Tatrichterliche Beurteilungsspielräume im materiellen Strafrecht
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Tatrichterliche Beurteilungsspielräume im materiellen Strafrecht
Eine dogmatische und rechtstheoretische Untersuchung zur Revisibilität der tatrichterlichen Rechtsanwendung in Fällen unbestimmter Tatbestandsmerkmale
Strafrechtliche Abhandlungen. Neue Folge, Vol. 327
(2025)
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Nach ihrem Studium der Rechtswissenschaften an der Johannes Gutenberg-Universität in Mainz mit dem Schwerpunkt im Bereich der Strafrechtspflege und dem Abschluss des ersten juristischen Staatsexamens, arbeitete die Autorin während ihrer Promotionszeit als wissenschaftliche Mitarbeiterin an den Lehrstühlen von Univ. Prof. Dr. Volker Erb (Strafrecht und Strafprozessrecht) und Univ. Prof. Dr. Andreas Roth (Deutsche Rechtsgeschichte und Bürgerliches Recht). Sie schloss die Promition während ihres juristischen Vorbereitungsdienstes im Bezirk des LG Wiesbadens im April 2024 ab.Abstract
Seit geraumer Zeit ist in der Revisionspraxis zu beobachten, dass die Revisionsgerichte die Nachprüfung des tatrichterlichen Rechtsanwendungsvorgangs in gewissen Fällen unbestimmter Tatbestandsmerkmale über die Annahme eines »tatrichterlichen Beurteilungsspielraums« auf eine reine Vertretbarkeitskontrolle beschränken. Die Arbeit widmet sich der dogmatischen Untersuchung dieser Rechtsfigur und begibt sich auf die Suche nach einem normativ angelegten Legitimationskonzept für die geltende Praxis. Über eine Auseinandersetzung mit verschiedenen potenziellen Begründungsansätzen schließt sich die Autorin im Ergebnis einem rechtstheoretischen Begründungsmodell an und erarbeitet die daraus folgenden Konsequenzen für den revisionsgerichtlichen Prüfungsumfang in Fällen unbestimmter Tatbestandsmerkmale.»Freedom of Judicial Assessment in Substantive Criminal Law. A Dogmatic and Legal-Theoretical Investigation into the Revisability of the Law Application by the Courts in Cases of Indeterminate Elements of the Offense«: For some time now, it has been observed in judicial practice that the appellate courts limit the review of the factual application of the law in certain cases of indeterminate facts to a mere review of justifiability by assuming a »freedom of judicial assessment«. The present work is dedicated to the dogmatic examination of this legal figure and embarks on a search for a normative legitimation concept for the current practice.
Table of Contents
Section Title | Page | Action | Price |
---|---|---|---|
Vorwort | 7 | ||
Inhaltsverzeichnis | 9 | ||
Verzeichnis der Abkürzungen | 13 | ||
Einleitung | 17 | ||
I. Zum Prüfungsumfang im Revisionsverfahren | 17 | ||
II. Zur Revisibilität unbestimmter Rechtsbegriffe | 19 | ||
III. Zum Gang der Untersuchung | 21 | ||
Kapitel 1: Tatrichterliche Beurteilungsspielräume im materiellen Strafrecht | 23 | ||
I. Begriffsverständnis: Beurteilungsspielraum | 23 | ||
1. Tatrichterlicher Beurteilungsspielraum als Beschränkung der revisionsgerichtlichen Kontrolldichte | 23 | ||
2. Weitere Fälle des beschränkten Kontrollumfangs | 24 | ||
a) Beschränkte Prüfung der Tatsachenfeststellungen und Beweiswürdigung | 25 | ||
b) Beschränkte Nachprüfung von Ermessensentscheidungen | 30 | ||
