Verantwortungsbereiche wider Volksgesundheit
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Verantwortungsbereiche wider Volksgesundheit
Zur Zurechnungs- und Rechtsgutlehre im Betäubungsmittelstrafrecht
Schriften zum Strafrecht, Vol. 232
(2012)
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Christina Pasedach, geboren am 30.08.1983, studierte von 2003–2007 Rechtswissenschaft an der Universität Mannheim. Seit 2005 ist sie am dortigen Lehrstuhl für Strafrecht, Strafprozessrecht und Rechtsphilosophie (Professor Dr. Jürgen Wolter) tätig. Das Referendariat absolvierte sie im Bezirk des Oberlandesgerichts Zweibrücken sowie bei einer international tätigen Rechtsanwaltskanzlei in Atlanta, USA. Sie promovierte 2011 und legte 2012 die Zweite Juristische Staatsprüfung ab.Abstract
Die Untersuchung geht im Wesentlichen von drei Befunden aus: Das Prinzip der Straffreiheit eigenverantwortlicher Selbstgefährdung wird überwiegend - unter Hinweis auf das »Rechtsgut Volksgesundheit« - außer Kraft gesetzt. Das BVerfG verneint eine Rechtsgutsverletzung als Voraussetzung rechtsgültiger Pönalisierung und gelangt darüber hinaus beim Eigenverbrauch geringer Mengen von Cannabis nur zur Einstellung des Strafverfahrens.Die Untersuchung unternimmt eine Klärung der Reichweite der objektiven Zurechnungslehre. Leitgedanke ist die Aufgabe des Strafrechts, das Zusammenleben der Bürger dadurch zu sichern, dass die Schaffung eines Risikos für fremde Rechtsgüter mit Strafe bedroht wird, während eigenverantwortliche Selbstgefährdungen grundsätzlich straffrei sind. Auf der Grundlage einer (personalen) Rechtsgutslehre lässt sich die »Volksgesundheit« als »Scheinrechtsgut« einordnen. Die mit der (personalen) Rechtsgutslehre verzahnte objektive Zurechnungslehre wird wiederum durch das verfassungsrechtliche Selbstbestimmungsrecht fundiert. Dies führt u.a. - in Vereinbarkeit mit internationalen Abkommen - zur (materiellen) Straffreiheit des Eigenkonsums weicher Drogen in geringer Menge in Gestalt eines Tatbestandsausschließungsgrundes. (Nur) insoweit besteht auch Übereinstimmung mit der gegenwärtigen Initiative der Strafrechtsprofessoren zur Einrichtung einer Enquête-Kommission des Bundestages zum Betäubungsmittelstrafrecht.
Table of Contents
Section Title | Page | Action | Price |
---|---|---|---|
Vorwort | 7 | ||
Inhaltsverzeichnis | 9 | ||
Abkürzungsverzeichnis | 17 | ||
A. Befunde; Ziele und Gang der Untersuchung | 21 | ||
I. Befunde und Ziele der Untersuchung | 21 | ||
II. Gang der Untersuchung | 22 | ||
B. Rechtsbegriffliche, rechtssystematische und rechtstatsächliche Grundlagen | 25 | ||
I. Einführung | 25 | ||
II. Rechtsbegriffliches und -systematisches | 25 | ||
1. Etymologie | 25 | ||
2. Substanzeffekte und Wirkungen | 26 | ||
3. Betäubungsmittel i. S. d. BtMG | 26 | ||
4. Die Systematik der Betäubungsmittel | 28 | ||
a) Nicht verkehrsfähige Betäubungsmittel | 28 | ||
b) Verkehrsfähige, aber nicht verschreibungsfähige Betäubungsmittel | 29 | ||
c) Verkehrsfähige und verschreibungsfähige Betäubungsmittel | 29 | ||
d) Verhältnis zu anderen (Spezial)Gesetzen | 29 | ||
5. Der Begriff der Abhängigkeit | 30 | ||
III. (Rechts)Tatsächliches | 32 | ||
1. Epidemiologie | 32 | ||
a) Illegale Drogen | 32 | ||
b) Legale Drogen | 34 | ||
c) Zusammenfassung | 37 | ||
2. Drogenkriminalität | 38 | ||
a) Kriminalität im Zusammenhang mit Alkohol | 38 | ||
b) Kriminalität im Zusammenhang mit illegalen Drogen | 39 | ||
