Brett der Karneades | 19 | ||
cc) „klassischer“ Lebensnotstand | 20 | ||
(1) Weichenstellerfall | 20 | ||
(2) Transplantationsfall | 21 | ||
(3) Herz-Lungen-Maschine-Fall | 21 | ||
dd) Handlungspflichtenkollision (Kollision gleichartiger Verhaltenspflichten) | 22 | ||
b) Gängige Bewertung des Lebensnotstandsproblems | 22 | ||
II. Die „Dirty-Harry-Theorie“ | 31 | ||
1. Burkhard Hirsch | 33 | ||
2. Oliver Lepsius | 34 | ||
3. Zwischenergebnis | 38 | ||
4. Rückgriff auf die Menschenwürde als bloßer Vorwand? | 40 | ||
5. Ralf Poscher | 43 | ||
6. Zweckrationalität der Theorie im Lebensnotstand | 50 | ||
7. Die Rolle der Menschenwürde | 55 | ||
III. Kritik an der „Dirty-Harry-Theorie“ | 57 | ||
1. Die strafende Variante der „Dirty-Harry-Theorie“ | 57 | ||
2. Die auf Strafe verzichtende Variante der „Dirty-Harry-Theorie“ | 59 | ||
a) Die Irrationalität der der „Dirty-Harry-Theorie“ zugrundeliegenden Prämisse | 59 | ||
b) Die fehlende Schlüssigkeit der „Dirty-Harry-Theorie“ | 63 | ||
c) Die „Notwehrprobe“ | 65 | ||
aa) Das Notwehrkonzept von Christian Jäger | 66 | ||
bb) Kritik | 68 | ||
d) Aufbürdung eines Sonderopfers | 74 | ||
e) Die Straflosigkeit des Täters | 76 | ||
aa) Straflosigkeit als Ausdruck fehlender Missbilligung der Tat | 76 | ||
bb) Bedeutung der Verwerflichkeit der Tat für den gesetzlichen entschuldigenden Notstand | 77 | ||
cc) Tragende Bedeutung fehlender Verwerflichkeit der Tat für den übergesetzlichen entschuldigenden Notstand | 80 | ||
dd) Zwischenergebnis | 84 | ||
ee) Alternative Ansätze | 89 | ||
ff) Zwischenergebnis | 93 | ||
f) Das mangelnde Vertrauen in den Rechtsstaat | 94 | ||
3. Ergebnis | 96 | ||
IV. Die grundsätzliche Zuständigkeit für die Hinnahme der Gefahr | 101 | ||
1. Der Einwand der Missachtung der Menschenwürde | 101 | ||
2. Die Bedeutung der Zuweisung von grundsätzlicher Zuständigkeit für die Hinnahme der Gefahr für den rechtfertigenden Notstand | 107 | ||
a) Die Anwendbarkeit des rechtfertigenden Notstands auch auf tatbestandsmäßiges Unterlassen als Ausfluss der Zuweisung grundsätzlicher Hinnahmezuständigkeit | 112 | ||
aa) Die Verteilung der grundsätzlichen Zuständigkeit für die Hinnahme der Gefahr als „wesentliches Moment“ von Aggressiv- und Defensivnotstand | 116 | ||
bb) Die Anwendbarkeit des Defensivnotstands auf das Unterlassen einer Gefahrenabwehr | 125 | ||
cc) Pflicht zur aktiven Tötung als Konsequenz der Anwendbarkeit des Aggressivnotstands auf tatbestandsmäßiges Unterlassen | 129 | ||
b) Dichotomie des rechtfertigenden Notstands statt Vielzahl von Notständen | 134 | ||
c) Zwischenfazit | 142 | ||
d) Die Unzufriedenheit mit dem Zufallskriterium am Beispiel von Volker Erb | 146 | ||
e) Bestrebungen zur Begrenzung der Bedeutung der grundsätzlichen Zuständigkeit für die Hinnahme der Gefahr für die strafrechtliche Rechtfertigung | 152 | ||