3. Zwischenergebnis: Wesensmerkmale eines tatrichterlichen Beurteilungsspielraumes | 35 | ||
II. Beurteilungsspielräume in der Revisionsrechtsprechung | 36 | ||
1. Rechtsprechung des RG und frühe Rechtsprechung des BGH | 36 | ||
2. Beurteilungsspielräume im Bereich der Strafzumessung | 40 | ||
a) Strafzumessung als „Sache des Tatrichters“ | 42 | ||
b) Erweiterung zur Vertretbarkeitskontrolle | 44 | ||
c) Zwischenfazit: Strafzumessung als beschränkt revisible Rechtsfrage | 48 | ||
3. Aktuelle Rechtsprechung zum Beurteilungsspielraum im materiellen Strafrecht | 49 | ||
a) Von der Literatur registrierte Fallgruppen | 51 | ||
b) Überprüfung der Fallgruppen anhand der neueren Revisionsrechtsprechung | 52 | ||
aa) 1. Kategorie: Abgrenzungsfragen in Grenzfällen | 53 | ||
(1) Zu den Fallgruppen der Abgrenzung zwischen aktivem Tun und Unterlassen sowie der Abgrenzung zwischen strafloser Vorbereitungshandlung und Versuchsbeginn | 53 | ||
(2) Zu der Fallgruppe der Abgrenzung zwischen (Mit-)Täterschaft und Teilnahme | 54 | ||
bb) 2. Kategorie: Entscheidungen, die in besonderem Maße ein sittliches oder tatsächliches Werturteil erfordern | 58 | ||
(1) Zur Fallgruppe der „Vollendung der Wegnahme“ | 59 | ||
(2) Zur Fallgruppe des „Auffälligen Missverhältnisses zwischen Leistung und Gegenleistung“ | 60 | ||
(3) Zur Fallgruppe der Annahme einer „bandenmäßigen Tatbegehung“ | 61 | ||
(4) Zur Fallgruppe der Wert- und Maßbegriffe | 62 | ||
(5) Zur Fallgruppe der „Niedrigen Beweggründe“ | 63 | ||
(6) Zwischenfazit | 66 | ||
cc) Weitere potenzielle Fallgruppen eines tatrichterlichen Beurteilungsspielraums | 66 | ||
(1) Vorliegen eines bedingten Tötungsvorsatzes | 67 | ||
(2) Auslegung von schriftlichen und mündlichen Erklärungen | 69 | ||
c) Ergebnis der Rechtsprechungsauswertung: Rückgang des Trends der tatrichterlichen Beurteilungsspielräume | 71 | ||
Kapitel 2: Verfassungsrechtliche Relevanz von tatrichterlichen Beurteilungsspielräumen | 73 | ||
I. Gesetzlichkeitsprinzip, Art. 20 Abs. 3 Hs 2, 103 Abs. 2 GG | 73 | ||
1. Das Gesetzlichkeitsprinzip im Strafrecht | 74 | ||
a) Die Grundsätze des Gesetzlichkeitsprinzips | 74 | ||
b) Das Bestimmtheitsgebot als Ausprägung des Gesetzlichkeitsprinzips, Art. 103 Abs. 2 GG | 75 | ||
aa) Zur Zulässigkeit richterlicher Rechtsfortbildung | 76 | ||
bb) Die Methodik der Auslegung – Das Bindeglied zwischen Gesetzlichkeitsprinzip und dem Grundsatz der richterlichen Unabhängigkeit | 78 | ||
cc) Vereinbarkeit der Verwendung von unbestimmten Rechtsbegriffen mit dem Bestimmtheitsgrundsatz – Das Präzisierungsgebot | 80 | ||
2. Vereinbarkeit von tatrichterlichen Beurteilungsspielräumen mit dem Gesetzlichkeitsprinzip | 84 | ||
II. Gebot effektiven Rechtsschutzes | 86 | ||
III. Gleichheitsgrundsatz, Art. 3 Abs. 1 GG | 90 | ||
IV. Anspruch auf den gesetzlichen Richter, Art. 101 Abs. 1 S. 2 GG | 94 | ||
V. Zwischenergebnis: Normatives Begründungserfordernis | 96 | ||
Kapitel 3: Begründungskonzepte für tatrichterliche Beurteilungsspielräume | 99 | ||
I. Begründungsdefizit in der Rechtsprechung | 100 | ||
II. Begründung mit justizökonomischen Aspekten | 102 | ||
III. Verwaltungsrechtliche Begründung | 104 | ||
1. Überblick: Beurteilungsspielräume im Verwaltungsrecht | 104 | ||