aa) Deliktstypen | 40 | ||
(1) Statistisches | 40 | ||
(a) Straftaten nach § 29 BtMG | 40 | ||
(b) Straftaten nach § 29a BtMG | 40 | ||
(c) Straftaten nach § 30 BtMG | 41 | ||
(d) Straftaten nach § 30a BtMG | 41 | ||
(e) Zusammenfassung | 41 | ||
(2) Systematik der Drogendelinquenz | 41 | ||
(a) Versorgungskriminalität | 41 | ||
(b) Folgekriminalität | 43 | ||
(3) Rauschgiftdelinquenz nach Drogenart | 43 | ||
bb) Altersstruktur | 44 | ||
cc) Deliktsbelastung im Bundesgebiet | 45 | ||
3. Drogen und Strafverfolgung | 45 | ||
a) Das drogenpolitische Modell der Entpönalisierung | 45 | ||
b) Die Möglichkeiten einer prozessualen Korrektur | 46 | ||
c) Die Cannabis-Entscheidung des BVerfG | 47 | ||
d) Die Einstellungspraktiken in den Ländern | 48 | ||
4. Zusammenfassung | 50 | ||
C. Verantwortungsbereiche und objektive Zurechnung im Kern- und Betäubungsmittelstrafrecht | 53 | ||
I. Einführung (Unerheblichkeit von Viktimodogmatik und Interessentheorie) | 53 | ||
II. Abgrenzung von Parallel-Konstellationen | 56 | ||
1. Einverständliche Fremdschädigung bzw. -gefährdung | 56 | ||
a) Die Fremdschädigungsfälle | 57 | ||
aa) Notwendigkeit einer Differenzierung | 57 | ||
(1) Gesetzliche Vorgaben | 57 | ||
(2) Tatsächliche und normative Erwägungen | 58 | ||
bb) Abgrenzungskriterien | 59 | ||
(1) Der modifizierte Tatherrschaftsgedanke | 59 | ||
(2) Das Prinzip der Eigenverantwortlichkeit | 61 | ||
(3) Bewertung | 62 | ||
cc) Zusammenfassung | 66 | ||
b) Die Fremdgefährdungsfälle | 66 | ||
aa) Die einverständliche Fremdgefährdung als eigenständige Rechtsfigur | 66 | ||
bb) Abgrenzung | 67 | ||
cc) Rechtliche Einordnung | 68 | ||
(1) Gleichstellung mit der Selbstgefährdung | 68 | ||
(2) Lösung über die Einwilligungsfigur | 69 | ||
c) Zusammenfassung | 71 | ||
2. Die sog. Retterfälle | 71 | ||
a) Beschreibung | 71 | ||
b) Parallelen zu den Fällen der Überlassung von Betäubungsmitteln | 72 | ||
c) Auswertung und Konsequenzen | 74 | ||
d) Zusammenfassung | 76 | ||
III. Eigenverantwortliche Selbstschädigung bzw. -gefährdung | 76 | ||
1. Eigenverantwortliches Verhalten im eigentlichen Kernstrafrecht ohne Zusammenhang mit Betäubungsmitteln | 77 | ||
a) Die Lehre vom Regressverbot | 77 | ||
b) Ansätze über die Pflichtwidrigkeit | 80 | ||
c) Ansätze über die rechtfertigende Einwilligung | 83 | ||
d) A-maiore-ad-minus-Argumentation (auch BGHSt 24, 342) | 85 | ||
Exkurs: Strafbarkeit der Mitwirkung an einer Selbsttötung | 86 | ||
e) Zusammenfassung | 88 | ||
2. Eigenverantwortliches Verhalten im Kernstrafrecht im Zusammenhang mit Betäubungsmitteln | 89 | ||
a) Die Garantenstellung als strafbegründendes Kriterium | 89 | ||
aa) Die Begehungsfälle (auch BGH JR 1979, 429) | 89 | ||
bb) Die Unterlassungsfälle | 93 | ||
(1) Unterlassen von Rettungsmaßnahmen bei freiverantwortlichem Suizid | 93 | ||
(a) Strafbare Unterlassungstäterschaft des Garanten ab Tatherrschaftsübergang | 94 | ||
(b) Terminologische Defizite des Tatherrschaftskriteriums | 95 | ||
(c) Materiale Schwächen des Tatherrschaftskriteriums | 96 | ||
(aa) Rückwirkende Aberkennung des eigenverantwortlichen Entschlusses | 96 | ||
(bb) Folgerungen für die Annahme eines „Unglücksfalls“ i. S. d. § 323c StGB bei einem freiverantwortlichen Suizid | 98 | ||
(cc) Konsequenzen für die Strafbarkeit eines Garanten | 99 | ||
(d) Dogmatische Friktionen des Tatherrschaftskriteriums | 100 | ||
(e) Zusammenfassung | 101 | ||
(2) Untätigbleiben nach Überlassen von Betäubungsmitteln | 102 | ||