aa) Harro Otto | 157 | ||
bb) Ivó Coca Vila | 159 | ||
cc) Günther Jakobs | 162 | ||
dd) Ulfrid Neumann | 164 | ||
ee) Jan C. Joerden | 167 | ||
ff) Ex-post-Triage | 168 | ||
gg) Zwischenergebnis | 172 | ||
V. Die Legitimation des rechtfertigenden Notstands hinter dem Schleier des Nichtwissens | 175 | ||
1. Der Schleier des Nichtwissens | 175 | ||
a) Die Notwendigkeit, den Vertragspartnern Wissen vorzuenthalten | 175 | ||
b) Das Verhältnis des hinter dem Schleier ermittelten zu demokratisch legitimiertem Recht | 181 | ||
2. Im strafrechtlichen Kontext geäußerte Kritik am kontraktualistischen Ansatz | 183 | ||
a) Jan C. Joerden | 183 | ||
b) Michael Pawlik | 186 | ||
aa) Entscheidungsgrundlage hinter dem Schleier des Nichtwissens | 188 | ||
bb) Legitimatorischer Wert kontraktualistischer Überlegungen | 195 | ||
3. Das hinter dem Schleier des Nichtwissens konzipierte Notstandsmodell | 203 | ||
a) Die Orientierung der Vertragspartner an interpersonaler Nutzenkalkulation | 204 | ||
aa) Vermeintlich fehlende Möglichkeit einer Einschränkung von Solidaritätspflichten bei Orientierung an einem durch interpersonale Nutzenkalkulation ermittelten Gesamtnutzen | 212 | ||
bb) Verfehlte Gleichsetzung einer Orientierung am „Gesamtnutzen“ mit radikalem Kollektivismus | 215 | ||
b) Die Einschränkbarkeit von Solidaritätspflichten bei Orientierung am Gesamtnutzen | 218 | ||
aa) Ausgangspunkt: Die Deutung des rechtfertigenden Notstands als Koordinierung zweier grundsätzlich miteinander konkurrierender Prinzipien | 219 | ||
bb) Legitimierung des Solidaritätsprinzips bzw. des Prinzips bestmöglichen Rechtsgüterschutzes | 221 | ||
cc) Legitimierung des Autonomieprinzips | 223 | ||
(1) Das Autonomiebedürfnis | 224 | ||
(2) Das Autonomieprinzip als Prinzip negativer Autonomie | 227 | ||
(3) Autonomie- anstelle von Verantwortungssphären | 227 | ||
(4) Das Autonomieprinzip außerhalb des rechtfertigenden Notstands | 230 | ||
(5) Das Autonomieprinzip im rechtfertigenden Notstand: Das Bedürfnis nach Rechtsgütersicherheit | 234 | ||
(a) Die Zuweisung von Hinnahmezuständigkeit in herkömmlichen Notstandskonstellationen | 243 | ||
(b) Zwischenfazit: Keine Notwendigkeit einer Überhöhung von Zufall als zu achtende Vorsehung | 248 | ||
(c) Die Zuweisung von Hinnahmezuständigkeit bei Verantwortlichkeit für das Bestehen der Notstandslage | 253 | ||
dd) Zusammenfassung | 264 | ||
ee) Zwischenergebnis: Notwendigkeit der Einschränkung von Solidaritätspflichten | 268 | ||
c) Herleitung von relativer und absoluter Solidaritätspflichteinschränkung | 269 | ||
aa) Das Erfordernis wesentlichen Überwiegens | 270 | ||
bb) Die absolute Opfergrenze | 271 | ||
cc) Herleitbarkeit einer absoluten Opfergrenze auf konsequentialistischer Grundlage | 279 | ||
dd) Kongruenz von moralischem und Rechtswidrigkeitsurteil | 281 | ||