2. Keine Übertragbarkeit der verwaltungsrechtlichen Begründungsansätze | 108 | ||
a) Strukturelle Unterschiede zwischen administrativen und tatrichterlichen Beurteilungsspielräumen | 108 | ||
b) Besondere Grundrechtssensibilität des Strafrechts | 110 | ||
c) Beurteilungsspielraum im behördlichen Widerspruchsverfahren | 111 | ||
3. Zwischenergebnis | 112 | ||
IV. Begründung mit der Leistungsmethode | 112 | ||
1. Analogie zu den Strafzumessungsentscheidungen | 115 | ||
a) Strafzumessung als „höchstpersönliche Entscheidung“ aus dem Inbegriff der Hauptverhandlung? | 115 | ||
b) Zur Übertragbarkeit der Grundsätze auf strafbegründende Tatbestandsmerkmale | 120 | ||
aa) Die praxisorientierten Konzepte von Maatz und Mosbacher | 120 | ||
bb) Kritische Würdigung | 123 | ||
(1) Keine Notwendigkeit einer Kontrollbeschränkung in funktioneller Hinsicht | 124 | ||
(2) Keine trennscharfe Abgrenzung möglich | 130 | ||
2. Zwischenergebnis | 133 | ||
V. Begründung mit dem Zweck der Revision | 133 | ||
1. Teleologisches Konzept und die Antinomie der Revisionszwecke | 135 | ||
2. Teleologische Begründungskonzepte | 137 | ||
3. Kritische Würdigung | 138 | ||
a) Einzelfallgerechtigkeit als vorrangiger Revisionszweck | 139 | ||
b) Rechtsgrundsätzliche Bedeutung des Subsumtionsvorganges | 144 | ||
4. Exkurs: Die Theorie des realistischen Rechtsschutzes (Roxin und Schünemann) | 145 | ||
5. Zwischenergebnis | 146 | ||
VI. Erklärung über das Fehlen einer Gesetzesverletzung i.S.d. § 337 StPO | 147 | ||
1. Die These von mehreren richtigen Entscheidungen | 148 | ||
2. Die These von mehreren vertretbaren Entscheidungen | 152 | ||
a) Zu den Elementen der „Vertretbarkeit“ | 153 | ||
b) Grundsätzlich keine Anwendbarkeit der Vertretbarkeitsthese im Bereich des materiellen Strafrechts | 154 | ||
aa) Zur „Vertretbarkeit“ verschiedener Entscheidungen in rechtstheoretischer Hinsicht | 155 | ||
bb) Zur „Vertretbarkeit“ verschiedener Entscheidungen in revisionsrechtlicher Hinsicht | 159 | ||
c) Ausnahmsweise Verschiebung der Letztentscheidungskompetenz unter Anwendung des Regelkriteriums | 163 | ||
aa) Das Regelkriterium als theoretisches Konzept | 166 | ||
bb) Normative Tatbestandsmerkmale unter dem Blickwinkel des Regelkriteriums | 171 | ||
(1) Kuhlens Ansatz der Prima-facie-Regeln | 176 | ||
(2) Das Konzept der Relevanzregeln nach Neumann | 179 | ||
cc) Zwischenergebnis | 181 | ||
Kapitel 4: Praktische Auswirkungen des Begründungskonzeptes | 182 | ||
I. Überprüfung am Maßstab der konkretisierenden Relevanzregeln | 182 | ||
II. Überprüfung der tatgerichtlichen Entscheidungsbegründung | 186 | ||
III. Zwischenergebnis | 188 | ||
Kapitel 5: Kritische Würdigung des Konzeptes | 190 | ||
I. Tatrichterliche Beurteilungsspielräume als revisionsgerichtliche Rechtsfortbildung | 190 | ||
II. Fehlende Konsistenz? | 193 | ||
III. Fallgruppenbezogene Kritik | 194 | ||
1. Abgrenzung zwischen (Mit-)Täterschaft i.S.d. § 25 Abs. 2 StGB und Teilnahme i.S.d. § 27 StGB | 195 | ||
2. Niedrige Beweggründe i.S.d. § 211 StGB | 198 | ||
IV. Abgrenzung zur beschränkten Revisibilität der tatrichterlichen Beweiswürdigung | 201 | ||
V. Sonstige verfassungsrechtliche Kritikpunkte | 203 | ||
VI. Zwischenergebnis | 204 | ||
Schlussbetrachtung | 206 | ||
Literaturverzeichnis | 215 | ||
Sachwortverzeichnis | 233 |