cc) Zusammenfassung | 103 | ||
b) Grundsätzliche Fahrlässigkeitshaftung beim Überlassen von Suchtmitteln (u. a. BGH NStZ 1981, 350 und BGH NStZ 1983, 72) | 104 | ||
c) Doppelte a-maiore-ad-minus-Argumentation (auch BGHSt 32, 262) | 105 | ||
d) Zusammenfassung | 108 | ||
3. Unbeachtlichkeit eigenverantwortlichen Verhaltens im BtMG | 109 | ||
a) Einheitlichkeit der Strafrechtsordnung | 109 | ||
b) Einschränkung des Selbstverantwortungsgrundsatzes durch das Rechtsgut „Volksgesundheit“ (auch BGHSt 37, 179) | 110 | ||
c) Ausnahme von der Einschränkung des Selbstverantwortungsgrundsatzes beim Suizid (auch BGHSt 46, 279) | 113 | ||
4. Annex: Selbstschädigung vs. Selbstgefährdung | 116 | ||
a) Analogie zur Problematik des Gegenstands der Einwilligung | 118 | ||
b) Analogie zur Problematik „Fremdschädigungsvorsatz vs. Fremdgefährdungsvorsatz“ | 120 | ||
c) Folgerungen für die Betäubungsmittelfälle | 123 | ||
5. Fazit und Ausblick | 125 | ||
D. Verbindung der objektiven Zurechnungslehre mit Verbrechens- und Rechtsgutslehren; „Volksgesundheit“ | 126 | ||
I. Einführung | 126 | ||
II. Der materielle Verbrechensbegriff | 127 | ||
1. Konzeptionen neben den Rechtsgutslehren | 128 | ||
a) Das Verbrechen als Abkehr von den sozialethischen Gesinnungswerten | 128 | ||
b) Das Verbrechen als Rechtsguts- und zugleich Pflichtverletzung | 130 | ||
c) Das Verbrechen als Störung des sozialen Systems | 130 | ||
d) Das Verbrechen als Normbruch und die Lehre vom Feindstrafrecht | 132 | ||
e) Zusammenfassung | 134 | ||
2. Die Rechtsgutslehren | 136 | ||
a) Ausgangspunkt: der Sozialvertrag | 136 | ||
b) Die verschiedenen Rechtsgutslehren | 138 | ||
aa) Die dualistischen Lehren | 138 | ||
bb) Die monistischen Lehren | 139 | ||
c) Das Rechtsgutsverständnis unter dem Blickwinkel der liberalen Staatsauffassung – Die personale Rechtsgutslehre | 139 | ||
d) Der Bestimmtheitsgrundsatz | 141 | ||
e) Der ultima-ratio-Grundsatz | 143 | ||
f) Das sog. „Harm Principle“ | 143 | ||
g) Zusammenfassung | 145 | ||
3. Das Universalrechtsgut der sog. „Volksgesundheit“ | 146 | ||
a) Die „Volksgesundheit“ als das dem BtMG zugrunde liegende Rechtsgut | 146 | ||
aa) Die gesetzgeberischen Motive | 146 | ||
bb) Die internationalen Abkommen | 147 | ||
cc) „Volksgesundheit“ als umfassendes Rechtsgut (u. a. Cannabisentscheidung des BVerfG) | 148 | ||
dd) Zusammenfassung | 149 | ||
b) Verfassungsrechtliche Einwände gegen die „Volksgesundheit“ | 149 | ||
aa) Verstoß gegen den Bestimmtheitsgrundsatz | 152 | ||
(1) „Volksgesundheit“ als Kumulation von Rechtsgütern | 153 | ||
(2) „Volksgesundheit“ als „selbstständiges Einzelrechtsgut“ | 153 | ||
(3) Parallelen zum Inzest | 155 | ||
(4) Fazit | 158 | ||
bb) Verstoß gegen den Subsidiaritätsgrundsatz | 159 | ||
cc) Verstoß gegen das Schuldprinzip durch Kumulation von Verursachungsbeiträgen | 160 | ||
c) Das Rechtsgut „Volksgesundheit“ in anderen Rechtsgebieten | 162 | ||
d) Zusammenfassung | 165 | ||
E. Verbindung der personalen Rechtsguts- und objektiven Zurechnungslehre mit dem verfassungsrechtlichen Selbstbestimmungsrecht | 166 | ||
I. Einführung | 166 | ||
II. Selbstverfügungen in der Verfassungsdogmatik | 168 | ||
1. Die Herkunft des Selbstbestimmungsrechts | 168 | ||
2. Die Selbstverfügungsfreiheit als Bestandteil des Schutzbereichs von Art. 2 Abs. 1 GG | 169 | ||
a) Die Reichweite der allgemeinen Handlungsfreiheit | 169 | ||