d) Der Neutralnotstand (die rechtfertigende Pflichtenkollision) | 285 | ||
aa) Anwendung von Aggressiv- und Defensivnotstand bei Zuweisung von Hinnahmezuständigkeit | 286 | ||
bb) Anwendung des Neutralnotstands bei ausbleibender Zuweisung von Hinnahmezuständigkeit | 287 | ||
(1) Bei Handlungspflichtenkollisionen | 288 | ||
(2) Bei der Kollision verschiedenartiger Verhaltenspflichten | 289 | ||
VI. Die Auflösung von Lebensnotstandskonstellationen anhand des rechtfertigenden Notstands | 293 | ||
1. In Gefahrengemeinschaftskonstellationen | 296 | ||
a) Die stets verbleibende Möglichkeit einer wundersamen Rettung | 296 | ||
b) Die grundsätzliche Schutzwürdigkeit des Vertrauens auf verbleibende Restlebenszeit | 301 | ||
c) Keine Dammbruchgefahr trotz Verzicht auf Autonomieschutz | 304 | ||
d) Quantitative und qualitative Abwägung menschlichen Lebens | 312 | ||
aa) Keine Dammbruchgefahr | 313 | ||
bb) Die Leugnung der Abwägung menschlichen Lebens | 318 | ||
e) Gefahrengemeinschaften mit einseitiger Rettungschance | 322 | ||
aa) Anwendungsbeispiele | 324 | ||
(1) Schlittenfall | 324 | ||
(2) Bergsteigerfall | 324 | ||
(3) 9/11-Fall | 326 | ||
(4) Pest-an-Bord-Fall | 328 | ||
(5) Schotten-dicht-Fall | 329 | ||
bb) Alternative Lösungsansätze | 329 | ||
(1) Umverteilung der Hinnahmezuständigkeit | 330 | ||
(2) Anna Coninx | 334 | ||
(3) Till Zimmermann | 338 | ||
(4) Franz-Benno Delonge | 343 | ||
(5) Manuel Ladiges | 344 | ||
(6) Tatjana Hörnle | 346 | ||
(7) Wolfgang Frisch | 348 | ||
f) Gefahrengemeinschaften mit beidseitiger Rettungschance | 350 | ||
aa) Anwendungsbeispiele | 359 | ||
bb) Alternative Lösungsansätze | 360 | ||
(1) Anna Coninx | 361 | ||
(2) Till Zimmermann | 362 | ||
(3) Franz-Benno Delonge | 368 | ||
(4) Ivó Coca Vila | 370 | ||
g) Zwischenergebnis | 372 | ||
2. Außerhalb von Gefahrengemeinschaftskonstellationen | 374 | ||
a) Der Zugriff auf Rettungsressourcen | 375 | ||
aa) Nicht in ausreichendem Maß vorhandene Rettungsressourcen | 375 | ||
bb) Rücksicht auf besonderes Verfügungsrecht an der Rettungsressource | 378 | ||
b) Ausweichfälle | 381 | ||
c) Alternative Erklärungsansätze für die Nichtanwendung des Aggressivnotstands | 387 | ||
aa) Ivó Coca Vila, Wilfried Küper und Till Zimmermann | 389 | ||
bb) Reinhard Merkel und Günther Jakobs | 393 | ||
d) Verzicht auf das Schicksalskriterium wegen fehlender Eignung zum Schutz von Rechtsgütersicherheit? | 396 | ||
aa) Die „Hin-und-her-Variante“ des Weichenstellerfalls | 397 | ||
(1) Eingreifen vor der Weichenumstellung | 398 | ||
(2) Eingreifen nach der Weichenumstellung | 400 | ||
(a) Till Zimmermann | 403 | ||
(b) Tillmann Horter | 405 | ||
(c) Das Entfallen der Eignung des Schicksals zum Schutz von Rechtsgütersicherheit | 406 | ||
bb) Neutralnotstand? | 409 | ||
VII. Endergebnis | 416 | ||
Literaturverzeichnis | 429 | ||
Sachwortverzeichnis | 449 |