b) Selbstverfügungen als Bestandteil des allgemeinen Persönlichkeitsrechts | 172 | ||
aa) Selbsttötungen und Suizid | 174 | ||
bb) Selbstgefährdungen, insbesondere der Drogenkonsum | 176 | ||
(1) Allgemeine Handlungsfreiheit | 176 | ||
(2) Allgemeines Persönlichkeitsrecht | 180 | ||
c) Kernbereich privater Lebensgestaltung? | 181 | ||
3. Keine entgegenstehende Wertung des Rechts auf Leben und körperliche Unversehrtheit | 182 | ||
4. Zusammenfassung | 183 | ||
III. Schranken der Freiheit zu selbstverfügendem Verhalten | 183 | ||
1. Der Schutz des Einzelnen vor sich selbst | 185 | ||
a) Grundsätzliche Unzulässigkeit | 185 | ||
b) Parallele Problematiken | 187 | ||
aa) Die Helm- und Gurtpflicht | 187 | ||
bb) Die Transsexuellenentscheidung des BVerfG | 189 | ||
cc) Das Rauchverbot | 190 | ||
dd) Schlussfolgerung | 192 | ||
c) Ausnahmen von der Unzulässigkeit staatlichen Schutzes des Einzelnen vor sich selbst | 193 | ||
aa) Kinder- und Jugendschutz | 194 | ||
bb) Genereller Ausschluss der Eigenverantwortlichkeit bei Betäubungsmittelkonsum? | 195 | ||
cc) Abhängigkeit als hinreichendes Attribut verminderter konsumbezogener Eigenverantwortlichkeit? | 197 | ||
dd) Maßstab für den Ausschluss der Eigenverantwortlichkeit im Zusammenhang mit Betäubungsmittelkonsum | 199 | ||
(1) Allgemeine, betäubungsmittelunabhängige Ansätze | 200 | ||
(2) Konkretisierung des Eigenverantwortlichkeitsmaßstabs für das Betäubungsmittelrecht | 203 | ||
ee) Mangelnde Risikokenntnis | 206 | ||
(1) Illegalisierungsbedingte mangelnde Risikokenntnis | 206 | ||
(2) Substanzbedingte mangelnde Risikokenntnis | 207 | ||
d) Zusammenfassung | 209 | ||
2. Schranken selbstschädigenden Verhaltens aus Sozialbezug | 210 | ||
a) Nichtraucherschutz | 210 | ||
b) Kriminalität | 211 | ||
c) Straßenverkehr | 212 | ||
d) Soziale Folgekosten | 216 | ||
e) Zusammenfassung | 218 | ||
F. Folgerungen für die Strafbarkeit des Konsumenten und des Dritten; auch zur Unterscheidung von harten und weichen Drogen | 219 | ||
I. Konsequenzen für die Strafbarkeit des Konsumenten | 219 | ||
1. Die Einflüsse des Grundsatzes (der Unzulässigkeit) des staatlichen Schutzes des Einzelnen vor sich selbst | 219 | ||
2. Die Einflüsse des Sozialbezugs | 221 | ||
II. Konsequenzen für die Strafbarkeit Dritter | 222 | ||
1. Der Schutz des Konsumenten | 222 | ||
2. Der Schutz Dritter (Sozialbezug) | 224 | ||
III. Zusammenfassung | 225 | ||
G. Reichweite der Strafbarkeit (von Konsument und Überlasser) bei Eigenkonsum „weicher“ Betäubungsmittel in geringer Menge | 227 | ||
I. Einführung | 227 | ||
II. Reichweite der Straflosigkeit des Konsumenten | 228 | ||
1. Konsumbezogene Verhaltensweisen (Eigenkonsumabsicht) | 229 | ||
2. Geringe Menge | 230 | ||
3. Beschränkung auf weiche Drogen | 233 | ||
4. Zwischenergebnis | 233 | ||
III. Reichweite der Straflosigkeit Dritter (Überlasser) | 233 | ||
IV. Systematik und Gesetzesvorschlag | 234 | ||
1. Systematische Einordnung | 234 | ||
a) Materielle Straffreiheit durch Strafausschließungsgrund oder objektive Bedingung der Strafbarkeit? | 235 | ||
b) Straflosigkeit durch Tatbestandsausschluss bei Fortbestand der Rechtswidrigkeit? | 236 | ||
c) Entkriminalisierung durch Tatbestandsausschließungsgrund (statt „Strafrechtsausschließungsgrund“) | 237 | ||
2. Gesetzeswortlaut | 238 | ||
V. Vereinbarkeit mit internationalen Abkommen | 239 | ||
H. Die wesentlichen Ergebnisse der Untersuchung | 243 | ||
Literaturverzeichnis | 247 | ||
Stichwortverzeichnis | 276 |